Vermittler zwischen Epochen und Landschaften

Im Gespräch mit Lito Kattou

Lito Kattou vor ihrer Arbeit LANDS

Anlässlich ihrer Beteiligung im letzten Teil der Ausstellungstrilogie bei Gianni Manhattan traf PARNASS die auf Zypern geborene Künstlerin Lito Kattou, um über ihre Arbeiten zu sprechen. Gemeinsam mit Werken von Leda Bourgogne und Kim Farkas beschäftigt sich die Ausstellung in Wien mit unterschiedlichen Facetten von „Doubling“ – sehr wörtlich in einem von Bourgogne konstruiertem spiegelnden Raumteiler oder in Farkas‘ kokonhaften Leuchtobjekten. Kattou zeigt Arbeiten aus der Serie „LANDS“ (2023), kleinformatige in Kupfer geprägte Landschaften mit Gottesanbeterinnen, sowie „Carrier“ (2020), eine Figur aus Aluminium.


 

PARNASS: Ich musste in der Ausstellung darüber nachdenken, wie sich Assoziationen von Ernte und Landwirtschaft, aber auch eine Überschreitung der Grenzen des Menschlichen in deinem Werk ohne jegliche Erklärung einstellen – lediglich als Gefühl, ohne konkrete Geschichte.

Lito Kattou: Ich bin froh, dass du das wahrnimmst. Ich versuche, in meinen Arbeiten Gedanken, Gefühle, Erfahrungen und Emotionen unabhängig von der Zeit zu erzählen; nicht um der Realität zu entfliehen, sondern zu verstehen, wer wir sind und was wir tun. Ich meide Geschichten, die journalistisch funktionieren würden. In Notlagen braucht man natürlich andere Formate, aber ich möchte Dinge bewusst machen – daher fühlen sich meine Werke eher wie Poesie an. Darin kann man realistisch sein und gleichzeitig Raum für Interpretationen lassen.

Deine Werke bieten viele Referenzen, die man intellektuell erfassen und weiterentwickeln kann, aber auch ein Labyrinth von unklaren Erzählungen. „Carrier“, die du bei Gianni Manhattan ausstellst, hat bspw. ein Gesicht, das irgendwo zwischen einem Insektenkopf und einer Medusa liegt.

LK: Dieses Werk wurde 2020 realisiert und beschäftigt sich mit der Verbindung zwischen Körper und Geologie. Es ist ein nicht-menschliches, ein ökologisches Wesen, beinahe ein Spinnentier, und trägt dennoch mehr in sich: etwa seine Lieblingslandschaft oder eine Reihe eingravierter Daten, die Persönliches, aber auch ein politisches Ereignis oder ökologisches Phänomen wie einen Waldbrand, eine Dürreperiode oder einen Sturm, der bedeutend für die Mittelmeerregion war.

Lito Kattou, Carrier, 2020, Aluminium, Stahl, Permanente Tinte, Acrylfarbe, Nickelbeschichtetes Kupfer, 220 x 138 x 80 cm

Lito Kattou, Carrier, 2020, Aluminium, Stahl, Permanente Tinte, Acrylfarbe, Nickelbeschichtetes Kupfer, 220 x 138 x 80 cm

Auch wenn in dieser Ausstellung nur eine deiner Skulpturen zu sehen ist, versteht man, dass sie ein Charakter in ihrer eigenen Welt ist. Dasselbe geschieht in deiner „Whisperers“-Serie, wo ähnliche Skulpturen opulente Kleider und Hüte zu tragen scheinen. Doch wenn man um sie herumgeht, löst sich das Bild in Zweidimensionalität auf, wie wenn man die spielbare Welt eines Computerspiels verlässt.

LK: Es ist eine Verschmelzung meiner Interessen, diese Ästhetiken zu schaffen, die auf die Verbindung mit der digitalen Welt verweisen und darauf, wie wir Volumen wahrnehmen oder Wunder und Unvorhersehbares aus unserem Bild der Realität auslassen. Mir ist auch klar geworden, dass mich der cineastische und theatrale Aspekt interessiert. Die Werke könnten eine szenografische Performance oder ein Theaterstück sein, gleichzeitig sind sie zu imposant im Raum.

Ich frage mich auch, ob es nur die beigefügte nickel-überzogene Mariendistel im Korb ist, die die Geschichte von Landwirtschaft so klar in dieser bewegungslosen Performance erzählt.

