Sticktücher gegen die Behäbigkeit von Sturschädeln

Kulturhauptstadt 2024 – Bad Ischl und Salzkammergut

Kulturhauptstadt Opening, Katharina Cibulka, SOLANGE © Henrieke Ibing, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Die Nominierungen zur europäischen Kulturhauptstadt fordern meist sowohl das geografische als auch das kunsthistorische Wissen von kulturinteressierten Menschen heraus. Bei Bad Ischl war das wohl nicht anders. Denn die ersten Assoziationen – sofern vorhanden – liegen eher beim österreichischen Kaiser Franz Joseph und einer kitschigen Operettenseligkeit. Seit Januar 2024 werkeln nun Bad Ischl und die Salzkammergut-Gemeinden an einem zeitgenössisch-aufgeschlossenen Image.


Von Kaiserromantik zur zeitgenössischen Kulturhauptstadt

Wenn die Besucher vom Ischler Bahnhof Richtung Innenstadt spazieren, werden sie von einem überdimensionalen Staubschutznetz mit einem handbestickten Schriftzug empfangen: »Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in.« steht da. Die weithin sichtbare Installation ist Teil des interaktiven und auf Dialog ausgerichteten Kunstprojekts »Solange«. Das wurde von der Künstlerin Katharina Cibulka im Jahr 2018 ins Leben gerufen. Mit diesem Projekt appelliert sie an unterschiedlichen Orten für eine tolerante, weltoffene und faire Gesellschaft, in der Gleichberechtigung selbstverständlich ist und sich die Geschlechter auf Augenhöhe begegnen. Für Cibulka ist Feminismus keine »Frauensache«, sondern betrifft alle Teile einer Gesellschaft. Ihrer Auffassung nach profitieren von einem Aufbrechen tradierter Rollenklischees alle.

Im Angesicht dieses Transparents erinnert man sich sofort an die heftigen Diskussionen und Neubesetzungen, die im Vorfeld des Kulturhauptstadt-Projekts zu erleben waren. 

Kulturhauptstadt Opening, Katharina Cibulka, SOLANGE © Henrieke Ibing, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Kulturhauptstadt Opening, Katharina Cibulka, SOLANGE © Henrieke Ibing, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Etwa an den Abgang des ersten künstlerischen Leiters, des Theaterleiters (»Dschungel Wien«) und Regisseurs Stefan Rabl, der in der Planung, wie während der Eröffnung von Mitgliedern des Auswahlkomitees zu erfahren war, doch zu sehr im Regionalen verankert war. Ein Moment, das bei seiner Bewerbung für den gestandenen Waldviertler gesprochen hatte. Mit seiner Nachfolgerin, der Kulturmanagerin und Intendantin Elisabeth Schweeger, hat die Ausrichtung eindeutig an internationalem Format zugelegt.

Wobei sich ein Großteil der Diskussionen selbstverständlich darum gedreht hat, inwieweit die Stadt an sich und die Gemeinden des Salzkammerguts in das Festival eingebunden werden können. Denn die Einstellung »Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woar« war zum Beispiel in einem erhellenden Ö1-Journal-Panorama (»Dissonanzen im Salzkammergut«, von Günter Kaindlstorfer am 4. Juli 2023) von einigen Interviewpartnern deutlich zu vernehmen. Da wurde offen für Kaiser und Operette Stellung bezogen und das Neue, das Zeitgenössische vehement abgelehnt.

Dieser Zug in die Vergangenheit ist jedoch abgefahren: Das Kuratorenteam rund um Elisabeth Schweeger hat für das Jahr ein ungemein vielfältiges Rahmenprogramm kreiert. Ein Programm, das mit Ausstellungen, »Artists-in-Residence«-Programmen, Performances, Installationen, Workshops, Konzerten und Theateraufführungen alle zur Verfügung stehenden Medien abdeckt.

Des Weiteren ist es dem Team gelungen, tatsächlich alle Salzkammergut-Gemeinden in das Programm zu integrieren – bis auf die Gemeinden am Wolfgangsee. Die wollten aus nicht wirklich stichhaltigen Gründen – „die Angst Touristen zu verlieren“ – nicht mitmachen. Außerdem argumentierten sie, sowieso das Kunstfestival »Art Circle International« zu veranstalten, das von Ende April bis Anfang Mai 22 Künstler aus 15 Nationen für eine Woche zum Arbeiten an den Wolfgangsee bringt. Den Künstlern konnten Interessierte in sechs Hotels beim Arbeiten über die Schulter blicken. Eine Woche geht noch, aber ein Jahr war wohl zu viel für den Wolfgangsee.

Xenia Lesniewskis Apocalypso Bar am Bhf Traunkirchen, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024, der größere © Xenia Lesniewski

Xenia Lesniewskis Apocalypso Bar am Bhf Traunkirchen, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024, der größere © Xenia Lesniewski

Aber die anderen 23 Gemeinden sind dabei und das kann bei der seit fast Jahrhunderten bestehenden, tiefen politischen und gesellschaftlichen Spaltung im Salzkammergut schon als kleines Wunder bezeichnet werden. Ob die Orte aufgrund des Festivals näher zusammenrücken, wird man frühestens Ende Dezember 2024 beurteilen können.

