Koloman Moser - Der Tausendkünstler

Gesamtkunstwerk – der Begriff gilt als unübersetzbar. Wer ihn verstehen will, kommt um Koloman Moser nicht herum, der ihn wie kein anderer Künstler der Wiener Moderne verkörperte. Das Schicksalsjahr 1918 setzte am 18. Oktober, zwei Wochen vor dem offiziellen Ende der Habsburgermonarchie, auch seinem Genie ein Ende.


Nach Gustav Klimt sowie Otto Wagner und wenige Tage vor Egon Schiele verließ mit dem erst fünfzigjährigen Koloman Moser ein weiteres Genie die Bühne des Wiener Fin de Siècle, eine Ära bis dahin ungeahnter künstlerischer Kreativität war zu Ende. Entsprechend intensiv wurde 2018, hundert Jahre später, mit Publikationen, Ausstellungen und Ereignissen aller Art der längst zu Publikumsmagneten avancierten Künstler gedacht und ihr Werk einer aktuellen, teilweise kritischen Neubewertung unterzogen. So rückte 2018 etwa das MAK den „Tausendkünstler“, wie Hermann Bahr seinen Freund im Hinblick auf dessen funkelndes Ideenspektrum bezeichnete, in der Übersichtsschau „Koloman Moser. Universalkünstler zwischen Gustav Klimt und Josef Hoffmann“ ins verdiente Rampenlicht.

Neben den Malerstars Klimt und Schiele oder den Architekten Wagner und Hoffmann, die ihn an Popularität teilweise überflügelten, lag Mosers Talent vor allem in seiner Vielseitigkeit. Als Maler und Zeichner, Grafiker und Designer, Bühnen-, Ausstellungs- und Raumgestalter für Wohnungen und Geschäfte, als Entwerfer von Metall- und Lederwaren, Glas-, Keramik- und Porzellanobjekten, Textilien, Mode und Schmuck drückte er praktisch allen Gebieten der Kunst seinen Stempel auf. „Wien um 1900“, in dessen Fokus er etwa ein Jahrzehnt lang agierte, inspirierte und prägte ihn gleichermaßen, wie er zu dessen internationalem Erfolg beitrug. Als Lehrer an der Kunstgewerbeschule, Ausstellungskurator und Manager der wichtigsten Institutionen – Wiener Secession und Wiener Werkstätte – war er einer der aktivsten Motoren der Bewegung und saß an den entscheidenden Schaltstellen der Szene. Bestens vernetzt, hatte er Kontakte zu Künstlerkollegen aller Sparten, Produktionsfirmen, Auftraggebern und Käufern und verstand es bestens, diese Kontakte für sich und andere zu nützen.

Am Beginn und am Ende seines Lebens stand die Malerei, dazwischen dominierte das Kunstgewerbe sein Œuvre. Mosers schöpferischem Geist kam dabei sein handwerkliches Geschick zugute, das er bereits als Kind entwickeln konnte: Als Sohn des Verwalters der Wiener Nobelschule Theresianum hatte er Zutritt zu den diversen Werkstätten, die den Zöglingen zum Erlernen eines Handwerks neben der akademischen Ausbildung zur Verfügung standen. Hier konnte er sehr früh ein Gefühl für unterschiedliche Materialien und ihre Besonderheiten entwickeln und jene Bearbeitungstechniken erlernen, die später seine Entwürfe ebenso außergewöhnlich wie praktikabel machten. Die Notwendigkeit, nach dem Tod des Vaters schon in jungen Jahren als Illustrator seinen Unterhalt zu verdienen, ließ ihn die zeichnerische Fantasie und Routine trainieren, die ihm in all seinen Gestaltungsideen zugutekam. Sein gesellschaftlicher Aufstieg aus kleinbürgerlichen Verhältnissen zum international renommierten Künstler, Kunstprofessor und Stardesigner, seine Omnipräsenz im Wiener Kulturleben führte jedoch am Gipfel des Erfolgs, mit Ende 30, zur Krise, zur Frustration über die Unvereinbarkeit von künstlerischer Freiheit sowie kunstgewerblicher Zweck- und Kundenorientiertheit, zum „Ekel“ gegenüber der Idee des Gesamtkunstwerks und schließlich 1907 zum Rückzug in die freie Malerei.

