Hollands Kunstwunder Rachel Ruysch
Die prachtvollen, täuschend echt wirkenden Blumenstillleben der niederländischen Malerin Rachel Ruysch (1664–1750) mit Pflanzen und Früchten, Schmetterlingen und Insekten aus den verschiedensten Regionen der Welt galten bereits zu ihren Lebzeiten als gesuchte und kostspielige Sammlerstücke. Die Alte Pinakothek München widmet der niederländischen Malerin die weltweit erste große monografische Ausstellung und zeigt ihr Werk im Kontext der Zeitgeschichte – an der Schnittstelle zwischen Kunst und Naturwissenschaft.
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Auf spur der natur
Rachel Ruysch wurde bereits zu Lebzeiten als „Hollands Kunstwunder“ bezeichnet. Sie war das erste weibliche Mitglied der angesehenen Künstlergilde Confrerie Pictura, wurde von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz als Hofmalerin nach Düsseldorf berufen, war Mutter von zehn Kindern und sogar Lotteriegewinnerin. Doch vor allem war sie eine herausragende und selbstbestimmte Künstlerin und eine der bedeutendsten Blumenstilllebenmalerinnen ihrer Zeit.
Die Retrospektive, kuratiert von Bernd Ebert, Sammlungsleiter für Holländische und Deutsche Barockmalerei in der Alten Pinakothek, ist ein Seherlebnis, doch darüber hinaus gibt sie einen Einblick in das künstlerische und intellektuelle Umfeld der Künstlerin und setzt ihr Werk in den Kontext der damaligen Zeit. Diese war unter anderem geprägt von einem wachsenden Interesse an der wissenschaftlichen Erforschung der Natur, wobei auch Frauen einen großen Anteil hatten.
Talent und die Macht, es zu fördern
Rachel Ruysch wuchs in einem wohlhabenden und vor allem intellektuellen Umfeld auf. Ihre Mutter stammte aus einer Familie von Malern und Architekten, ihr Vater war Frederik Ruysch, ein geachteter Botaniker, Naturforscher, Anatomie-Professor und Direktor des „Hortus Botanicus Amsterdam“.
Ruysch' künstlerisches Talent wurde bereits im Kindesalter von ihren Eltern gefördert. Mit 15 begann sie ihre Ausbildung bei dem renommierten Stilllebenmaler Willem van Aelst. Am Beginn ihrer Karriere orientierte sich Ruysch an ihm und auch an anderen etablierten Stilllebenmalern, wie Jan Davidsz. de Heem oder Otto Marseus van Schrieck. Ruysch interpretierte jedoch die Kompositionen völlig neu und begann früh, eine eigene, prägnante Formensprache zu entwickeln – und das mit großem Selbstbewusstsein. Bereits mit 17 Jahren setzte sie ihre Signatur wie ein „Markenzeichen“ in das Bild, erläutert Bernd Ebert.
Der Erfolg von Ruysch, so Ebert, ist ihrem außergewöhnlichen Talent geschuldet, die Natur akribisch wiederzugeben, aber zum Teil auch dem Netzwerk ihres Elternhauses. Frederik Ruysch machte Kurfürst Johann Wilhelm, so Ebert, auf die Malerei seiner Tochter aufmerksam. Diese Korrespondenz-Briefe sind auch in der Ausstellung zu sehen und zeigen einmal mehr, wie wissenschaftliches und künstlerisches Interesse verbunden waren.
Blumenstillleben galten nicht als „Meistergattung“ der Malerei, das waren Historienbilder und Porträts. Daher wurden Blumenstillleben auch als geeignetes Genre für Künstlerinnen angesehen. Das änderte sich Ende des 17. Jahrhunderts schlagartig mit dem aufkommenden Interesse an den Naturwissenschaften und die detailgetreuen Blumenstillleben avancierten zu gefragten Sammlerstücken. So konnten sich einige Künstlerinnen wie Ruysch oder auch Maria van Oosterwijck am Sammlermarkt etablieren.
