In Erinnerung an Ernst Hilger

Ernst Hilger © Galerie Ernst Hilger

Unfassbar und sehr traurig. Der Galerist Ernst Hilger ist völlig überraschend im Alter von 75 Jahren verstorben.


 

 

Ein Leben für die Kunst

Meine erste Begegnung mit Ernst Hilger liegt viele Jahre zurück. Ich sollte damals als junge Kunsthistorikerin ein Interview mit Alfred Hrdlicka machen. Nervös und mit unzähligen Fragen an das Urgestein der österreichischen Skulptur vorbereitet, traf ich Hrdlicka in der Galerie Hilger in der Dorotheergasse. Warum in der Galerie? Hrdlicka wohnte viele Jahre über der Galerie im selben Haus und Ernst Hilger begleitete den Künstler über viele Jahrzehnte und trug viel zur Anerkennung seines skulpturalen, aber auch grafischen Œuvres bei. Ernst Hilger stand mir damals bei dem Interview tatkräftig zur Seite und mir Greenhorn gelang ein passables Interview. Diese herzliche, offene, stets großzügige Art war eine Charaktereigenschaft, die man stets mit Ernst Hilger in Verbindung bringt und die man auch spürte, wenn man mit ihm unterwegs war, wie in den letzten Jahren in Ljubljana, wo während des Art Weekends eine Auswahl seiner Sammlung gezeigt wurde, in Paris, wo er regelmäßig an der Art Paris teilnahm und mich spontan ins Atelier von Erró mitnahm oder mit ORLAN bekanntmachte. Überall kannte er alle und alle kannten ihn. Erst vor kurzem feierte er seinen 75. Geburtstag in der Galerie in der Dorotheergeasse, gemeinsam mit Künstler:innen und Weggefährt:innen und noch vor wenigen Tagen war Ernst Hilger mit einem Stand auf der Affordable Art Fair Vienna vertreten. Eine neue Messe in Wien und Ernst Hilger war selbstverständlich dabei. Er war stets offen für Neues, was auch sein vielfältiges Galerieprogramm und seine Sammlung prägte.

Alfred Hrdlicka, Weiblicher Akt (stehende weibliche Figur), 1959, Grauer Karst-Marmor, 88 × 25 × 35 cm, The Hilger Collection © by the artist, Foto: © The Hilger Collection/Katharina Stögmüller

Dabei begann Ernst Hilgers Entrée in die Kunst- und Kulturszene nicht mit der bildenden Kunst, sondern mit der Gründung und dem Betrieb des Folk-Club Atlantis, der in den späten 1970er-Jahren Zentrum der Wiener Musik- Avantgarde war – die „Schmetterlinge“ bis hin zu späteren Größen des Austropop gingen dort ein und aus. So auch Peter Infeld, sowohl Saitenproduzent und als solcher Sponsor der jungen Musiker als auch Kunstsammler. Die Brücke zur bildenden Kunst war hergestellt. Ebenfalls zu dieser Zeit gründete Ernst Hilger für den Jugendklub der Zentralsparkasse und die Studentenedition „edition etudiante“ 1971. Die Edition sollte niederschwellig das Sammeln auch für Studierende möglich machen. 360 Schilling (umgerechnet als 26 Euro) kostete eine der Grafiken. Die Aktion war ein voller Erfolg, wie Ernst Hilger beim Talk mit Antonia Hoerschelmann im Jänner dieses Jahres im Rahmen der Ausstellung „papier-paper-papel" erzählte. Ebenso dokumentierte die Ausstellung auch sein stetes Interesse am Medium Papier und der Druckgrafik, was er damals auch sehr eindrücklich in dem Gespräch erzählte. Das Verlegen von Editionen hatte in den folgenden Jahren im Galerieprogramm stets einen besonderen Stellenwert. Eine der ersten Grafikeditionen entwickelte er mit Alfred Hrdlicka und erst unlängst standen die Grafiken der „Tanzbilder“ von Franz Grabmayr im Mittelpunkt einer Ausstellung.

