Das Vermächtnis des Kröller-Müller Museum

Helene auf Sinnsuche

Jean Dubuffet, Jardin d’émail, 1974, Courtesy Kröller-Müller Museum

Das Kröller-Müller Museum liegt im Nationalpark De Hoge Veluwe nahe der Ortschaft Otterlo in den Niederlanden und wurde 1938 eröffnet. Das Museum besitzt die zweitgrößte Van-Gogh-Sammlung der Welt nach dem Van Gogh Museum in Amsterdam. Ebenso beeindruckend ist die Architektur: das Museumsgebäude von Henry van de Velde und Wim Quist, die Pavillons von Gerrit Rietveld und Aldo van Eyck im Skulpturengarten. Ein Neubau von Tadeo Ando ist in Planung. Mit seiner aktuellen Ausstellung begibt sich das Museum auf die Spuren seiner Gründerin und damit auf jene der eigenen Geschichte. Lesen Sie den ganzen Text in der Ausgabe 03/2024.


Gesamtwerk aus Kunst, Architektur und Natur

Über scheinbar endlose Wald-, Wiesen-, und Heideflächen erstreckt sich der holländische Naturpark De Hoge Veluwe. Wo einst im Zweiten Weltkrieg erbitterte Kämpfe stattfanden und Ortsnamen wie Arnheim noch dunkle Assoziationen auslösen, herrschen heute Ruhe und unberührte Natur.

Genauso wie damals, als die Industriellenfamilie Kröller-Müller, eine der wohlhabendsten der Niederlande mit einer einzigartigen Kunstsammlung, ab 1909 das gut 6.000 Hektar große Gelände als Reit- und Jagdgebiet erwarb. Helene, geborene Müller, verehelichte Kröller, wählte die Abgeschiedenheit des Naturreservats, um dort ein Haus für ihre nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ exzellente Kollektion zu errichten. Ihre Sammlung sollte die Entwicklung der modernen Kunst vom Realismus des späten 19. bis zur Abstraktion des 20. Jahrhunderts nachvollziehbar machen. Das Museum wollte sie „als Zentrum des geistigen Lebens inmitten der Ruhe der Natur“ der ganzen Menschheit schenken.

Gerrit Rietveld, Rietveldpaviljoen, 1964-1965 (rebuilt 2010), Foto: Marjon Gemmeke

Gerrit Rietveld, Rietveldpaviljoen, 1964-1965 (rebuilt 2010), Foto: Marjon Gemmeke

Beim Schlendern durch die Museumsräume begegnet man Renoir und Monet, Seurat und Signac, Picasso und Gris, Mondrian und Bart van der Leck, Vertretern von De Stijl, Kubismus, Futurismus, Abstraktion und anderen Avantgarde-Bewegungen. Dazu viele niederländische Künstler, deren Namen international wenig bekannt sind, sowie ausgewählte Abstecher in frühere Epoche. Der reich bestückte Skulpturenpark wurde unter späteren Museumsdirektoren angelegt und wird kontinuierlich erweitert.

Hauptattraktion aber ist van Gogh. Helene Kröller-Müllers Vorliebe für den Künstler, dem sie sich in gewisser Hinsicht seelenverwandt fühlte und dessen Werke ihre Kauflust besonders animierten, führte mit 91 Gemälden und 180 Zeichnungen zur zweitgrößten Van-Gogh-Sammlung weltweit. Viele Ikonen aus seinem Œuvre hängen hier dicht an dicht in einer Fülle, die den Atem stocken lässt. „Wenn man van Gogh wirklich verstehen will, dann ist dieses Museum unumgänglich.“ sagt Museumsdirektor Benno Tempel.  

Vincent van Gogh, Olijfgaard, Juni 1889, Courtesy of Kröller-Müller Museum

Vincent van Gogh, Olijfgaard,  Juni 1889, Courtesy of Kröller-Müller Museum

Im Kontext der globalen Klimakrise gibt es ein neues Bedürfnis nach Naturverbundenheit, Entschleunigung und positiver Inspiration durch Kunst. Unser Museum ist ein Ort, an dem man der Hektik des Alltags entfliehen kann.

Museumsdirektor Benno Tempel

 

DIE SAMMLERIN HELENE KRÖLLER-MÜLLER

Wer war diese Helene Kröller-Müller, der der Nukleus des heutigen Museums zu verdanken ist? Die aktuelle Ausstellung begibt sich auf die Spuren der Museumgründerin und deren Sinnsuche. „Ihr eigentliches Ziel war es, hier, in der Ruhe der Natur, ein Zentrum des spirituellen Lebens zu kreieren, in dem die bildende Kunst eine tragende Rolle spielen sollte.“, erklärt Kuratorin Renske Cohen Tervaert.

Nach einem Spaziergang in der freien und unverdorbenen Natur kommt der Geist vollkommen zur Ruhe. Es erleichtert den ungehinderten Zugang zur Betrachtung von Malerei.

