Eva Beresin im Porträt
Mit einem monumentalen, sechsteiligen Gemälde ist Eva Beresins Malerei in der aktuellen Gruppenausstellung „The Beauty of Diversity“ in der Albertina Modern das erste Mal in einem österreichischen Museum präsent. Nun feiert sie mit „Thick Air“ in der Albertina ihren ersten großen musealen Soloauftritt.
Fantasie und Familiengeschichte: Beverins expressive Bildwelten
Eva Beresin malt seit ihrer frühen Kindheit und schafft seit über 40 Jahren ihre figurativen Gemälde. Doch erst spät, so die Künstlerin, sei ihr bewusst geworden, wie sehr ihre familiäre Vergangenheit sie selbst und ihre Malerei geprägt hat. Denn nach intensiver Auseinandersetzung mit ihren Wurzeln vermochte sie erdrückende Bürden, akademische Prinzipien und übermäßige Selbstzweifel abzuschütteln und jene Malerei zu entwickeln, mit der sie seit einigen Jahren fulminante internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht: Ihre meist großformatigen Gemälde sind von skurrilen Gestalten, Menschen, Tieren und auch Mischwesen bevölkert. Didaktische Hierarchien sind über Bord geworfen: Mit fröhlichen Farben, doch mitunter grotesken Formationen und Deformationen schildert Eva Beresin eigenartige Situationen, die Phantastisches mit Schrecklichem vermengen.
In intuitiver Bildfindung umkreist sie mit unmittelbaren, zügig gesetzten expressiven Pinselstrichen existenzielle Themen, menschliches Befinden, das zwischen Tragischem und Komischem pendelt, Scham und Intimität offenbart. Ihre karnevalesken Szenerien stellen Heroisches und Banales gleichermaßen dar und offenbaren schonungslos Hintergründiges, manchmal Abgründiges.
Mit 21 Jahren kam die in Budapest geborene Künstlerin nach Wien, wo sie seither lebt und arbeitet. Neben ihrer Malerei beschäftigte sie sich bis vor etwa 20 Jahren auch mit angewandter Kunst, Objektdesign und Raumgestaltung.
Alte Tagebücher als Inspirationsquelle
Für Eva Beresin wirkten sich vor allem zwei Begebenheiten auf ihr Leben und ihre Malerei bedeutsam aus: Nach dem Tod ihrer Mutter 2007 fand sie deren Tagebuch, ein kleines braunes Heft, das diese verborgen in einer Kommode verwahrt hatte. Darin schildert die Mutter Teile ihres konsequent verheimlichten Schicksals im Holocaust: die Befreiung aus dem Konzentrationslager 1945 und den langen Weg der Heimkehr nach Budapest. Die Bleistiftschrift war bis zur Unleserlichkeit verblasst, weshalb Eva Beresin Kopien anfertigte, auf denen sie die Schrift händisch nachzog. Sie schrieb das Tagebuch ihrer Mutter quasi neu, verspürte dabei eine nicht gekannte Verbundenheit mit der Verstorbenen und erkannte vor allem, wie diese ihr Schicksal mit Humor und Zynismus zu meistern versucht hatte – was sie zutiefst berührte und sich ihr einprägte.
Das Tagebuch wurde zur Quelle neuer künstlerischer Auseinandersetzung. Hatte sich Eva Beresin zuvor in klassischer Manier an der Kunstgeschichte abgearbeitet, schafft sie seit 2012 auf Grundlage von Familienfotos Szenen einer unbeschwerten Jugend der Mutter. Malend findet sie eine physische Nähe zu ihr und erkennt die Wurzeln ihres eigenen Daseins. 2015 installierte Eva Beresin in ihrer ersten Solo-Show in der Galerie Charim eine große Intervention rund um ihre Mutter.
Nach einem Besuch in Auschwitz durchlebte Beresin das Schicksal ihrer Mutter aufs Neue, doch zugleich auch einen Akt der künstlerischen Befreiung, der ihr vorheriges malerisches Regelwerk radikal durchbricht. Mit der drastischen Wendung der Thematik wandelte sich der malerische Stil. Die Farben gewannen an Leuchtkraft, die Pinselstriche wurden energetischer und expressiver.
Seither blüht Eva Beresins Schaffenslust in enormer Produktivität auf, sie entwickelt phantastische Narrative, erobert enorme Formate und erreicht epische Dimensionen. Sie umkreist Themen, die unmittelbar aus ihrem Inneren auftauchen: ihren Alltag, ihre Geschichte, Persönliches, Intimes, Politisches wie Feministisches, Ängste wie Phantasien und Absurditäten. Das kommunistische System oder Heucheleien der Gesellschaft werden kritisch angesprochen, aber auch spaßige Bankette oder exzessive Zusammenkünfte in Szene gesetzt, manchmal pointiert mit Referenzen auf Kunstgeschichte oder zeitgenössisches Kunstgeschehen. Spöttisch, ironisch und selbstkritisch bezieht sie Stellung zur Welt, versprüht unverstellt belustigte Ironie und verquickt Horror mit Humor. Binnen weniger Stunden bringt sie intuitiv ihre Vision unmittelbar auf der Leinwand zum Bild.
Der Duktus ist flüchtig, dabei energetisch, das Kolorit von vibrierender Dynamik. Oft steht die sinnliche, farbenfrohe Palette in scharfer Diskrepanz zur Drastik des Themas.
Seit etwa vier Jahren transferiert Eva Beresin ihre Figuren und Kreaturen auch in die dritte Dimension, modelliert sie in kleinerer Größe und skaliert sie mittels 3D-Druck zu Lebensgröße. Für die Ausstellung in der Albertina wurden erstmals Bronzegüsse gefertigt. Immer bemalt sie ihre Skulpturen mit differenzierter Farbigkeit – verlebendigte, zur Plastik gewordene Malerei.
Albertina
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich
Eva Beresin
Thick Air
bis 15. September 2024