Anfang der 1970er-Jahre war Ernst Hilger Gründungsgesellschafter der Galerie Academia/Salzburg und 1972 der Galerie Spectrum und damit endgültig in die bildende Kunst gekippt. 1974 gab er gemeinsam mit Paul Kruntorad die erste österreichische Kunstzeitung, den „Galerienspiegel", heraus und 1976 eröffnete Ernst Hilger seine Galerie in der Wiener Dorotheergasse. Was folgte, ist eine mittlerweile fast 50-jährige Galeriegeschichte mit zeitweiligen Dependancen in Frankfurt und Paris – einer Stadt der er bis zuletzt eng verbunden blieb. Anfang der 2000er-Jahre eröffneten Galerieräumen in der Brotfabrik (später Hilger NEXT). Auch hier war Ernst Hilger wieder vorne dabei und ging das Risiko ein, gemeinsam mit anderen Galerien das Areal in Wien Favoriten für die Kunst und Kultur zu etablieren.

 

Für die Künstler:innen war HilgerNEXT eine Möglichkeit Großformate und Installationen zu zeigen. Im Vorjahr waren Ernst und Karoline Hilger Gastgeber unseres Art Dinners in Kooperation mit Chanel und stellten die Räume für die Ausstellung und die Performance „How do you feel today“ der Ritsch-Sisters und den Tänzer:innen Camilla Schielin und Gergő D. Farkas, sowie der Make-up-Artistin Sabine Reiter zur Verfügung. Ein ganz besonderer Abend, ganz im Sinne des Galeristen. Die Eröffnungsausstellung in der Brotfabrik: „The Promise of Loss. A contemporary Index of Iran“, war der iranischen Gegenwartskunst gewidmet. Dazu arbeitete wie in vielen anderen Ausstellungen auch mit Kuratoren zusammen, die diese Szene kannten und in Wien vorstellten. Diese neugierige Sicht auf die außereuropäische Kunst war ein Charakteristikum des Galeristen. So stellte er auch mehrmals australische Kunst aus.

Viele Künstler:innen habe ich auch durch die Zusammenarbeit mit Kuratoren und Kuratorinnen kennengelernt, so haben mich Lucie Drdová und Martin Mazanec durch die Kunstszene unserer beiden Nachbarländer Tschechien und Slowakei geführt und 2010 die Ausstellung „Collectors. The Czech-Slovak-Pavillon“ in der Hilger BROTKunsthalle kuratiert. Auch durch meine Reisen und die daraus resultierenden internationalen Kontakte habe ich viele Künstler und Künstlerinnen kennengelernt.

Ernst Hilger
Ernst Hilger © Galerie Ernst Hilger

Ernst Hilger © Galerie Ernst Hilger

 Nicht die Verkäuflichkeit der Werke stand hier im Vordergrund, sondern sein Interesse für die Kunst.  So eröffnete er auch 2022 in der Ballgasse eine Pop-Up Galerie mit Fokus auf die junge Generation, weil so meinte Ernst Hilger damals, sie einen Ort brauchen, um in ersten Ausstellungen ihre Werke einem Publikum vorzustellen. Aber Ernst Hilger war stets auch organisatorisch und ermöglichend in der Kunstszene unterwegs. So war mehrere Jahre Präsident der FEAGA und Beiratsmitglied zahlreicher Kunstmessen wie der Art Basel und er über viele Jahre amtierender Präsident der Vereinigung der österreichischen Galerien und etablierte Kooperationen wie etwa mit Siemens: Mit der Gründung des Siemens_artLab und der damit verbundenen Ausstellungstätigkeit kam der Fokus osteuropäische Kunst. „Wir haben Künstler:innen unter anderem aus Rumänien, Bulgarien, Tschechien, dem ehemaligen Jugoslawien gezeigt. Für viele diente das Siemens_artLab als Sprungbrett für ihre weitere künstlerische Karriere." 

