Jürgen Messensee (1936–2024)

Ich sitze und warte auf mich selbst

Jürgen Messensee, Foto: Hans Wetzelsdorfer

Der österreichische Künstler Jürgen Messensee ist tot. Um sein Werk hat sich in den letzten Jahren vor allem seine Tochter, die 2023 verstorbene Caroline Messensee gekümmert. In den 2000er Jahren wurden im Kunstforum Bank Austria, im Museum Angerlehner und bei W&K Wienerroither&Kohlbacher im Palais Schönborn-Batthyany größere Ausstellungen gezeigt. 


Dem Beharrenden, Statischen galt nicht das Interesse des Künstlers Jürgen Messensee. Die Frage, ob es der Übergang, »le passage«, ist, wie Michel de Montaigne den Fokus der Malerei in seinem Zitat beschreibt, blieb auch nur ein Versuch, sich der Komplexität der Bildkonzeptionen Jürgen Messensees anzunähern. Geboren 1936 in Wien, zählt der Künstler zu den führenden Protagonisten seiner Generation Jürgen Messensee arbeitete in Wien und in St. Margarethen im Burgenland  – stets in großen Räumen, was ihm das Malen großer Formaten ermöglichte. Gespräche mit ihm über seine Kunst, waren stets fordernd. Messensee war belesen und interessiert an wissenschaftlicher Forschung und setzte sich mit Albert Einstein, Max Planck und Werner Heisenberg auseinander.

Seine Mutter war, wie er mir einmal erzählte „eine sehr gescheite, aber auch schwierige Frau“, die ihn geprägt habe. Sie habe Philosophie studiert, sich mit Mathematik beschäftigt, war sehr musikalisch. Sich im Gespräch nur auf das Terrain der – einem so halbwegs vertrauten – Kunstgeschichte zu retten, ließ er nicht zu. Kunst war für Messensee eine „Metaphilosophie“. Es gehe um Erkenntnis. „Das Wissen“, so erklärte, nahezu dozierend. „ist immer gegenwärtig, aber es gibt nur wenige, denen dieses Wissen geschenkt wird. Es bedürfe einer unendlichen Anstrengung, um die Information, die man geschenkt bekommt, zu verstehen. Es gehe auch um eine gewaltige Neugier. Was ist an großen Malern gewaltig? – Die Information, die durch sie kanalisiert wird.“ Messensee verstand sich als „Kreator“, um gleich anzumerken, dass Kreation – und damit Kunst nicht lehrbar sei.

Jürgen Messensee, Ausstellungsansicht W&K Palais, 2017, Foto: Kunstdokumentationen

Jürgen Messensee, Ausstellungsansicht W&K Palais, 2017, Foto: Kunstdokumentationen

Die Natur und die menschliche Figur – und hier ausschließlich der weibliche Körper – bildeten für Jürgen Messensee den motivischen Referenzrahmen seiner Malerei, ohne sich je der Realität dokumentarisch oder beschreibend anzunähern. Stets sind es Fragmente des Figürlichen, die Messensee auf den jeweiligen Bildträger setzte. Die figurale Form stellte für ihn ein geistiges Konzept dar, das er in Anlehnung oder in Erinnerung an Erlebtes oder Empfundenes in die Realität der Leinwand übertruf. So gleicht das Arbeiten entlang einer Körperform mehr einer Absicherung auf bekanntem Terrain, um dann den Linien wieder den Weg in die Selbstständigkeit zu gewähren. „Es geht um ein Repertoire der Formen“, erklärte Jürgen Messensee bei einem unserer Gespräche. „Man muss eine adäquate Form finden, um das Erlebnis und die Empfindung visuell darstellen zu können.“ So gleicht die Linie einem stenografischen Kürzel, das nur noch auf die Figur verweist, sie aber real in ihrer Gesamtheit gar nicht abbildet.Andeutungen eines weiblichen Körpers werden in raschen, expressiven Gesten auf den Bildgrund geworfen. Die Linie wurde zum Gedankensprung, der sich während des Malprozesses vollzog, sich zuweilen verdichtete oder im Bildgrund verlief. Solcherart entwarf er ein Beziehungsgeflecht zwischen den Linien und Flächen, dem Umriss und dem dreidimensionalen Körper.

 

Das Chaos der Farbe und die Präzision der Linie

Jürgen Messensee  erweiterte im Laufe seines künstlerischen Schaffens Zeichnung und Malerei. Mittels des reproduktiven Verfahrens des Jetprints vergrößert er Zeichnungen oder vorgefundene Drucksorten und bearbeitete sie. Manche Bilder erhielten  auch einen dreidimensionalen Aspekt durch Einschneiden und Aufklappen von Partien. Dabei ging es ihm um die Verschiebungen und Manipulationen der Wahrnehmung, um sich zeitlosen wie essenziellen Fragestellungen zu nähern und diese zu visualisieren. „Die Malerei“ so Messensee hat zwei Möglichkeiten: das Chaos der Farbe und die Präzision der Linie. Mein Interesse gilt der Frage, wie kann ich beides nebeneinander in der ihnen eigenen Stringenz behalten. Die Linie ist etwas Unbedingtes, während die Farbe sich ausdehnt und nicht determiniert ist."

 

 

Jürgen Messensee, Ausstellungsansicht W&K Palais, 2017, Foto: Kunstdokumentatiionen

Jürgen Messensee, Ausstellungsansicht W&K Palais, 2017, Foto: Kunstdokumentationen

Sehen ist mehr als Reden. Sehen ist komplex

Dabei ging es ihm auch darum zu zeigen, dass die Malerei das besondere Vermögen hat in das Nichtsprachliche auszugreifen. „Wenn ich es auch sagen oder schreiben könnte wäre ich Schriftsteller und nicht Maler geworden. Sehen ist mehr als reden"., war einer seiner stets lapidaren Erklärungen zu seinem Werk. "Sehen ist komplex“, setzte damals noch hinzu. „Ich sitze und warte auf mich selbst, die Dinge finden im Geist statt. Durchführung ist oft sehr schnell, es kommt, wenn es vollständig präsent ist. Es muss die richtige Zeit sein.“ So beschreibt der Künstler seinen Arbeitsprozess. „Es geht darum die Wahrnehmung der sichtbaren Welt in eine individuelle Formensprache zu übersetzen, um ´Erkenntnis über das Menschsein per se, um Wirklichkeit, ja ästhetische Kategorien wie Schönheit und Wahrheit. Abstraktion verstand Jürgen Messensee als die immanente Sprache des Mediums: „Ich würde mich nie als ungegenständlichen Maler bezeichnen, denn jede Malerei ist in gewisser Weise abstrakt, das schafft erst die Möglichkeit, das Erkennen, die Empfindung mit äußerster Genauigkeit zu erfassen, das kann ich nur mit dieser Formensprache, die ich entwickelt habe. Das, was ich das Eigentliche nenne …, das, was wirklich Kunst ist, ist letztlich nicht zu verbalisieren. Es ist eines der Privilegien der Kunst, der Malerei ebenso wie der Musik, dass sie eine Realität erzeugt, die es vorher nicht gegeben hat – sie ist eine Disziplin, um zu verstehen."

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