Helene Kröller-Müller

Helene Kröller-Müller, am 11. Februar 1869 in Horst bei Essen geboren, wuchs in einer wohlhabenden Großbürgerfamilie auf, genoss eine profunde schulische Ausbildung und erwies sich als extrem wissbegieriges Mädchen. Die Beschäftigung mit Literatur und Philosophie veränderte auch ihre religiöse Einstellung, sie begann im Alter von 15 Jahren, die tradierten Dogmen und die Bibel zu hinterfragen und auf ihre individuelle Weise nach dem Sinn des Lebens zu suchen.

Helene Kröller-Müller, Fotografie ca. 1910, © Kröller-Müller Museum

Helene Kröller-Müller, Fotografie ca. 1910, © Kröller-Müller Museum

Eine befriedigende Antwort auf ihre Suche nach einer neuen Art von Spiritualität fand sie erst im Alter von 36 Jahren, als sie Kunstunterricht bei Hendricus Petrus Bremmer nahm, der ebenfalls nach einer individuelleren spirituellen Erfahrung suchte. Er und Helene waren damit keineswegs allein, das Fin de Siècle war geradezu süchtig nach neu aufkommenden spirituellen Strömungen – Spiritismus, Okkultismus, Yogaismus und diverse andere mehr oder weniger seriöse Bewegungen waren en vogue.

Für Helene Kröller-Müller war die mystische Art der Kunstbetrachtung eine Offenbarung.

Kuratorin Renske Cohen Tervaert

„Der wichtigste Künstler, der diese spirituellen Gefühle verkörpern und ausdrücken konnte, war Vincent van Gogh.", so Renske Cohen Tervaert. "In Helenes Augen war er der größte Künstler aller Zeiten. Kein anderer konnte ihre Überzeugung, dass Kunst ein emotionales Gefühlauslösen müsse, so perfekt vermitteln.“

 

Visionärin, Sammlerin, Direktorin

Ab 1907 kaufte Helene Kröller-Müller, immer unterstützt von ihrem Mann, rund 11.500 Kunstwerke, vorwiegend Gemälde. Sie baute – als erste Frau! – eine der größten Privatsammlungen des 20. Jahrhunderts auf. Sie träumte von einem Museum, in dem sie ihr Anliegen, über die Kunst den Sinn des Lebens zu finden, mit jedermann teilen und ihre Kollektion der Gemeinschaft schenken konnte. Nur vor diesem Hintergrund ist ihre oft überbordende Einkaufstätigkeit zu verstehen.

Im Zuge der Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre geriet das kröller’sche Firmenimperium ins Wanken. Die Sammeltätigkeit musste eingestellt, der Museumsbau gestoppt werden. Die Sammlung und das Landgut wurden zunächst in eine Stiftung eingebracht und 1935 dann an den niederländischen Staat übertragen. Diese Schenkung war an zahlreiche Bedingungen geknüpft, etwa auch die Errichtung eines Museums. 1938 konnte Helene Kröller-Müller noch die Eröffnung von Henry van de Veldes drastisch reduziertem „Übergangsmuseum“, dem bis heute genutzten Haupttrakt, erleben, bevor sie im Dezember 1939 verstarb.

Evert Strobos, Palissade, 1973-1991, Foto: Eva Broekema

Evert Strobos, Palissade, 1973-1991, Foto: Eva Broekema

GROSSE ZUKUNFTSPLÄNE
Das nun vordringlichste Projekt für Benno Tempel ist der Neubau, den das Museum in den nächsten Jahren bekommen soll. „Der neue Flügel für moderne und zeitgenössische Kunst wird großteils unterirdisch und von oben kaum sichtbar sein. Und auf das Dach kommt ein neuer Garten.“, so Tempel.

Im Sammlungskonzept will er den Blick auf verschiedene Nationalitäten richten und sich zum Beispiel auf Kunst aus Peru fokussieren – „die gibt es bisher kaum in Holland. Es wäre schön, hier im Kröller-Müller Museum eine kleine Sammlung hochkarätiger Arbeiten aus der Maya-Kultur zeigen zu können. Wir wollen das Museum und die Sammlung stets aktuell halten, damit die Leute regelmäßig kommen, weil sie wissen, es passiert immer etwas Aufregendes.“


Weiter lesen Sie in unserer Ausgabe 03/2024.

Roni Horn, Opposites of white, 2006-2007, Kröller-Müller Museum, Otterlo , Foto: Marjon Gemmeke

Roni Horn, Opposites of white, 2006-2007, Kröller-Müller Museum, Otterlo , Foto: Marjon Gemmeke

Jean Dubuffet, Jardin d’émail, 1974, Foto: Marjon Gemmeke

Jean Dubuffet, Jardin d’émail, 1974, Foto: Marjon Gemmeke

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