Kunstherbst in Paris: Mehr als nur viele Messen

Paris ist eine Reise wert. Ende Oktober folgen sehenswerte Ausstellungen und vielbesprochene Messen Schlag auf Schlag. Sie wissen nicht, wohin zuerst? Unser Paris-Korrespondent J. Emil Sennewald hat den Überblick.
Die Art Basel Paris 2025 positioniert sich im veränderten Kunstmarkt
Paris zeigt sich im Herbst 2025, unter spürbar kühlerem Wind im Kunstmarkt, erneut als weltweite Drehscheibe der Gegenwartskunst. Schwerpunkt im Grand Palais: Avantgarde.
Vom 24. bis 26. Oktober lädt die Art Basel Paris wieder ins Grand Palais. Der französische Kunstmarkt, viertgrößter weltweit, ist im Wandel: der aktuelle Art Basel & UBS Art Market Report 2025 meldet 12% Rückgang globaler Kunstverkäufe. Zugleich verbreitert sich die Basis: 3% mehr Einzeltransaktionen (rund 40,5 Mio. Verkäufe), Zuwächse von 17 % bei kleineren Galerien mit einem Jahresumsatz unter 250.000 USD. Zwar blicken 85 % der französischen Galerien pessimistisch in ihre wirtschaftliche Zukunft. Doch Neugier, Risikobereitschaft und Spontankäufe prägen das neue Marktklima – für kleinere Beträge. Die Art Basel Paris reagiert darauf mit einer leicht stärkeren Präsenz junger Galerien und einem sichtbar diversifizierten Angebot im mittleren Preissegment. Paris als Standort der Avantgarde soll historische Energie ins Heute bringen.

Art Basel Paris, Courtesy of Art Basel
206 Galerien aus 41 Ländern, elf mehr als im Vorjahr, zeigen historische Ursprüngen in DaDa und Surrealismus sowie zeitgenössische Positionen, die soziale und politische Fragen verhandeln in ihre Stände. Eva Presenhuber tritt mit Ugo Rondinone an, zusammen mit den Galerien Gladstone und Mennour hat sie eine Monumental-Skulptur des Künstlers im Pariser Stadtraum ermöglicht. Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder aus Wien wird wohl mit Sheila Hicks und Bernard Frize punkten. Bei Layr aus Wien dürften Julien Bismuths Bildbearbeitungen Aufmerksamkeit erregen, aktuell in der Ausstellung "Copistes" im Centre Pompidou Metz zu sehen. Marcelle Alix, Spitzenposition im zeitgenössischen Geschehen der französischen Kapitale und nun im Hauptsektor platziert, holt die große Videoinstallation von Pauline Boudry/ Renate Lorenz, die jüngst auf der "Biennale Son" im Schweizer Wallis verblüffte, in ihre Galerie-Räume in Belleville. Ihr Stand wird wie jedes Jahr ein wertvoller Ort für Austausch und Anschluss an den Diskurs.
Jérôme Poggi nimmt mit ukrainischen Künstlern in seiner Galerie Stellung – auf der Messe darf man sich auf provokative Arbeiten und große Kohlezeichnungen von Nikita Kadan (*1982) freuen, in Zusammenarbeit mit der Voloshyn Gallery (Miami) zusammen gestellt. Neu aus Berlin stellt Molitor im Sektor Emergences Werke der Kroatin Dora Budor (*1984) vor. Mit Jala Wahids (*1988) „Stealth Technology“ betiteltem neuen Werk-Ensemble hat Sophie Tappeiner (Wien) in diesem Sektor einen starken Auftritt: vier Skulpturen, die die Gewalt militärischer Invasionen und erzwungener Migration mit persönlichen Geschichten von Widerstandsfähigkeit verknüpfen. Um die hohen Standmieten zu lindern, haben zwei österreichische Galerien Kooperationen gefunden: Felix Gaudlitz (Wien) teilt sich mit LC Queisser (Tiflis) einen Stand, Dawid Radziszewski (Warschau, Wien) mit Madragoa (Lissabon).
Als Gesamterscheinung ist die Art Basel Paris weit mehr als nur ein Händler-Treffen. Der Impuls, der vom Grand Palais im Herbst ausgeht, erfasst die ganze Stadt, rückt sie ins Zentrum des internationalen Kunsthandels.

