Ich glaube an die Institution Museum
16 Jahre leitete Sabine Haag als Generaldirektorin den KHM-Museumsverband. Vor ihrer Amtsübergabe mit Jahreswechsel zieht sie im PARNASS-Gespräch mit Maria Rennhofer Resümee.
PARNASS: In welcher Weise hat sich das Museum in den 16 Jahren Ihrer Generaldirektion verändert?
Sabine Haag: Wir sind offener, jünger, vielfältiger geworden – in den Programmen, was unsere Besucher:innen anbelangt, und auch bei unseren Mitarbeiter:innen ist der Geist der Zusammenarbeit gewachsen.
P: Neben dem KHM-Hauptgebäude, den Sammlungen in der Neuen Burg, Weltmuseum, Schatzkammer, Theatermuseum, Theseustempel und der Wagenburg in Schönbrunn gehört auch Schloss Ambras bei Innsbruck zum Museumsverband.
SH: Wir sind seit Ferdinand II., der Ambras als Renaissanceschloss für seine Sammlungen ausbauen ließ, mit dem ältesten Museum nördlich der Alpen und somit als Bundesmuseum in Tirol vertreten.
P: Welche Erhaltungs-, Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen sind im KHM-Museumsverband erfolgt?
SH: Unsere Standorte sind in historischen Gebäuden untergebracht, ein unglaublicher USP, andererseits können sie heute nicht mehr die Erwartungen eines zeitgemäßen Museumsbetriebs erfüllen. Während der Bruegel-Ausstellung hatten wir 5.000 Besucher:innen pro Tag und mehr, da stießen wir an unsere Grenzen. Als ich 2009 Generaldirektorin wurde, erstellten wir für alle Standorte Raum- und Funktionsstudien, für das KHM am Maria Theresienplatz ein in Modulen aufgebautes Modell, das wir jetzt mit Modul 1 „Remastering KHM“ vorbereitet haben und demnächst beginnen werden. Dafür bekommen wir einen Teil der 100 Millionen, die Staatssekretärin Andrea Mayer für das Belvedere, das Naturhistorische Museum und KHM zur Verbesserung der Besucherinfrastruktur erkämpft hat.
P: Noch in Ihrer Amtszeit konnte mit der Gestaltung des neuen Eingangsbereichs des Theatermuseums begonnen werden.
SH: Seit wir das Palais Lobkowitz als Theatermuseum bespielen dürfen, war das unser Wunschtraum. Jetzt hat sich durch den Auszug der Firma Wolfrum die Möglichkeit dazu ergeben, das Theatermuseum auch in seiner historischen Dimension besser erlebbar zu machen.
P: Gab es in letzter Zeit bedeutende Erwerbungen? Ankäufe, Schenkungen, Leihgaben?
SH: Die Sammlungs-Erweiterung können wir aus unserem laufenden Budget nicht erfüllen, dafür müssen wir Drittmittel einwerben, Sponsoring, Fundraising. Es gibt manchmal Schenkungen oder Legate, wir haben einen internationalen Freundeskreis mit Sitz in New York, dessen Unterstützung wir mit Jahresende für einen Ankauf im Namen der International Friends verwenden. Sehr erfolgreich waren Spendenaufrufe für den Erwerb von zwei sehr bedeutenden Münzsammlungen. Aber unser historischer Bestand ist dermaßen stark und gewisse Sammlungen sind in sich geschlossen, so dass wir nicht unbedingt dazukaufen müssen.
P: Wie gewinnen Sie junges Publikum?
SH: Wir versuchen es mit Social Media und den digitalen Möglichkeiten, die verstärkt während der Pandemie das Mittel der Wahl waren. Seither ist es selbstverständlich, dass man online kommuniziert, aber natürlich immer mit dem Ziel, die Menschen dazu zu animieren, ins Museum zu kommen. Ein besonders erfolgreiches Format ist unser „Kunstschatzi“. Es führt die junge Generation ins Museum und soll Hemmschwellen und Vorurteile abbauen. Die Clubbing-Atmosphäre ist verbunden mit Sammlungsbesuch und Führungen, es geht immer um das Museum und die Kunst.
P: Sie haben mit dem „Ganymed“-Format ja auch andere Kunstformen ins Museum geholt.
SH: Die Interpretation der Kunstwerke durch Schriftsteller, Musiker oder Tänzer hat das Museum höchst erfolgreich geöffnet. Es ist eine erweiterte Möglichkeit, unsere Sammlungen immer wieder anders zu betrachten. Damit ist es gelungen, neue Schichten ins Museum zu bringen.
