Plastik ist Form, ist Sinnlichkeit punktum...

Gerda Fassel mit 83 Jahren verstorben

Gerda Fassel, Sitzende, 1992, Bronze, © by the artist

Die Bildhauerin Gerda Fassel ist am 6. Mai 2025 im Alter von 83 Jahren in Wien verstorben.


Ihr Schaffen und Wirken war stets ein Eintreten für die Bildhauerei per se und vor allem stets eine kritische Auseinandersetzung mit Rollenbildern, Machtstrukturen und der Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit, und damit zutiefst politisch. Eine Eigenschaft, die sie mit vielen Künstlerinnen ihrer Generation teilte, die wie Gerda Fassel nie die gebührende institutionelle Anerkennung in den späteren Jahren erfahren durften. 2011 wurde ihr zwar von der Stadt Wien das Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen im Rahmen der von der Kleine Galerie im Bezirk Landstraße ausgerichteten Einzelschau: „Ein Leben für die Kunst: Skulptur | Zeichnung | Druckgrafik“, wo ich die Laudatio halten durfte, aber größere Ausstellungen in Museen wurden nicht realisiert.

2022 besuchten wir die Künstlerin für unsere Rubrik „Back Again“ in unserem Herbst PARNASS Special in ihrer Wiener Wohnung und durften im Anschluss auch in ihr kleines Atelier, das sich auch in Wien Landstraße befindet. Ein kleiner Raum, den ihre mächtigen Skulpturen zur Gänze ausfüllten. Zuletzt interviewte die Regisseurin Susanne Riegler die Künstlerin für ihren sehenswerten Film VERWEGEN. MUTIG. RADIKAL. Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde“ und realisierte damit ein aktuelles Zeitdokument der bis zuletzt kritischen aber auch humorvollen Künstlerin – Ein Nachruf:

Das Werk der Bildhauerin Gerda Fassel spielt in der Kontinuität und der Präsenz der figurativen Skulptur in Österreich eine wichtige und prägende Rolle. Als erste Professorin – in der Nachfolge Alfred Hrdlickas – leitete sie von 1996 bis 2006 die Meisterklasse für Bildhauerei an der heutigen Universität für angewandte Kunst in Wien – und brach damit in eine künstlerische Domäne ein, die bislang von Männern dominiert war. Durch ihr Werk und ihre Lehre prägte sie eine Generation junge Künstler:innen.

1941 in Wien geboren, studierte sie zunächst abstrakte Malerei unter anderem bei Hans Staudacher an der Wiener Kunstschule. Doch bereits in den frühen 1960er-Jahren wurde die Skulptur zu ihrem jenem Medium mit dem sich die Künstlerin nachhaltig in die österreichische Gegenwartskunst einschrieb. Von 1962 bis 1965 war Fassel in den USA, in Florida und dann von 1964 bis 1965 ein Jahr als Studentin der Bildhauerei an der Art Students League in New York bei José De Creeft.
In New York, so Fassel im Rückblick stürzten auf die 23-jährige eine Vielfalt von künstlerischen Richtungen ein – von der Pop Art, über die Concept Art und dem Minimalismus und die Vorherrschaft des Non-Figurativen. Interessanterweise waren es genau dieser Fokus auf die Abstraktion, die dazu führte, dass sie sich mit großer Überzeugung ausschließlich der menschlichen Figur widmete. Zurück in Wien setzte sie ihre Ausbildung fort, holte die Matura nach und studierte 1968 bis 1972 Bildhauerei bei Hans Knesl und Wander Bertoni.