Art Basel Paris, Courtesy of Art Basel
Satelliten- und Off-Messen im Herbst: ganz Paris rockt die Kunst
Neben vielen Trittbrett-Fahrern gibt es einige Formate, die es verstanden haben, eine echte Alternative zur Art Basel Paris zu entwickeln.
Auffälligste Personalie im Vorfeld der Messe: der Abgang von Clément Delépine (*1981). Der Direktor von Art Basel Paris wechselte zum 17. November 2025 an die Spitze der Fondation d’entreprise Galeries Lafayette. Delépine ist auch Gründer von L'internationale, der nomadischen Kunstmesse, die zum Geheimtipp heranwuchs. Dieses Jahr vom 22. bis 26. Oktober im Rond-Point des Champs-Élysées näher am Grand Palais positioniert, kündigt unter den 66 Galerien aus 19 Ländern Krinzinger einen Paarlauf an: Monica Bonvicini und Toni Schmale setzen sich gemeinsam mit Fragen der Macht, des Raums und der Materialität von Körpern und Strukturen auseinander. Aus Wien außerdem dabei: Lombardi-Kargl und Gianni Manhattan mit der aufreizend häkelnden Kiki Furlan.

Art Basel Paris 2024 at the Grand Palais, Courtesy of Art Basel
Als eigenes Schaufenster hat sich Offscreen etabliert. Vom 21.–26. Oktober 2025 betont auch das auf Soloshows und Medienkunst setzende Format Chapelle Saint-Louis de la Salpêtrière (hier präsentierte Charcot die Hysterie) das Interesse an der Avantgarde. Mit Shigeko Kubota (1937-2015) als Ehrengast, werden 28 Künstler*innen von ihren Galerien vertreten. Jérôme Poggi liefert hier eine Traum-Performance des ukrainischen Duos Yarema Malashchuk & Roman Khimei. Außerdem sehenswert: die fotografischen Palimpseste des Kanadiers Martin Désilets (*1969) bei Bigaignon und Maria Brunners (*1962) Kathedralen-Studien bei Gisela Capitain.
Ganz anders fühlt sich die "atmosphère arty" im neuen Luxus-Hotspot Matignon Saint-Honoré an. Die Fassadeninstallation von Stéphane Thidet bietet bei Christie's einen roten Faden an – nicht sicher, dass den die Events der Paris Art Week aufnehmen. Das Galerien-Event dieses Viertels liefert vom 20.-26. Oktober unmittelbar beim Elysée-Palast eher bourgeoisen Flair der haute volée. Nicht verpassen sollte man hier Albert Oehlens "Endless Summer" bei Gagosian (20.10.-20.12.).
Im Marais bietet im Carreau du Temple die AKAA – Also Known As Africa Kunst aus afrikanischen Ländern und der Diaspora mit rund 30 Galerien. Da diese Spezialität inzwischen Eingang in die anderen Formate gefunden hat, sucht AKAA sich als Diskussions- und Entdeckungs-Plattform zu etablieren. Zum 10-jährigen Jubiläum der Messe steht Materialität im Zentrum – Pigmente, Textilien, Emailliertes als Gegengewicht zu konzeptueller und digital durchwirkter Kunst. Wichtigster Pariser Durchstarter ist hier Christophe Person, der jüngst auch in Brüssel einen neuen Raum eröffnet hat.
Vier Gehminuten entfernt will vom 25. bis 27. Oktober in die Galerie Joseph in der Rue de Turenne die Menart Fair Brücken bauen. 2021 als erste und einzige europäische Kunstmesse gestartet, die sich Kunst aus dem Nahen Osten und Nordafrika (MENA) widmet, richtet sich die einst am Trocadéro groß gestartete Messe dieses Jahr mit rund dreißig Galerien in eher intimem Rahmen ein. Hier entdeckenswert: die sensiblen Fotografien der marokkanischen Künstlerin Aassmaa Akhannouch (*1973), vertreten von Esther Woerdehoff.
Am anderen Seine Ufer versammelt in der Monnaie de Paris Asia Now – Paris Asian Art Fair vom 22. bis 26. Oktober für seine 11. Ausgabe 70 Galerien aus 15 Ländern. Unter den Neuzugängen: Arario (Seoul), Capsule Shanghai (Shanghai), Klemm's (Berlin). Sehenswert: Tara Kasenda. Die Galerie Prima präsentiert einen Solo-Show der indonesischen Künstlerin, die introspektive Malerei zwischen Figuration und Abstraktion schafft. Beachtenswert: RAK Art Foundation Prize. Der neue Preis ermöglicht zwei teilnehmenden Künstler*innen je eine einmonatige Residenz in der Art Station in Bahrain.

