Johannes Vermeer im Spiegel der Zeitgenössischen Kunst

Johannes Vermeer (etwa 1632–1675) ist der große Unbekannte der niederländischen Malerei. In seiner Malkunst brachte er Unsichtbares durch Sichtbares zum Vorschein  und erreichte eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Unmittelbarkeit in der Darstellung seiner Protagonisten und wurde so zum Vorbild einer jungen zeitgenössischen Maler-Generation.


Adam Bota

Der Wiener Maler Adam Bota (*1975 Linz) nimmt im Ursprung seiner Bildidee Bezug auf die Herkunft von Johannes Vermeer, die eng mit dem Tuchhandel und der Seiden­weberei verknüpft ist. Vermeers Vater war Seidenweber. Er führte zudem ein Gasthaus am Marktplatz von Delft, in dem er auch mit Gemälden handelte. Dort wuchs Vermeer auf und lernte bereits früh Maler und Bilderkäufer kennen. Mit 21 Jahren trat er in die örtliche Lukasgilde ein, in der sich Maler mit Kunsthandwerkern und Kunsthändlern wie in einer Zunft organisierten. Bota zeichnet die Entwicklung Vermeers anhand seiner Motive chronologisch nach und füllt seine Leinwand mit Bildelementen – überwiegend Stoffe, Teppiche, Tischteppiche und Umhänge mit Faltenwurf. Aus rund zehn Werken des flämischen Meisters entsteht so eine Art »Medley«. Mittendrin: Der Kopf der »Dienstmagd mit Milchkrug« (1658/60). Daneben die »Briefschreiberin und Dienstmagd« (1670). Beide Frauen begegnen sich in Botas Komposition, als wären sie in die textile Welt Vermeers hineingefallen, in die Welt des Meisters changierender Stoffe. 

Adam Bota, Vermeer Medley, 2021, Öl auf Leinwand, 180 x 180 cm, © by the artist, Foto: Michael Stezhammer


Eckhart Hahn

Das wie so oft bei Vermeer durch ein Fenster von links kommende Licht fällt auf den »Astronom« (1668). Er hält inne und scheint dabei die Welt in seinen Gedanken zu vermessen. Auf dem Globus ist der für die Niederlande so wichtige Indische Ozean zu sehen, der der weltweit führenden Seefahrernation in den Tagen Vermeers unter anderem durch Gewürzhandel mit Indien zu Reichtum verhalf. So detailgetreu Vermeer malt – seine Bilder scheinen wie aus dem Leben gegriffen. Dabei ist er gar nicht darauf aus, nur die sichtbare Wirklichkeit wiederzugeben. Vielmehr sind es deren Werte und Tugenden, von denen auch Eckart Hahn (*1971 Freiburg im Breisgau) erzählt. Dabei wird das Vermeer-Sujet vermehrt zur Leerstelle und die Hand des Astronomen greift ausschnitthaft nach der Weltkugel. Hahns malerische Komposition macht den Menschen zum Vorboten von Zerstörung. Mit dem Rückgriff auf die Zeit der Entdecker des 17. Jahrhunderts erzählt Hahn auch von der beginnenden Globalisierung, bei der der Mensch Hand an die Welt anlegte, um sie für sich auszubeuten – Klimawandel inklusive. Was übrig bleibt? Letztlich nur die von der Wand gerissene Blaupause der einstigen Welt, die nur fragmentarisch überlebt hat. Ein virtuoses Beispiel der Malerei von Eckhart Hahn mit einem Querverweis zur Kunstgeschichte.

Eckart Hahn, World View, 2021, Acryl auf Leinwand, 60 x 50 cm, © The artist; Courtesy: Spreegold Collection, Berlin


Leszek Skurski

In nie dagewesener Natürlichkeit schafft Vermeer um 1660 die »Ansicht von Delft« – die wohl berühmteste Darstellung der Topografie einer Stadt in der abendländischen Malerei, die der bereits im Alter von 22 Jahren mit dem Polnischen Staats­preis für Malerei ausgezeichnete Leszek Skurski (*1973 Danzig) im vergangenen Jahr adaptierte. Dabei folgt er der Herausforderung, die Figuration in die Abstraktion zu überführen. Der Maler selbst bringt seinen Modus Operandi auf den Punkt: »Meine Bilder sind visuelle Verarsche! Die Figuren sind ja gar nicht richtig gemalt, aber sie wirken wie richtige Menschen. Je näher man herantritt, desto klarer wird einem allerdings, dass es sich um abstrakte Arbeiten handelt.« Die Reduktion bewirkt auch bei der Flussszene mit Blick auf die niederländische Stadt Delft, »dass der imaginäre Betrachter das Motiv gerade noch zusammengesetzt bekommt, also mit seinem Blick kompensieren kann«, so der Künstler zu seinem Werk »Vermeer Reloaded«.

Leszek Skurski | Vermeer Reloaded | 2020 | 80 x 130 cm | Acryl auf Leinwand | Foto: The artist | Courtesy: Privatsammlung New York.


Pauline Zenk

Die Schlüsselfigur der Allegorie bei Vermeer ist das Malermodell. Mit Helligkeit umhüllt wird bei ihm die Frau zur Lichtgestalt. Ihr Gesicht scheint zu leuchten. Die Augen funkeln. Und nicht nur durch seine Lichtregie lenkt Vermeer die Aufmerksamkeit auf die Frau. Seinen Maler lässt er ihr den Kopf zuwenden. Der Blick erreicht auch heute noch den Betrachter. Bei Pauline Zenk (*1984 Marburg, Deutschland) wird der sonst anonymisierende Balken über menschliche Augen komplementär zum Sehschlitz. Voyeuristisch hält man den Blick auf Augenhöhe und das kollektive Gedächtnis ruft sogleich die Erinnerung wach: Die kenne ich doch! Das »Mädchen mit dem Perlenohrring« (1665), mindestens ebenso bekannt wie Leonardos »Mona Lisa«, schafft hier im Sujet erotisierend die Vorstellung von Begehrlichkeit. Und der Betrachter? Er fühlt sich ertappt, wie der Gast einer Peep-Show! Schließlich führt Zenk mit ihrem Pinsel Regie. Häufig in einem Themendreieck von Körper – Porträt – Identität. Die Aspekte des Öffentlichen versus dem Privaten sowie der Kommerzialisierung des Körpers reizt sie in ihrer Malerei aus. Dabei schaffen ihre Werke einen Dialog zwischen Fotografie, digitaler Kunst und traditioneller Malerei. 

Pauline Zenk | Das Mädchen mit dem Perlenohrring | 2016 | Öl auf Leinwand | 35 x 46 cm | Foto: The artist | Courtesy: Produzentengalerie Hamburg


Jan Vermeer im Spiegel der zeitgenössischen Fotografie

Neben zeitgenössischen Malern haben auch Fotokünstler die Motive, Kompositionen und Bildlösungen des niederländischen Malers Jan Vermeer für sich entdeckt und daraus Neues entwickelt. Auch Jan Vermeer selbst soll bereits mit fotografischen Hilfsmitteln gearbeitet haben. Vor allem sein Bild „Ansicht von Delft“ (1660/1661) wird mit der Verwendung der Camera obscura in Verbindung gebracht. Die Arbeiten der beiden österreichischen Künstlerinnen Irene Andessner und Dorothee Golz zeigen unterschiedliche Rückgriffe auf die Bildwelt von Jan Vermeer. In beiden Fällen ist die inhaltliche wie formale Auseinandersetzung vielschichtig.

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