Gerda Fassel, La Zia, Bronze, © by the artist

Gerda Fassel, La Zia, Bronze, © by the artist

Die weibliche Figur kann als das Hauptthema der Künstlerin bezeichnet werden, zumeist als prägende Erscheinungen, voluminös und raumgreifend und vorwiegend als Torso gestaltet. Ihre Figuren entsprechen nicht den Ideal des Körpers folgen, noch erfüllen sie „geschlechtsgebundende Identitätsräume“, wie Ingvild Birkhan einmal über Gerda Fassel schrieb. Es ist ein Postulat „dem Gefälligen zu misstrauen“ so Fassel. Ihre weiblichen Torsi zeigen aufgerissene Bruchstellen sowie Risse und Schnitte in der Bronzeoberfläche. Es handelt sich dabei nicht nur um einen rein formalen Wechsel von glatt und rau, vielmehr stellen diese Störfaktoren ein Gestaltungsmittel dar, das neben der formalen Qualität auch für die Verletzlichkeit des Menschen steht. Die räumliche Präsenz ihrer klar formulierten Skulpturen sowie die bewegte Bronzeoberfläche, verleihen ihren Arbeiten eine besonders eindrückliche inhaltliche Prägnanz. 

Mit Material arbeiten heißt, Kopf und Hand einsetzen. Das ist Bildhauerei. Eine Arbeit so alt wie die Menschheit.

Gerda Fassel

Gerda Fassels Bedeutung innerhalb der österreichischen Gegenwartskunst ist nicht hoch genug einzuschätzen. Ihr Werk hat sich nie an den zeitgeistigen Moden orientiert und besticht durch Eigenständigkeit, Eigensinn und Konsequenz in einem Bekenntnis zum Material und zur Skulptur als Medium von umfassender Ausdruckskraft. Zudem formulierte sie als Frau das Thema des weiblichen Körpers und zeigt diesen schonungslos und offen, nicht aus dem Blickwinkel des Mannes oder voyeuristisch sondern auch als Gegengewicht zur allgemein üblichen gesellschaftlichen Wahrnehmung figurativer Skulptur.

Gerda Fassel, Figurengruppe, 1969, Schwarzer Filzstift, 39 x 29,5 cm, Foto: © by the artist

Gerda Fassel, Figurengruppe, 1969, Schwarzer Filzstift, 39 x 29,5 cm, Foto: © by the artist

Ihre Skulpturen überraschen durch die Energie und Präsenz. Sie beherrschen sowohl als Einzelfigur als auch als zusammengestellte Gruppe den Raum. Ihre Titel spielen mit Ironie und verorten sich dadurch auch mit aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen und Beobachtungen der Künstlerin.
Gerda Fassel arbeitet ausschließlich in Bronze. „In der Bronze“, so die Künstlerin „habe ich das ideale Material gefunden. Dieses Metall eignet sich am besten für die Manifestationen meiner „Recherche“ bezüglich des Menschenbildes in unserer Zeit. Mit Material arbeiten heißt, Kopf und Hand einsetzen. Das ist Bildhauerei. Eine Arbeit so alt wie die Menschheit.“ Ihr Werk ist zeitlos und auch im Kontext eines zeitgenössischen Skulpturenbegriffs höchst brisant. Die Haptik des Materials und die Präsenz des Körperlichen haben, so war Gerda Fassel überzeugt, bis heute nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil, die Künstlerin sah das Figurative als unverzichtbar für die visuelle Umsetzung formaler Bezüge und Aussagen. 

„Plastik ist Form, ist Sinnlichkeit punktum...“ zitiert der ehemalige Direktor der Kleinen Galerie, Kulturwissenschaftler Philipp Maurer, die Künstlerin. „Gerda Fassel Figuren wenden sich in ihrer prallen Sinnlichkeit gegen den „esprit vulgaire“, gegen Normen und Normierungen, gegen körperliche und geistige Korsette. [...] sie zeigen die Spuren die die Gesellschaft an einzelnen Körpern hinterlässt.“

Plastik ist Form, ist Sinnlichkeit punktum...

Gerda Fassel, 14. August 1941 - 6. Mai 2025
Gerda Fassel, Foto: Lukas Maximilian Hüller

Gerda Fassel, Foto: Lukas Maximilian Hüller

Das könnte Sie auch interessieren