Kunstgeschichte Kompakt: Raffael
Am 6. April 1520, einem Karfreitag, starb Raffaello Santi in Rom im Alter von 37 Jahren. Er war der jüngste des viel gerühmten Dreigestirns der Hochrenaissance neben Leonardo da Vinci (1452–1519) und Michelangelo Buonarroti (1475–1564). Früh vollendet, hinterließ das Künstlertalent ein bemerkenswertes, sehr umfangreiches und vielseitiges Œuvre, bis weit ins 19. Jahrhundert wurde er als einer der größten Maler aller Zeiten geschätzt, und auch im frühen 21. Jahrhundert wirkt seine Kunst wieder inspirierend auf Kunstschaffende der Gegenwart. Lesen Sie mehr über Raffael in PARNASS 02/2020.
Raffael wurde 1483 in Urbino geboren, nach dem ersten Malunterricht bei seinem Vater kam der 11-Jährige 1494 in die Werkstatt von Pietro Perugino in Perugia. Bald hatte er dessen Stil mit den anmutig gestalteten Figuren soweit übernommen, dass eine Unterscheidung der Hände von Meister und Schüler nur mit Mühe gelang. 1504 vollendete Raffael seine Frühphase mit der „Vermählung Mariae“ für die Kirche San Francesco in Città di Castello, wobei er in der meisterlich gelösten perspektivischen Tiefenstaffelung der plastischen Gestalten seinen Lehrer Perugino übertraf, der zur selben Zeit das gleiche Sujet malte.
1504 begab sich der junge Maler nach Florenz, wo seine Vorbilder Leonardo da Vinci und Michelangelo tätig waren. Er zeichnete nach den Skulpturen Michelangelos, studierte die raffiniert ausgewogenen geometrischen Kompositionen da Vincis sowie die Malereien von Fra Bartolomeo und entwickelte aus diesen Einflüssen schnell einen eigenständigen Stil. Bald machte er sich als Meister von harmonischen Madonnendarstellungen mit Christus- und Johannesknaben einen Namen, das Motiv wurde zu einem Bestseller, wie die Variationen „Die Schöne Gärtnerin“ (Louvre), „La Madonna della Rosa“ (Prado), „Madonna im Grünen“ (KHM), „Madonna mit dem Stieglitz“ (Uffizien) und die „Madonna Esterházy“ (Szépmüvészeti Múzeum, Budapest), alle in der Florentiner Zeit entstanden, beweisen.
Ende 1508 wurde Raffael durch Papst Julius II. nach Rom berufen, um sich an der Ausgestaltung der Stanzen, der privaten Papstgemächer im Vatikan, mit Fresken zu beteiligen. Nach den ersten Wandbildern war Julius II. so überzeugt von dem 26-jährigen Maler, dass er ihm den alleinigen Auftrag für die gesamte Ausstattung übertrug und die Werke der anderen Künstler wieder abschlagen ließ. Bis fast an sein Lebensende, bis 1517, sollte Raffael an diesem Projekt arbeiten. Die Wandgemälde mit der „Schule von Athen“ (bei dem Zusammentreffen der Philosophen verewigte sich der junge Mann neben antiken Geistesgrößen wie Platon und Aristoteles), dem „Parnass“ und der „Disputa del Sacramento“ zählen bis heute zu den herausragendsten kompositorischen Meisterwerken der italienischen Hochrenaissance.
Auch in der Bildnismalerei brachte er es zu höchster künstlerischer Virtuosität, porträtierte Papst Julius II. (National Gallery, London) sowie Papst Leo X. mit den Kardinälen Giulio de' Medici und Luigi de' Rossi (Uffizien), aber auch reiche Adelige wie Baldassare Castiglione.
Längst leitete der junge Malerstar eine perfekt strukturierte Werkstatt, die für die schnelle und effiziente Ausführung zahlreicher Aufträge nach seinen Entwürfen und Vorzeichnungen zuständig war, denn nach Bramantes Tod 1514 wurde Raffael auch die Bauleitung für den Neubau des Petersdoms übertragen. Daneben entwarf er für Papst Leo X. die Kartons für eine Teppichserie mit Darstellungen aus der Apostelgeschichte für die Sixtinische Kapelle, die dann in der Werkstatt von Pieter van Aelst in Brüssel als Tapisserien realisiert wurden.
Der Tod erreichte Raffael auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, er starb nach zwei Wochen starken Fiebers. Sein unerwartetes Ableben löste tiefe Trauer und Bestürzung aus. Lesen Sie mehr zu seinem 500. Todestag hier.