P: Das Museumspublikum hat sich in den letzten Jahren in seinen Ansprüchen – von Barrierefreiheit bis zu Wohlfühlatmosphäre – und in seinem inhaltlichen Verständnis – etwa mythologischer und religiöser Ikonografie – verändert. Auch die ideologische Perspektive hat sich gewandelt, wenn wir an Genderthematik, Postkolonialismus etc. denken.
SH: Eine Öffnung zu diversifizierten Zielgruppen ist gefragt. Das betrifft unterschiedliche Generationen, Geschlechter, Sprachen, Religionen und Herkunftsländer, und dann natürlich die Bildung ganz allgemein. Unsere ehemals kaiserlichen Sammlungen der Habsburger sind katholisch geprägt, mit einem starken historischen Aspekt. Das muss man aufschlüsseln. Unsere asiatischen Gäste sind oft mit christlichen Motiven nicht so vertraut, die demografisch gewachsene Gruppe der Personen mit diversem Hintergrund hat wieder einen vollkommen anderen Zugang. Wichtige Themen sind natürlich der Umgang mit Objekten aus kolonialem Kontext oder das Thema Macht, das in einem habsburgisch geprägten Museum lange sehr dominant vermittelt wurde. In den letzten Jahren haben sich neue Fragestellungen ergeben, die man in der Präsentation und Vermittlung nachschärfen muss.
P: Die Ausstellungen der letzten Jahre standen meistens mit Forschungsprojekten oder Restaurierungen in Verbindung.
SH: Ich habe immer postuliert, dass wir Ausstellungen in Verbindung zu unseren Sammlungen machen. Auch die laufende Ausstellung zu Rembrandt und Hoogstraten ist aus einem Forschungsprojekt entstanden. Dadurch wird die Wissenschaft weiter vorangetrieben, weil es möglich ist, eigenen Beständen Leihgaben mit ähnlichen Forschungsleistungen gegenüberzustellen, wovon letzten Endes auch der Leihgeber einen Mehrwert hat.
P: Auch für das Publikum ist es spannend, wie bei der laufenden Rembrandt-Hoogstraten Ausstellung Einblick in die Restaurierung und in die Arbeitsweise der Künstler zu gewinnen.
SH: Das kann man in den Bildern nachvollziehen, aber eben auch in der Aufbereitung der wissenschaftlichen Vermittlung durch unser Kurator:innen-Team. Jeder liebt diese Backstage-Geschichten, und letzten Endes sind solche Ausstellungen auch eine Visitenkarte ins In- und Ausland.
P: Wie haben sich die Besucher:innenzahlen in den letzten Jahren entwickelt?
SH: Von Beginn meiner Generaldirektion 2009 an bis zur Pandemie hatten wir jedes Jahr ein Wachstum, sowohl bei den Besucher:innenzahlen als auch bei den Erlösen. Durch die Pandemie ist die Erfolgsserie unterbrochen worden. Wir haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt und sofort eine zukunftsträchtige Strategie mit entsprechendem Zielekatalog entwickelt, und ich muss retrospektiv nochmal ganz großes Lob und Dank an unsere Mitarbeiter:innen für ihren Einsatz aussprechen. Es ist uns tatsächlich geglückt, diese Pandemiejahre zu überwinden und uns so gut zu erholen, dass ich mein Amt mit einer Erfolgsbilanz an meinen Nachfolger übergeben kann und wir heuer das wirtschaftlich erfolgreichste Jahr seit meinem Antritt mit rund zwei Millionen Gästen und 20 Millionen an Erlösen erwarten.
P: Worauf sind Sie am meisten stolz? Was wird bleiben, was wird sich verändern, weiterentwickeln müssen?
SH: Stolz bin ich natürlich auf die Neuaufstellung der Kunstkammer, die Teil des Erfolgs des Kunsthistorischen Museums geworden ist. Weiters auf die neuen Formate, neben den schon angesprochenen auch die Modern- und Contemporary-Projekte mit Künstlern wie Mark Rothko oder Georg Baselitz. Ich habe unserem Haus mehr internationale Bekanntheit beschert und den Sympathie-Faktor ausgeweitet. Vor allem aber bin ich sehr dankbar, dass ich in der langen Geschichte unserer Sammlungen ein, zwei Millimeter auf der Timeline gestalten und weiterentwickeln durfte. Auch im digitalen Zeitalter ist es etwas Besonderes, vor einem Original zu stehen. Und dieser Gänsehautmoment ist nur im Museum möglich, deshalb glaube ich ganz unverbrüchlich an die Institution Museum.