Das ambitionierte Kulturhauptstadt-Programm konnte auch die etwas holprige Eröffnung im Januar nicht stoppen. Denn nach der feierlichen Zeremonie im Kurpark gab es beim Bad Ischler Tourismusverband nicht weniger als 175 Beschwerden. An einem Sonntag. Ein Betreiber einer Pension fiel mit der Wortmeldung auf: »Bei der Eröffnung waren keine Ischler, nur Fremde!« Was natürlich zur Gegenfrage verführt, ob das nicht der Sinn der Sache gewesen sei? Sich zu öffnen, neue Besucherschichten in die Stadt zu bringen – lieber Camo & Krooked als Lehar & Strauss. Auf solche Fragen wurde geflissentlich nicht reagiert.

Höhepunkte des ersten Halbjahres 

Was hat im ersten halben Jahr für Aufsehen gesorgt? In Bad Ischl ist die von Gottfried Hattinger kuratierte, thematisch naheliegende Ausstellung »kunst mit salz & wasser« im Sudhaus durchaus gelungen. Vor allem die Positionen von Sigalit Landau, Motoi Yamamoto (mit seinem auf den Boden gezeichneten Labyrinth und wandernden Salzhaufen) und Anna Rún Tryggvadottir (mit einer sich bis zum Ende der Ausstellung täglich ändernden Farbtropfen-Salz-Installation) bleiben in Erinnerung. Auch die Musik-Video-Installation »Ballet Mécanique« von George Antheil/Fernand Léger und der »Musikmaschine« von der FH Joanneum geriet ziemlich beeindruckend. Gerade auch wegen des Ortes, wo sie präsentiert wurde: im alten heruntergekommen, aber charmant-stimmigen Lehártheater, das eigentlich bis zum Antritt als Kulturhauptstadt renoviert hätte sein sollen. 

 Motoi Yamamoto - Labyrinth © Mitchell Kearney, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

 Motoi Yamamoto - Labyrinth © Mitchell Kearney, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Unweit von Bad Ischl in Bad Goisern sorgte ein Projekt des Künstlers Alfredo Barsuglia für einiges an Aufsehen und Kontroversen  – obwohl es für fast ein Jahr nicht zu sehen ist: Für die Seitenschiene »Analog – Das Handwerkliche in der Kunst« hat der 1980 in Graz geborene Künstler eine klassische Bauernstube vergraben. Im Oktober soll das Zimmer von Archäologen wieder ausgegraben und die Überreste sollen dokumentiert werden. Ein künstlerischer (Verrottungs-)Prozess, der zu wilden Diskussionen und Beschimpfungen in der Stadt geführt hat.

Aufmerksamkeit verdienen auch die sich regelmäßig ändernden Ausstellungen in ehemaligen Bahnstationen im Salzkammergut: An sich leerstehende Bahnhöfe aus mehreren Jahrhunderten, die für das Festival teilweise von der Österreichischen Bundesbahn adaptiert wurden und sowohl als Ausstellungsfläche dienen als auch als Unterkunft für Künstler-Residencies.

Eine atemberaubende, raumgreifende Installation ist die In-situ-Arbeit »Wo sind wir jetzt?« der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota im Ebenseer Stollen. In dieser abschreckenden Diktatur-Architektur mussten Insassen des in Ebensee errichteten Nebenlagers des Konzentrationslagers Mauthausens oft bis zum oft letalen Zusammenbruch schuften. Die Künstlerin, die Japan im Jahr 2015 bei der Biennale Venedig vertreten hat, platziert 25 überlebensgroße, in intensivem Rot gehaltene Kleider im Stollen, um die Anwesenheit der Opfer erspüren zu können. Allein schon von den massiven Dimensionen und den Gegensätzen zwischen brutalem Beton und warmer Stofflichkeit eine famose, zum Reflektieren anregende Inszenierung.

Chiharu Shiota – Wo sind wir jetzt_ Installation © OSKAR C.NEUBAUER. Courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Chiharu Shiota – Wo sind wir jetzt_ Installation © OSKAR C.NEUBAUER. Courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

In dieser Tonart von Eröffnungen, Installationen und Präsentationen wird es in Bad Ischl und im Salzkammergut bis zum Ende des Jahres weitergehen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob sich Aufgeschlossenheit gegenüber zeitgenössischer Kunst und Kultur sowohl in Bad Ischl als auch bei den 23 teilnehmenden Gemeinden etablieren kann. Prognosen sehen hier eher die Gemeinden voran, denn in Ischl selbst, wie es ein ansässiger Tischler pointiert formuliert hat,

tuast da schwa gegn die Sturschädl!

 

Kulturhauptstadt Bad Ischl | Salzkammergut 2024

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