Alex Da Corte, Installation view of Alex Da Corte’s performance Kermit The Frog, Place Vendôme, Paris, 2025, Presented by Sadie Coles HQ, Courtesy of the artist and Sadie Coles HQ, London
Fünf Ausstellungstipps in Paris
während der Art Basel 2025
Von Rauschenberg bis Ryman: Diese Shows lohnen einen Abstecher
Auch wenn das Centre Pompidou bis 2030 geschlossen bleibt, entfaltet die Stadt im Herbst 2025 ein kraftvolles Programm jenseits der Messehallen. Ob etablierte Meister oder neue Perspektiven: Diese fünf Ausstellungen bieten eigenständige Erlebnisse, die sich ideal mit der Art Basel Paris verbinden lassen.
Robert Rauschenberg bei Thaddaeus Ropac im Marais
Mit der Ausstellung "Gluts" zeigt Ropac eine bislang selten präsentierte Serie aus dem Spätwerk (1986–1994) von Robert Rauschenberg (1925-2008). Ausgehend von Eindrücken texanischer Wirtschaftskrisen verwandelt der Künstler gesammelte Metalle und Schrottteile in skulpturale Assemblagen – schwer, glänzend, roh. Wer zudem in den Vorort Pantin fahren möchte, kann dort unter dem Titel "Eye to Eye" eine große Einzelschau mit neuen Werken von Yan Pei-Ming sehen.
20. Oktober – 22. November 2025
Minimal in der Bourse de commerce
Mit Werken aus François Pinaults Sammlung und bedeutenden Leihgaben versammelt diese Schau im Herzen von Paris in sieben Sektionen historische und zeitgenössische minimale Positionen: von Robert Ryman bis Blinky Palermo, von Lygia Pape bis Charlotte Posenenske. Konkurrent Bernard Arnault trumpft in der Fondation Louis Vuitton mit einer sehr umfassenden Gerhard Richter-Retrospektive auf – soviel von dem Meister aus Deutschland sieht man so bald nicht wieder zusammen.
8. Oktober 2025 – 19. Januar 2026
George Condo im Musée d’Art Moderne de Paris
Der amerikanische Maler George Condo (*1957) wird mit der größten je veranstalteten Einzelausstellung im städtischen Kunstmuseum von Paris präsentiert. Ein unbedingt zu entdeckendes Universum. Parallel zu Condo stellt das MAM die in Antwerpen lebende Otobong Nkanga mit einem umfangreichen Werk-Komplex aus. Wer Condos Malerei gut findet, sollte sich auch Philip Guston im Musée Picasso Paris ansehen (14.10.-1.3.26).
10. Oktober 2025 – 8. Februar 2026