Raffael in Wien
Die bezaubernde „Madonna im Grünen“ im Kunsthistorischen Museum, am Halssaum des Kleides Mariens mit der Jahreszahl M.D.V. datiert (oder vielleicht auch als M.D.V.I. zu lesen), ist während des Aufenthalts von Raffael in Florenz entstanden, als er besonders stark von Leonardo geprägt war. Die Gruppe der Muttergottes mit Jesus und dem Johannesknaben ist in die streng geometrische Form einer Pyramide eingeschrieben, gleichzeitig bilden das Christuskind und Maria die Mittelachse, die das Bild in zwei Hälften teilt, wobei der Kopf Jesu‘ in etwa die Mitte des Gemäldes markiert. Die Komposition, eingebettet in eine liebliche Wiesenlandschaft mit einem fernen Horizont in zarten Blautönen, lässt an Leonardos Bildfindungen und an sein Sfumato denken. Die Dreiergruppe ist auffallend menschlich, ihr Verhalten sehr liebevoll gestaltet: Maria unterstützt ihr Kleinkind bei seinen ersten Schritten, während dieser dem knienden Johannes das Kreuz, wie im Spiel von Kindern, wegnehmen möchte. Dabei haben Jesus und der Johannesknabe engen Blickkontakt, so, als seien sie sich der Symbolik des Kreuzes sehr wohl bewusst.
Die 113 Zentimeter mal 88,5 Zentimeter große Pappelholz-Tafel, eine mittlerweile fragile Preziose, erfuhr in diesem Frühjahr eine umfangreiche restauratorische und wissenschaftliche Untersuchung mit Röntgenaufnahmen und Infrarotreflektografie. Diese Aufnahmen zeigen Unterzeichnungen und liefern interessante Erkenntnisse über die Pentimenti, die „Reuestriche“ während des künstlerischen Schaffensaktes, wie auch über Änderungen in den Farbschichten, wodurch man Raffaels kreative Prozesse besser zu verstehen lernt. So wurde sichtbar, dass der damals knapp 23-jährige Künstler beispielsweise mehrfach die Horizontlinie versetzt hat. Nach dem Sommer wird die „Madonna im Grünen“ wieder ausgestellt, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Eine konzentrierte und stringente Präsentation im Eckkabinett 4 der Gemäldegalerie der italienischen Meister rund um die „Hl. Margarete“, einem starken wie sinnlichen Spätwerk Raffaels (um 1518), und die „Hl. Familie mit Johannesknaben“ (um 1513/14) bietet den Besuchern Einblicke in die neue Bildsprache, die sich in Florenz zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwickelte. Dazu die Kuratorin der Gemäldegalerie:
Ein weiterer Schatz im Besitz des KHM ist eine fast vollständige (9 von 10 Stück) Tapisserieserie mit Szenen aus dem Leben der Apostel Petrus und Paulus, welche nach Raffaels Originalkartons für die Sixtinische Kapelle in Rom um 1600 in Brüssel in Wolle und Seide nachgewebt wurde.
Finden Sie hier das Video zu unserem Besuch im Kunsthistorischen Museum Wien: Silvie Aigner im Gespräch mit Stefan Weppelmann, Leiter der Gemäldegalerie.
Und schließlich befinden sich in der Albertina Wien die wohl bedeutendsten Bestände an Raffael-Handzeichnungen, nicht nur zahlenmäßig, sondern auch hinsichtlich ihrer Besonderheit und Schönheit: rund 50 Blätter, von denen die meisten auf beiden Seiten mit Kompositionen und Detailstudien versehen sind.
Achim Gnann, Experte für italienische Kunst des 15. bis 19. Jahrhunderts in der Albertina und Kurator der großen Raffael-Schau 2017 in Wien, sieht in Raffael einen der außergewöhnlichsten und faszinierendsten Zeichner aller Zeiten und nennt auf Anfrage zwei Lieblingsblätter: Die „Madonna mit dem Granatapfel“ (1504) und eine Studie für die „Schule von Athen“.
„Das Blatt ist ein besonders schönes Beispiel dafür, mit welcher Sorgfalt der Künstler seine Gemälde vorbereitet hat. Raffael gebrauchte hierfür den Silberstift, der sich durch seine feine Linie zu präziser Wiedergabe aller Details eignet. Um sich die Anordnung der Gruppe zu veranschaulichen, verwendete er Gehilfen in Studiotracht, deren Arme und Beine freigelegt sind, um die Muskulatur der Glieder und deren Verkürzung genau beobachten zu können. Die dem Licht zugewandten Partien akzentuierte er durch Weißhöhung. Zu allen Gruppen im Fresko hat Raffael derartige Zeichnungen angefertigt, bevor er sie in einem Gesamtentwurf, dem Modello, zusammengefügt hat. Von diesem fertigte er den Karton an, mit dem er die Komposition auf das Wandbild übertrug“, erklärt Gnann den aufwendigen Entstehungsprozess der Arbeiten.
Raffael hat die ersten Fresken für die Stanzen allein ausgeführt, erst ab 1515 gibt es eine Beteiligung von Werkstattmitgliedern bei der Durchführung.