Interview: Maurin Dietrich, Neue Direktorin des Kunstverein München

Die neue Direktorin des Kunstverein Münchens Maurin Dietrich | Foto: Kunstverein München

Maurin Dietrich tritt die Nachfolge von Chris Fitzpatrick als Direktorin des Kunstvereins München an. Was sie für das anstehende 200 jährige Jubiläum der Institution plant und ihre kuratorische Ausrichtung verrät Sie im Interview mit PARNASS.


PARNASS: Wofür steht der Kunstverein München in Ihren Augen?

Maurin Dietrich: Der Kunstverein München bietet wichtigen und auch streitbaren Positionen sowie KünstlerInnen einen Raum, zu einem Zeitpunkt, an dem diese oft kaum kritische, kommerzielle oder kuratorische Aufmerksamkeit erfahren. Gerade in einem größeren zeitlichen und politischen Kontext ist es unglaublich, mit was für einer Weitsicht relevante KünstlerInnen hier ihre, oft erste internationale Einzelausstellung präsentieren konnten. Ein Beispiel ist die, vor bereits fast 30 Jahren realisierte Retrospektive Adrien Pipers (1992). Aber auch anderen zentrale Positionen, wie Barbara Bloom, Eleonore Antin und auch der Aktivistin und Künstlerin Lorraine O´Grady wurde hier schon sehr früh gezeigt.

Mein Programm wird sich aus dem Dialog mit der Geschichte des Kunstvereins heraus entwickeln

Maurin Dietrich

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Kunstverein München oft Vertrauen in künstlerische Positionen hatte, welche erst Jahre später im größeren zeitgenössischen Kunstdiskurs Einzug fanden. Gleichzeitig ist er ein Ort, der stets mutig auf lokalpolitische Debatten reagiert hat, was beispielsweise mit der Ausstellung „Alman Mali“ (türkisch für ‚Made in Germany’), im Jahr 2007, die eine ersthafte und humorvolle Auseinandersetzung zugleich formulierte, deutlich wird. Sowohl das Bewusstsein für den lokalen Kontext als auch die internationale künstlerische Ausrichtung durchzieht eine Dringlichkeit und Notwendigkeit, die im Programm zum Tragen kommt.

 
Schon diesen September starten Sie in Ihr Programm. Wie werden Sie den Auftakt gestalten?

Mein Programm wird sich aus dem Dialog mit der Geschichte des Kunstvereins heraus entwickeln und sich Fragestellungen widmen, für die in meinen Augen dieses Haus steht- in Bezug auf die konkreten Räumlichkeiten am Hofgarten, seinen Mitgliedern und dem Publikum. Im September plane ich die erste institutionelle Präsentation einer Künstlerin, deren Name ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht nennen möchte.

Auch ist es mir ein Anliegen, dem Martina Fuchs Archiv des Kunstverein München – manchen mag dies sehr abstrakt erscheinen – einen ganz konkreten Raum zu geben. Bereits im Herbst soll dafür ein Archivraum eingerichtet werden. Dieser knüpft so auch an frühere Ansätze in der Geschichte des Kunstvereins an. Man denke an die Auseinandersetzung mit der eigenen Institutionsbildung durch das Projekt „Telling Histories“ im Jahr 2003.

Die neue Direktorin des Kunstverein Münchens Maurin Dietrich | Foto: Kunstverein München

Die neue Direktorin des Kunstverein Münchens Maurin Dietrich | Foto: Kunstverein München

Was werden Sie vom bisherigen Auftritt des Vereins übernehmen und in welchen Belangen werden Sie Neuerungen forcieren?

Ich werde sicher einiges übernehmen was die Kommunikation nach außen hin angeht. Die Herangehensweise eine ‚andere‘ Zeit mit der Veränderung des Designs zu markieren, finde ich nicht notwendig. Die klare Handschrift des Designs möchte ich mehr oder weniger so beibehalten. Geplant sind kleinere Vereinfachungen auf der Website. Tollerweise hat der Kunstverein München als einer der wenigen Institutionen einen sehr einfachen Zugang zu seinem Archiv über die Website. Dort gibt es eine Zeitleiste, die bis ins Gründungsjahr 1823 zurück reicht. Was für mich fehlt, ist der Überblick über die DirektorInnen und KuratorInnen, welche die letzten Jahrzehnte so wichtige Arbeit geleistet haben. Die bereits existierende Dokumentation über KünstlerInnen und Austellungen möchte ich gerne um den Aspekt der kuratorischen Praxis erweitern.

München ist für mich ein Ort, der für eine viel größere Breite an institutioneller und musealer Arbeit steht

Maurin Dietrich
Welche Erfahrungen aus Berlin, wo Sie ja auch einen eigenen Raum führen, werden Sie in München implementieren? Beziehungsweise wie sehen Sie die Beziehung der beiden Städte aus künstlerischer Sicht?