LK: Vielleicht ist es die Fantasie, selbst Landwirtin zu werden – nicht auf eine romantische oder eskapistische Weise, sondern eine ursprüngliche Verbindung zur Natur. Es ist interessant, wie du das mit den Objekten verbindest, die ansonsten keine Funktionen einnehmen können. Die – reale – Distel wird ja meist ignoriert, weil sie keine schöne Blume ist. Aber ich begann, sie überall zu sehen, und erkannte, dass sie ein Merkmal der Region, in der ich lebe, und meines Geburtsortes, mit dem ich verbunden bin, ist. Also sammelte ich sie und überzog sie mit Kupfer. Zypern hat eine aufgeladene Geschichte im Zusammenhang mit Kupferabbau, die von der Antike bis in die Gegenwart reicht und mit der Kolonialzeit verbunden ist. Ich ummantle die Blumen als Geste, sie zu bewahren. Ich verwandle sie von organischer in anorganische Materie, um sie irgendwie unsterblich oder wertvoller zu machen. Es hat viel mit der Idee von Zeit zu tun, ohne sie in einer bestimmten Ära zu verorten – sie könnten aus der Vergangenheit stammen, aber gleichzeitig zukünftige Wesen repräsentieren. Sie sind Vermittler zwischen Epochen und verschiedenen Territorien oder Landschaften.

Lito Kattou Whisperer VII, 2024, Aluminium, Stahl, Acryl, Nickel, 190 x 160,8 x 25 cm

Lito Kattou Whisperer VII, 2024, Aluminium, Stahl, Acryl, Nickel, 190 x 160,8 x 25 cm

Ich möchte Dinge bewusst machen – daher fühlen sich meine Werke eher wie Poesie an.

 

 

 

 

Lito Kattou

 

Auch die kleineren Arbeiten, „LANDS“, bestehen aus Kupfer, geformt zu einem Relief, das ähnlich wie deine Skulpturen funktioniert – frontal könnte man es für ein flaches Bild halten. Die unterschiedlich hohen Bildebenen zeigen eine insektenartige Figur.

LK: Ich arbeite mit der Figur und dem Symbol der Gottesanbeterin und wie sie in verschiedenen Zivilisationen wahrgenommen wird – als Nekromant oder Femme fatale. Was mit dem Insekt geschieht, ist, dass das Weibchen bei der Paarung manchmal das Männchen beißt und frisst. „LANDS“ sind Seiten eines Storyboards, in denen Gottesanbeterinnen Beziehungen eingehen – Freundschaften, Liebesbeziehungen, Feindschaften, Versöhnungen oder Distanzierungen. Wieder gibt es diese Idee eines flachen Hintergrunds, einer Landschaft, vielleicht in den Bergen, und es ist immer ein astrales Objekt wie die Sonne oder ein Planet vorhanden, das seine Position innerhalb der Szene ändert, was auf den Wandel der Zeit hinweist. Es verweist auf byzantinische Ikonen, diese Holzreliefs, die mit Silber oder Gold überzogen sind, meine Technik ist dieselbe. Es kehrt die andächtige Begegnung mit der Ikonografie in einen Widerspruch: die Gottesanbeterin, die gleichzeitig eine Betende ist, aber unheilig, weil sie das Männchen der Art angreift und sich emanzipiert.


Die Sonne oder der Planet in jedem Werk sticht wiederum heraus und könnte eine andere Ikonografie verfolgen. Wird dieser Teil mit einer anderen Technik als der glänzende Rest gestaltet oder stammt die perforierte Struktur aus dem Herstellungsprozess?

LK: Ja, es war nur eine technische Sache, die ich begeistert aufgenommen habe, weil ich fand, dass einige von ihnen zu poliert wirkten. Ich wollte damit diese Totalität der Geometrie in Frage stellen und Flachheit, Volumen und Nicht-Volumen in eine Ebene bringen.

Lito Kattou, LANDS IV, 2023, Kupfer, 20 x 30 cm, Foto: Stathis Mamalakis

Lito Kattou, LANDS IV, 2023, Kupfer, 20 x 30 cm, Foto: Stathis Mamalakis

Gianni Manhattan

Wassergasse 14, 1030 Wien
Österreich

CHAPTER III. DOUBLING

Leda Bourgogne, Kim Farkas, Lito Kattou

13.11.24 – 15.12.2024

Das könnte Sie auch interessieren