Ausstellungsansicht, Minimal, Bourse de Commerce – Pinault Collection, Paris, 2025. Foto : Florent Michel / 11h45 / Pinault Collection
Einhörner im Musée de la Chasse et de la Nature
Mit „La licorne, l’étoile et la lune“ erschafft das Künstlerpaar Florentine & Alexandre Lamarche‑Ovize (*1978, *1980) im Dialog mit der permanenten Sammlung dieses sehenswerten Museums ein poetisches Universum. 70 Werke, davon die Hälfte eigens geschaffen, erzeugen mit Zeichnung, Keramik, Textil eine einnehmende Wunderwelt voll politisch hochaktueller Spitzen.
14. Oktober 2025 – 8. März 2026
Christo & Jeanne-Claude Open-Air auf der Seine
Zum ersten Mal seit der legendären Verhüllung des Arc de Triomphe (2021) zeigt Paris wieder ein monumentales Projekt des Künstlerpaars – diesmal direkt am Ufer der Seine. Präsentiert werden Modelle, Pläne und großformatige Installationen früherer Paris-bezogener Werke, darunter der Pont-Neuf (1985).
6. September – 30. Oktober 2025
... und außerdem: Jeffrey Gibson bei Hauser & Wirth Paris
Mit indigener Handwerkskunst, Popkultur und aktivistischer Symbolik konnte Jeffrey Gibson (*1972) den US-Pavillon zur 60. Biennale von Venedig 2024 ausschmücken. „This is dedicated to the one I love“ übersetzt mit Textilien, Skulpturen und Gemälden kulturelle Identitäten in eine singuläre Bildsprache.
20. Oktober – 20. Dezember 2025

George Condo, The Portable Artist, 1995, Private collection © ADAGP
Dreimal Must see
Die Fondation Cartier pour l’art contemporain eröffnet am 25. Oktober 2025 ihr neues Zuhause am 2 Place du Palais-Royal, im Herzen von Paris. Architekt Jean Nouvel, der bereits das Stammhaus bei Montparnasse errichtete, verwandelte die Grands Magasins du Louvre in einen dynamischen Ausstellungsraum mit fünf mobilen Plattformen. Die Eröffnungsschau "Exposition Générale" zeigt 40 Jahre Sammlung. Zu den Highlights zählen Werke wie die Skulpturen von Ron Mueck und die Lichtinstallationen von James Turrell. Ein architektonisches und kulturelles Ereignis! Kostenloses Eröffnungswochenende: 25. und 26. Oktober.
Die KADIST Foundation bleibt derweil im 18. Arrondissement, in der 19bis/21 rue des Trois Frères. Die Gründer Vincent Worms und Sandra Terdjman setzen mit Familien-Vermögen weiterhin auf zeitgenössische Kunst und Gesellschaftsdialog. Während der Messen läuft hier die Ausstellung "Threads of Kinship" (bis Jan. 2026), die das Thema Verwandtschaft als politische Kraft beleuchtet.
Nur 10 Gehminuten entfernt, gleich bei der quirlig-bunten Metrostation Barbès-Rochechouart setzt ein Wiener Player zum Sprung an: Die etablierte österreichische Messe PARALLEL Vienna lockt am 21., 22., 23. Oktober in die Nummer 13 der Rue Belhomme mit Ausstellung am Tag und Performance in der Nacht in die Mauern des ehemaligen Kaufhauses Tati. "Prequel" präsentiert, so die Veranstalter, eine kuratierte Zusammenstellung österreichischer und internationaler Künstler*innen und Galerien mit multimedialen Werken, Skulpturen, Installationen, Videos, Klanginstallationen und Performances. Das in den zwei Untergeschossen des Gebäudes geplante Nightlife dürfte ein ideales After für alle Messefreaks sein.
... und außerdem:
Im einstigen Hotspot Belleville sehenswert: "Camera Ballet" von Mathilde Denize (25. Sept. 2025 – 11. Jan. 2026) im Kunstzentrum Le Plateau (FRAC Île-de-France) im 19. Arrondissement von Paris, 22 rue des Alouettes. Denizes erste institutionelle Einzelausstellung erforscht als Gesamtkunstwerk die Schnittstelle von bildender und darstellender Kunst, insbesondere durch Film und Installation.

The Fondation Cartier pour l’art contemporain, Foto © Martin Argyroglo
