Katharina Sieverding auf Schloss Dachau
Richtig idyllisch wirkt der Blick aus dem Fenster. Ein wohlgeordneter und lieblicher Hofgarten umgibt das vierflügelige Renaissanceschloss im alten, historischen Viertel von Dachau. Nur 20 Minuten von München entfernt, scheint hier ein anderes Zeitmaß zu herrschen.
Zugleich ist alles überlagert vom übermächtigen Narrativ der industriellen Massenvernichtung durch die Nationalsozialisten, wofür in Dachau der erste modellhafte Typus des Lagers erbaut worden ist. Schon am Bahnhof ist die hohe Besucherfrequenz der KZ Gedenkstätte im Nordosten bemerkbar.
Dass sich die kleine Industriestadt im Einzugsgebiet der bayrischen Metropolregion, die auch geprägt ist durch ihre Papierfabrik und die weitläufige Gewerbezone Mitte des 19. Jahrhunderts außerdem als Künstlerkolonie positioniert hat, trug schon früh zur Nutzung des Richtung Barock getrimmten Schlosses als Ausstellungszentrum bei.
Die Beuys Schülerin im Schloss der Wittelsbacher
Nur allzu logisch also, wenn das Gebäude nun in eine Kunst- und Veranstaltungshalle umfunktioniert wurde. Nach einer Baselitz Ausstellung wollten die für das lokale Kunstprogramm und eine stetig wachsende Sammlung Verantwortlichen der Dachauer Volksbank-Raiffeisenbank eine Künstlerin von ähnlicher Bedeutung einladen.
Für das Projekt mit Katharina Sieverding wurden extra die Kronleuchter abmontiert. Anstelle der gemalten Wittelsbacher Herzöge hängen jetzt die berühmten goldenen Selbstporträts der Künstlerin im Schloss. Heute längst als Markenzeichen der Künstlerin etabliert, stammen sie aus den 1970er-Jahren. Beuys, bei dem sie studierte, verwendet bereits die symbolhaft aufgeladene Substanz Gold. Sieverding hat dann in einem Club, an der Bar mit Gold geschminktem Gesicht gearbeitet und ihr eigenes Porträt per Mehrfachbelichtung und Solarisation bis ins Geheimnisvolle manipuliert.
Natürlich ist das erst das Entrée. Zu sehr dominiert hier noch die Architektur des Schlosses und viel zu vereinsamt und wie dort einfach abgestellt wirkt eine neue Videoarbeit in einer begehbaren Box im Erdgeschoss bestehend aus 200 000 Satellitenbildern der NASA von der Sonne. Es ist ein kosmisches Motiv, das die Künstlerin immer wieder aufgreift; fasziniert von dessen Schönheit und zugleich Unerreichbarkeit. Erst im großen Saal erfolgt dann der Befreiungsschlag. Sieverding hat ihn mit einer fast 30 Meter langen, diagonal aufgestellten Wandkonstruktion durchschnitten. So kommen ihre großflächigen Fotokunstwerke in Plakatgröße am besten zur Geltung. Schnell vergessen ist so die schwer getäfelte Holzdecke.
Katharina Sieverdings Ausstellung hat den Charakter einer Intervention. Ohne mit dem alten Saal des Schlosses zu konkurrieren oder zu kollidieren wirkt diese Präsentation ganz selbstverständlich, lässig und souverän. Obwohl es sich um Werke aus fünf Jahrzehnten handelt, entsteht kaum wo der Eindruck einer musealisierenden Retrospektive. Obwohl die meisten der großformatigen Fotoplakate einen deutlichen gesellschaftspolitischen Hintergrund erkennen lassen, wirkt keine der Arbeiten eindimensional oder gar belehrend. Durch ihre Schichtungen und Verschiebungen ziehen sie den Blick an. Ältere Arbeiten, die im Zuge eines längeren Chinaaufenthalts von Sieverding entstanden, wirken da wie Filmausschnitte.
Unwillkürlich ruft dies ihren Werdegang in Erinnerung. Zunächst hat die in Prag geborene Sieverding nämlich als Bühnenbildnerin – unter anderem mit Fritz Kortner – am Burgtheater in Wien gearbeitet. Dann erst – im Zuge der Stundentenproteste der 1960er-Jahre dazu animiert – wendete sie sich der bildenden Kunst als Möglichkeit gesellschaftskritischen Ausdrucks zu.
Doch selbst da, wo sie explizit politische Bezüge herstellt, verengen sich diese weder zu eindeutigen, linearen Botschaften noch tritt der formale, künstlerische Aspekt zu Gunsten rein dokumentarischer Intentionen zu sehr in den Hintergrund. Vielmehr baut die deutsche Fotokünstlerin Spannungsfelder auf, die dazu einladen, mehrmals und immer wieder kritisch hinzuschauen.
Auch in einer ihrer neuesten Arbeiten verfolgt sie dieses Prinzip. Per fotografischer Überblendung hat Sieverding die transparente Kuppel des deutschen Bundestags von Architekt Norman Foster, die getäfelte Decke des Ausstellungsraumes und die Anlage des KZ Dachau mit ihren signifikanten Überwachungstürmen miteinander verschnitten. Keine Parolen also, und kein erhobener Zeigefinger, sondern vielmehr die Einladung, spiralförmig immer wieder zurückzukehren zu den für uns bedeutsamen Fragen um Demokratie, Diskurs und Emanzipation.
Schloss Dachau
Schloßstraße 2, 85221 Dachau
Deutschland
KATHARINA SIEVERDING. AM FALSCHEN ORT II
bis 15. September 2019