Zum einen ist es sicher ein Netzwerk von internationalen KünstlerInnen, die Berlin als Produktionsstandort haben und mit denen ich in den letzten Jahren in den KW aber auch in unabhängigen Projekten zusammen gearbeitet habe. Diese Gespräche werde ich sicher von München aus weiterführen. Außerdem ist Berlin ein Ort, durch den viele TheoretikerInnen, SchreiberInnen und KünstlerInnen durchreisen – und da ich in den KW teilweise wöchentlich Veranstaltungen programmiert habe, gibt es Verbindungen zu Verlagen, Projekträumen und Institutionen, mit denen mich eine jahrelange gemeinsame Arbeit verbindet. Zum anderen ist meine Erfahrung, dass Institutionen für Menschen unterschiedliche Dinge bedeuten können und man sich beispielsweise bei Tag und bei Nacht an ein anderes Publikum wendet bzw. sich dieses auch zeitweise entzieht. Darüber hinaus möchte ich in München weiter nachdenken und reagieren.

München ist für mich ein Ort, der für eine viel größere Breite an institutioneller und musealer Arbeit steht. Ich freue mich auf den Austausch mit den jungen KünstlerInnen der Akademie und den dort lehrenden ProfessorInnen, wie Alexandra Bircken, Olaf Nicolai und Karolin Meunier. Auch freue ich mich auf Tarun Kade, Dramaturg an den Münchner Kammerspielen und die Künstlerinnen Flaka Haliti und Maxi Baumgartner, die seit Jahren den „Fahrenden Raum“ betreibt, der für mich unvergleichlich ist, weil er sich Aktionspädagogik, Vermittlung und übersehenen KünstlerInnen in München widmet.

Wie gehen Sie mit dem jahrhundertealten Erbe des Kunstvereins um? Eine Ihrer Visionen sieht vor dem Archiv ein offeneres Display zu bieten – welches Motiv steckt hinter diesem Zugang?

Ich denke, dass die Geschichte des Kunstvereins zu den wandelnden Selbstentwürfen der Institution Auskunft gibt. Aus dieser lässt sich eine Dringlichkeit und vielleicht auch eine Abgrenzung für heute formulieren. Gleichzeitig bedeutet die Öffnung des Archivs auch die Möglichkeit der genauen Lesart in Bezug darauf, wer in der Geschichte repräsentiert und wer abwesend ist. Wichtige Bezugspunkte sind die Aufarbeitung des Archivs in den KW, die im letzten Jahr in Angriff genommen wurde sowie die Archivarbeit, wie sie das „Forum Homosexualität München“ leistet.

 
Mit dem 200 Jahre Jubiläum erwartet Sie 2023 eine spezielle Herausforderung, die egal wie sie das Programm gestalten, in Erinnerung bleiben wird – wie werden Sie mit diesem Jubiläum umgehen? Werden Sie bevorzugt ein Jubiläumsjahr ausrufen oder stehen einzelne, punktuelle Höhepunkte im Fokus?

Wie gesagt, geht es mir mit der langfristig angelegten Auseinandersetzung der Geschichte des Kunstverein München um den Ansatz, dass zu einer differenzierten Betrachtung mehr als nur die Ausrufung eines Jubiläumsjahrs nötig ist. Mein Ansatz ist, das in vier Jahren stattfindende Jubiläum als Zusammenführung von Formaten zu begreifen, die ich schon diesen Herbst initiieren will. Über das Jubiläumsjahr verteilt, wird es einzelne Höhepunkte im Programm geben. Es geht dann vor allem darum, die institutionelle Vergangenheit und die KünstlerInnen, die Teil dieser Geschichte waren bzw. diese erst geschrieben haben, für Heute zu befragen. Dabei ist das Ziel nicht die Rekonstruktion des Vergangenen, sondern die Befragung des Diskurses im aktuellen Kontext.

Welche Themen und Fragestellungen werden Ihr Programm vordergründig prägen?

Ausgehend von den einzelnen KünstlerInnen, verstehe ich kuratieren als eine Praxis der Narrationsbildung, die sich mit dem Imaginativ eines spezifisch lokalen und internationalen Kontextes auseinandersetzt und dieses produktiv weiterdenkt. Dieser Herangehensweise liegt für mich die Frage zugrunde, wie es möglich ist, andere Erzählungen in realen sozio-politischen Zuständen zu entwerfen und welche Rolle dem Ausstellungsmachen auch als Form der zeitlichen aber auch räumlichen Konstruktion zukommt.

Dadurch das Kunstvereine per Definition vor allem auch Orte der Präsentation von KünstlerInnen sind, die am Anfang ihrer Karriere stehen, wird mein Programm sich übersehenen und unterrepräsentierten KünstlerInnen in langfristig recherchierten monografischen Ausstellungen widmen. Darunter auch KünstlerInnen die seit den 1960er und 70er Jahren tätig sind und eine Praxis entwickelt haben, die mehr als 30 Jahre umfasst und dennoch kaum gezeigt oder gehört wurde. Dann gibt es Fragen ausgehend der Gemeinschaft, die der Kunstverein natürlich nicht nur beherbergt sondern ja auch herstellt und da freue ich mich sehr Formate radikaler Gastfreundschaft mit dem Team weiter zu entwickeln.

 © Martina Fuchs Archiv

 

© Martina Fuchs Archiv

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