DER BILDHAUER, DER EIGENTLICH MALER WERDEN WOLLTE

Erwin Wurm im Gespräch

In Erwin Wurms Werk zeichnen sich bis heute wesentliche Entwicklungslinien der Skulptur im 20. und 21. Jahrhundert ab. Seit vielen Jahrzehnten erkundet er die Ausdrucksmöglichkeiten der Bildhauerei und arbeitet mit einem erweiterten Skulpturenbegriff, der interaktive, soziale sowie zeitliche Aspekte miteinschließt. PARNASS traf den Künstler in seinem Atelier in Schloss Limberg zum Gespräch und erfuhr hautnah, was seine Arbeit so besonders macht. Lesen Sie das ganze Interview in der aktuellen Ausgabe 03/2024.


 

Ich wollte eigentlich Malerei studieren, aber durch einen Zufall wurde ich Bildhauer. Daher fing ich an, darüber nachzudenken, was Bildhauerei heute sein könnte. Das führte mich zur Suche nach Leere, Möglichkeit und Volumen, [...] den Grundqualitäten von Bildhauerei.

Erwin Wurm

 

 

Die Ausstellungstätigkeit des Künstlers ist seit vielen Jahren umfangreich. Doch aus Anlass seines diesjährigen 70. Geburtstags scheint sie sich nochmals verdichtet zu haben und auch die Albertina modern zeigt akutell eine große Schau des Künstlers, kuratiert von Antonia Hoerschelmann, die einen Einblick in Wurms ebenso umfangreiches wie vielseitiges Œuvre gibt.

„Der Schwerpunkt liegt auf neuen Arbeiten“, so Antonia Hoerschelmann. „Wir zeigen wichtige markante Werke und Hauptlinien seines Schaffens, stellen jedoch auch weniger bekannte, aber ebenso bedeutende Arbeiten und Werkgruppen vor. (...) Es ist ein dichtes Netzwerk, das alle Medien umfasst, in denen Erwin Wurm arbeitet –Skulpturen, Zeichnungen, Arbeitsanweisungen, Videos, Objekten, Fotografie und Gemälden – und uns in die Gedankenwelt des Künstlers eintauchen lässt.“

Erwin Wurm, Eames, 2023, Aluminium, Farbe, 80 ×70 × 60 cm © Erwin Wurm, Bildrecht, Wien 2024, Foto: Markus Gradwoh

"Ich habe rasch begonnen, programmatisch zu hinterfragen, was Skulptur eigentlich ist. Da kommt man dann sehr schnell auf Parameter wie Zwei- und Dreidimensionalität, Masse, Hülle und auch Zeit. Im Grunde ist alles, was ich mache – ob Zeichnung, Video, Performance, Fotos, Malerei – skulptural, weil es sich letztlich immer um dreidimensionale Phänomene handelt."

Erwin Wurm

Erwin Wurm, Studio Limberg, 2024, Foto: Kaja Clara Joo

 

 

P: In einem Interview mit Rainer Metzger 1995 im Kunstforum meintest du, dass es dir lieber wäre, wenn die Idee einer Plastik mit den Jahren eine ständige formale „Renovierung“ erfahren würde. Was meinst du damit?

EW: Die Grenzen eines Mediums neu auszuloten und zu erweitern, ist zu jeder Zeit eine Herausforderung. Das hat sehr viel mit geistiger Freiheit zu tun – heute ist ein medienübergreifendes und pluralistischen Arbeiten möglich und es gibt keine vorgefasste Vorstellung davon, was Kunst zu sein hat.

P: Die Skulptur als Handlungsanweisung bedingt auch ihren ephemeren Charakter.

EW: Schnelllebigkeit und Kurzlebigkeit sind Eigenschaften, die ich in meine skulpturale Arbeit einbinden wollte. Bis dahin wurde vielfach Michelangelos Meinung vertreten: Eine Skulptur muss einen Berg hinunterrollen können, ohne dabei zerstört zu werden. Sie muss dauerhaft sein. Das wollte ich aufbrechen. Also habe ich beschlossen, Arbeiten zu machen, die einen definitiven Beginn, aber auch ein definitives Ende haben. Das Kunstwerk ist auf eine bestimmte Dauer reduziert. Es kann jedoch wiederholt werden. Das gilt auch für meine Staubskulpturen, auch die konnten nach genauen Vorgaben erneut angefertigt werden.

Erwin Wurm, Ausstellungsansicht "Phantoms", Nave, Berlin, 2024, Foto: Roman März, Courtesy of the artist & König Galerie, Bildrecht Wien, 2024

Ich stelle Fragen an mich, an meine Zeit und an die Skulptur und verbinde diese mit sozialen Themen unserer Zeit. Das muss ich mit den Mitteln der Gegenwart machen, nicht mit der Kunstsprache vergangener Generationen.

Erwin Wurm

P: In den letzten Jahren entstanden erstmals auch Skulpturen aus Stein. Die Motive sind eine Fortführung deiner bekannten Würste und Gurken, ergänzt um überproportionale Semmeln, Croissants und Salzstangen. Die Ironie, mittels poliertem Marmor die Speisekarte eines Würstelstandes darzustellen, wird zum lukullischen Sinnbild, das gekonnt den Betrachter animiert, hinter die Kulissen unserer Gesellschaft zu blicken.

EW: Die Wurst und die Semmel, das ist das einfachste Menü, das war auch für mich als Kind und später als Student ein alltägliches Nahrungsmittel. Es ist für mich ein Sinnbild für ein soziales Umfeld und für gesellschaftliche Haltungen. Darüber hinaus steht es für eine bestimmte Kategorie von weißen Männern, die sich am Würstelstand über ihr Weltbild unterhalten – ein Weltbild, das von Enge, Vorurteilen und Intoleranz geprägt ist, von antifeministischer Haltung gar nicht zu sprechen.

 

Weiter lesen Sie in unserer aktuellen  Ausgabe 03/2024.

Erwin Wurm, Studio Limberg, 2024, Foto: Kaja Clara Joo

2024 waren Erwin Wurms Arbeiten auch in der Galerie bei der Albertina Zetter, im Kunsthaus Graz, in der Galerie Thaddaeus Ropac (London, UK), in der Fosun Foundation (Shanghai, CN), in der KÖNIG GALERIE (Berlin, DE), in der Biblioteca Marciana (Venedig, IT), in der Galerie Cristina Guerra (Lissabon, PRT), im Kurgarten vor dem Kurhaus (Baden-Baden, DE) und in der Mulier Mulier Gallery (Brüssel, BEL) zu sehen.

ALBERTINA modern

Karlsplatz 5, 1010 Wien
Österreich

 
Erwin Wurm
Die Retrospektive zum 70. Geburtstag

13. September 2024 bis 9. März 2025

ALBERTINA.AT

Das könnte Sie auch interessieren