KOLOMAN MOSER | Anonym, um 1903, Fotografie, 11,3 × 8,3 cm, MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Wien

KOLOMAN MOSER, Blick auf die Rax von der Villa Mautner von Markhof im Abendlicht, 1913, Öl auf Leinwand auf Karton | 36 × 48,9 cm, Sammlung Richard Grubman © Sylvia Kovacek GmbH, Wien

Schon um 1900, vor allem aber nach seinem Rückzug von der Wiener Werkstätte 1907 beschäftigte sich Moser immer wieder mit dem Theater. Doch abgesehen von einzelnen Ausnahmen blieben seine innovativen Ideen weitgehend unbeachtet. Dekorationsskizzen unter anderem für Stücke von Friedrich Hebbel und Hermann Bahr oder eine Oper von Hans Pfitzner wurden auf diversen Theaterkunst-Ausstellungen präsentiert, gelangten jedoch nie zur Ausführung. Erst die Zusammenarbeit mit dem zu seiner Zeit sehr erfolgreichen Komponisten Julius Bittner führte zum Erfolg: Bittners Opern „Der Musikant“ und „Der Bergsee“ wurden 1910 beziehungsweise 1911 in Mosers Ausstattung an der Wiener Hofoper uraufgeführt. Die Bühnenbildentwürfe und Kostümfigurinen zu „Der Bergsee“ wurden vor einigenJahren für das Theatermuseum erworben.

Außer den sporadischen Ausflügen in die Welt der Bühne zog sich Moser im letzten Lebensjahrzehnt in sein Atelier zurück, studierte Goethes Fabenlehre, experimentierte mit Licht- und Farbeffekten und schuf ein zwischen Neoimpressionismus, abstrahierenden Farbflächen und expressionistischen Experimenten changierendes malerisches Werk. Neueste Erkenntnisse dazu sowie zu Mosers Druckgrafik enthält ein Online-Œuvrekatalog, der in der vom Dorotheum geförderten Reihe Belvedere Werkverzeichnisse erscheinen und nächstes Jahr durch die Veröffentlichung der Zeichnungen ergänzt und abgeschlossen wird.

Koloman Mosers Genialität ist längst weit über Wien und Österreich hinaus anerkannt, er findet in New York, wo ihm die Neue Galerie 2013 höchst erfolgreich eine Retrospektive widmete, ebenso seine Bewunderer wie in Tokio, wo sich Hiromi Kawasaki als anerkannte Moser-Forscherin seit Jahren mit ihm beschäftigt. 2019 wird sie ihm im Ginza Museum eine Ausstellung widmen und in der angeschlossenen Galerie Textilien und Kunstgewerbe von Moser und der Wiener Werkstätte vertreiben.

Stellt sich die Frage, ob es bei der Anbetung der Asche bleibt oder die Flamme weitergegeben wird. Koloman Mosers Werke – Gemälde ebenso wie Möbel und Objekte – beleben den Kunsthandel, Firmen wie Lobmeyer oder Backhausen produzieren weiterhin Gläser, Geschirr und Stoffe nach originalen Moser-Entwürfen, von Moser inspirierte Schmuckstücke finden begeisterte Käufer, wobei die Grenzen zwischen Paraphrase und Plagiat mitunter fließend sind. Anders verhält es sich, wenn ein international erfolgreicher Wiener Modedesigner wie Arthur Arbesser eine „Wiener Garderobe“ entwirft, die Originalstoffe und Inspirationen durch die Wiener Werkstätte mit dem kreativen Geist von heute in Relation setzt und Lobeshymnen von Modeexpertinnen wie Suzy Menkes erntet. Von österreichischen Models präsentiert, von Starfotografin Elfie Semotan in Szene gesetzt und abgelichtet, zierte die Kollektion im Oktober 2018 das Foyer des Leopold Museums.

KOLOMAN MOSER | Paravent, 1906, Ausführung: Karl Beitel, Therese Trethan | © MAK/Georg Mayer

Darüber hinaus kann man nur spekulieren, welchen Einfluss ein Künstler und Netzwerker vom Kaliber eines Koloman Moser heute ausüben würde. Die Idee des Gesamtkunstwerks hat sich bereits zu seinen Lebzeiten als ein die Individualität einschränkendes Prinzip überlebt, doch die Verbindungen und Überschneidungen zwischen Malerei, Grafik, Architektur und Design sind durchaus wieder aktuell.

KOLOMAN MOSER | Stoffmuster Palmenblatt, 1898, Ausführung: Joh. Backhausen & Söhne | © MAK/Katrin Wißkirchen

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