Hilger zeigte oft Künstler:innen, die erst viel später international reüssierten. Immer wieder nannte er Beispiel und resümierte dann zugleich, dass es ihm nicht liege, Künstler:innen über viele Jahre zu begleiten, dafür sei er zu neugierig auf Neues. Wobei es Ausnahmen gibt: Abgesehen von Alfred Hrdlicka, etwa Peter Krawagna, Gunter Damisch, Jakob Kirchmayr, Erró, Mel Ramos, Christian Ludwig Attersee, Hans Staudacher, Oliver Dorfer sind Künstler, um einige zu nennen, die er über viele Jahre begleitete und immer wieder in Ausstellungen zeigte. Zuletzt kamen neue junge Positionen dazu, Stylianos Schicho, Eva Yurkova oder Tina Dobrajc und Noushin Redjaian, die Ernst Hilger gemeinsam mit Karoline Hilger und dem Team der Galerie erfolgreich auf Messen und in Ausstellungen präsentierte.

 

Daneben hat Ernst Hilger seine eigene Kunstsammlung aufgebaut. The Hilger Collection umfasst Werke der österreichischen Moderne und der internationalen zeitgenössischen Kunst: Malerei, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen sowie Video- und Fotoarbeiten. Die Sammlung Hilger ist eine sehr persönliche, die ein Leben mit und für die Kunst widerspiegelt – zu jedem Werk gibt es Erinnerungen und eine persönliche Geschichte. Mit der Etablierung des siemensArt LAB und der damit verbundenen Beschäftigung mit der Kunst Osteuropas befasst und neue Sammlungsschwerpunkte sind entstanden: Werke etwa von Miha Štrukelj, Anastasia Khoroshilova, Vasilena Gankovska, Djoka Ivackovic und vielen anderen. Dazu kam seine langjährige Beschäftigung mit dem Werk von Jiří Kolář sowie mit jenem des slowakischen Künstlers Erik Binder, den er auch in der Galerie vertreten hat. 

Cameron Platter, Advertising Tombstone Wall (no. 3, Tell Me Everything), 2013, Geschnitztes Jacaranda Holz, 250 × 200 × 30 cm, Ausstellungsansicht mit Gemälden von Miha Štrukelj, The Hilger Collection © by the artist, Foto: © The Hilger Collection/Katharina Stögmüller

Richtig zu sammeln begonnen hat er in den 1980er-Jahren. Anfangs war es hauptsächlich Grafik österreichischer Künstler.

Frohner, Rainer, Attersee, Staudacher, Ringel, Eisler, Hrdlicka natürlich und das sehr exzessiv – er war ein Künstler, der mich über viele Jahre begleitet hat; auch viele Arbeiten von Leo Zogmayer, dann natürlich auch die nächste Generation, Gunter Damisch, frühe Arbeiten von Erwin Wurm, bis hin zu jungen österreichischen Künstlern und Künstlerinnen. International ist die Sammlung ab den 1990er-Jahren geworden.

Eine Auswahl seiner Sammlung war im Wiener MUSA, 2022 in der der Mestna Galerija in Ljubljana, jeweils verbunden mit Schenkungen an die Institutionen sowie im Museum Angerlehner zu sehen. 

Ernst Hilger war stets und bis am Schluss voller Tatendrang –Er blickte zurück auf viele erfolgreiche Jahre und betonte, dass auch die aktuell schwierige Lage am Kunstmarkt ihm nicht seine Freude an der Kunst nehmen kann. „Aufgeben war nie eine Charaktereigenschaft“, wie ihn meine Kollegin Eva Komarek in ihrem Nachruf in „DiePresse“ zitierte.

So blieb er neugierig auf Neues und stets meinungsstark, wenn es um Kultur- und Kunstpolitik ging und ein herzlicher Gastgeber und betonte stets die Unterstützung durch seine Frau Karoline Hilger und sein engagiertes Team. Er zählte nicht zu den sogenannten „Informationsgalerien“, die in den 1970er-Jahren die Galerieszene in Wien erstmals in den Fokus stellten, und doch war ist sein Engagement nicht hoch genug einzuschätzen. Er baute er maßgeblich, tatkräftig über Jahrzehnte die Wiener Kunstszene auf und präsentierte seine Künstler:innen international. Er war Galerist, Kunstliebhaber, engagierte und interessanter Gesprächspartner und ein enger Freund vieler Künstler:innen.

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