Kunst im Schatten des Krieges: Das Salzkammergut im Fokus der NS-Zeit
Das Salzkammergut war während der NS-Zeit Umschlagplatz und Bergungsort bedeutender Kunstwerke. Das Lentos zeigt dazu eine facettenreiche Ausstellung, die mit neuen Fakten aufwartet. Parallel dazu werden innerhalb des Kulturhauptstadt Programmes auch im Kammerhofmuseum Bad Aussee und in Lauffen das Thema Kunstraub behandelt.
Kunsthistorische Rettungen
Der Genter Altar der Gebrüder van Eyk ist wohl das bedeutendste Werk, das im Altausseer Bergwerk lagerte. Adolf Hitler ließ die Tafeln des Flügelaltars in einem „Raubzug“ von seinem südfranzösischen Bergungsort ins Schloss Neuschwanstein bringen. Von dort wurden sie – wegen der zunehmenden Bombengefahr – 1944 nach Altaussee verlagert. Im sogenannten Führervorbehalt waren die Bilder für die Berliner Gemäldegalerie bestimmt. Ihre abenteuerliche Rettung ist spätestens seit 2014 durch den amerikanischen Film „The Monuments Men“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Aufgrund seiner herausragenden kunsthistorischen Bedeutung war der Genter Altar auch das erste Kunstwerk, das restituiert wurde. Er kehrte im Oktober 1945 in die Kathedrale von Gent zurück.
Das historische Modell des Altars ist gleich neben dem Eingang in der großen Halle im Obergeschoss zu sehen. Mit seiner Geschichte steht der Altar exemplarisch für rund 80 Originale – Gemälde und Objekte – der Ausstellung, die ab 1944 im Salzkammergut gesammelt und gelagert wurden. Es handelt sich um Meisterwerke aus dem 8. bis 20. Jahrhundert, darunter Werke von Arnold Böcklin, Goya, Edvard Munch, Anthonis van Dyck, Tizian und Ferdinand Waldmüller. Einige der Werke sind zum ersten Mal seit ihrer Bergung wieder außer Landes.
„Die Reise der Bilder“ ist die erste Ausstellung, die sich auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Forschung mit Hitlers „Führermuseum“ auseinandersetzt und auch Richtigstellungen vornimmt: So war der Großteil der in Altaussee gelagerten Kunstwerke nicht für das „Führermuseum“ in Linz, sondern für Museen im gesamten Großdeutschen Reich bestimmt. Die Ausstellung ermöglicht erstmals auch differenzierte Aussagen zum Kunstgeschmack Hitlers und gibt einen Überblick über die Zusammenhänge von Kunstraub, Enteignung, Sammlung, die Bergungen sowie die Rolle von Museumsdirektoren und Kunsthändlern.
Die Schau ist – gemeinsam mit zwei weiteren Ausstellungen des Lentos im Kammerhofmuseum in Bad Aussee und im Alten Marktrichterhaus in Lauffen bei Bad Ischl – eine Kooperation mit der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 im Rahmen der Programmlinie „Macht und Tradition“. Kuratorinnen sind Elisabeth Nowak-Thaller, Vizedirektorin des Lentos, und Birgit Schwarz, Kunsthistorikerin und international anerkannte Expertin für NS-Kulturpolitik. Die Ausstellungsgestaltung stammt von Nicole Six und Paul Petritsch.
Bergwerke als Kunstdepots
Der Raum im Obergeschoss des Lentos öffnet sich in seiner ganzen Größe ohne Unterteilung. Überschriften mit kurzen Texten gliedern als an die Wand gelehnte Elemente das komplexe Themenfeld in einzelne Abschnitte: Das „Führermuseum“ – im Zentrum des nationalsozialistischen Kunstraubes, seine Protagonisten, die Museumsdirektoren Hans Posse und Hermann Voss als Leiter des „Sonderauftrags Linz“, die Münchner Schack-Galerie, die sich Hitler als Sammler zum Vorbild nahm, die Bergung der Kunstschätze aus Wiener Museen sowie Bergwerke als Kunstdepots werden den Besuchern kapitelweise vorgestellt.
Der Kunsthandel im Zweiten Weltkrieg, dessen Netzwerke unter anderem zu Wolfgang Gurlitt, dem Gründungsdirektor des Lentos, ins Salzkammergut führten, und die Restitution von Gemälden der Sammlung der Stadt Linz stehen im Zentrum der Ausstellung im Annexraum.
Nicole Six und Paul Petritsch präsentieren die Kunstwerke chronologisch, nach Orten gruppiert und als Statement des Widerstandes in der Hitler verhassten St. Petersburger Hängung. Sie werden anhand von Texten, ausführlichen Angaben zur Provenienz, historischen Fotografien, Filmdokumenten und Landkarten kontextualisiert. Insgesamt waren es sieben Orte im Salzkammergut – neben Stollen auch Gasthäuser unKirchen – in denen Kunstwerke gelagert wurden. Im Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl wurden in einer geheimen Aktion Kunstwerke der sogenannten A-Kategorie der österreichischen Museen eingelagert. In einer für die Ausstellung entstandenen Filminstallation, die auf Monitoren zu sehen ist, durchstreifen Nicole Six und Paul Petritsch in langsamen Kamerafahrten Räume und Orte des Geschehens.
Die Mitte des Raumes nimmt die raumgreifende Installation „Ruinenwert" von Henrike Naumann ein, die 2019 für das Haus der Kunst in München entstand und für das Lentos unter anderem um eine Wiege mit der Inschrift „Für Volk und Vaterland“ aus der Sammlung Nordico ergänzt wurde. Ein typisches deutsches Wohnzimmer der NS-Zeit, Wohnlandschaften, Tische, Stühle und Objekte in loser Anordnung eröffnen einen Reflexionsraum ästhetisch-politischer Inszenierung.
Das Lentos Kunstmuseum Linz setzt mit der „Reise der Bilder“ einen wichtigen Meilenstein in der wissenschaftlichen Aufarbeitung und kritischen Kontextualisierung eines international relevanten Themas. Mit der Ausstellung wird ein Diskurs angestoßen, der Fragen nach Verantwortlichen, Netzwerken und nach Recht und Unrecht stellt. Der Blick auf die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem systematischen Kunstraub und der Vernichtung von Kulturgütern zeigt, dass die Erkenntnisse aus der Geschichte notwendiger denn je sind.
Lentos Kunstmuseum
Ernst-Koref-Promenade 1, 4020 Linz
Österreich
Die Reise der Bilder
bis 8. September 2024