WAS MACHTE DIE BLUMENSTILLLEBEN VON RACHEL RUYSCH SO BESONDERS?
In ihrem 70-jährigen Schaffen entwickelte Ruysch eine Feinmalerei, die jedes Detail der Pflanzen und Insekten in einer besonderen Weise kostbar und meisterhaft realistisch erscheinen ließ. Sie arrangierte dabei sowohl heimische als auch exotische Pflanzen zu Blumenarrangements. In den Blumenstillleben von Ruysch ging es nicht mehr, wie Bernd Ebert erklärt, um das Thema Vanitas, also das Narrativ von Werden und Vergehen, oder die ikonografische Bedeutung einzelner Blumen. Das naturwissenschaftliche Interesse, die Schönheit der Blumen, ihre Farben und ihre Formen standen im Vordergrund. Ruysch muss die Pflanzen und ihren Aufbau genauestens studiert haben, um sie so gekonnt darstellen zu können. Und dennoch handelt es sich um eine konstruierte Wirklichkeit, eine Zusammenstellung ganz unterschiedlicher und zu verschiedenen Zeiten blühender Pflanzen aus den verschiedensten Teilen der Welt.
DER FLÜGEL DES SCHMETTERLINGS
Um sich die Welt begreifbar zu machen – und auch real in das Bild zu holen –, wandte Rachel Ruysch bei einigen Gemälden einen besonderen Kunstgriff an, den sie von dem Maler Otto Marseus van Schrieck übernahm. Sie drückte echte Schmetterlingsflügel in eine Schicht aus weißer, feuchter und klebriger Untergrundfarbe und zog sie in der Folge wieder ab. Dadurch blieben winzige Schuppen kleben und übertrugen das Flügelmuster auf die Malschicht, sodass selbst kleinste Härchen und Venen des Tieres sichtbar wurden. Etwas, das wohl bereits die Zeitgenossen fasziniert hat.
Ruysch IM GLÜCK
Um 1700 wurde Rachel Ruysch gemeinsam mit ihrem Mann, dem Porträtmaler Juriaen Pool, in die Künstlerbruderschaft in Den Haag aufgenommen. Die Nachfrage an ihren Gemälden stieg, Aufträge kamen von den Adelshöfen Europas, die Sammler zahlten Höchstpreise für ihre Werke. 1708 wurde sie zur Hofmalerin Johann Wilhelms ernannt, der auch gemeinsam mit seiner Frau, Anna Maria Luisa de’Medici, die Patenschaft für Ruysch’ jüngsten Sohn übernahm – ein Zeichen besonderer Wertschätzung. Eine Anekdote aus dieser Zeit ist auch der Lottogewinn. Mit dem Einsatz von nur 10 Gulden gewannen sie gemeinsam mit ihrem Sohn Georg den Hauptpreis von 75.000 Gulden, eine Summe, die damals dem Wert mehrerer Häuser in Amsterdam entsprach.
In den fünf Jahren, die ihr nach dem Tod ihres Mannes blieben, setzte Rachel Ruysch ihre siebzigjährige Karriere als Malerin auf eindrucksvolle Weise fort. Sichtlich stolz, in diesem Alter noch zu malen, schrieb sie im Spätwerk neben ihre Signatur auch ihr Alter.
Die Schau in der Alten Pinakothek geht anhand des Werkes von Rachel Ruysch vielfältigen Aspekten ihres Werkes, aber auch ihrer Zeit nach. So wird anhand von Präparaten, botanischen Modellen und zahlreichen Zeichnungen ein Einblick in die naturwissenschaftliche Forschung dieser Zeit gegeben. Den Bogen in die Gegenwart zieht Ebert mit einem eigens für die Ausstellung konzipierten Projekt von Studierenden, die Ruysch’ Werke digital in die Dreidimensionalität übersetzen, sowie mit Werken der zeitgenössischen Künstlerin Margarita Berger, die auf Basis der Gemälde von Rachel Ruysch Pflanzen aus Papier anfertigt.
Alte Pinakothek
Barer Str. 27, 80333 München
Deutschland