Der Blick dahinter

Ein Atelierbesuch bei Franziska Reinbothe

Die gebürtige Ostberlinerin Franziska Reinbothe (*1980) ist eine Grenzgängerin. Am Anfang ihrer Bildfindung steht stets die Frage: Was passiert, wenn...? Das Ergebnis ist eine ungewohnte und ungewöhnliche Bildsprache, die irritiert und berührt gleichermaßen. Andreas Maurer hat die Künstlerin in Leipzig besucht.


„Hallo! Einfach raufkommen!“ ruft uns Franziska Reinbothe aus ihrem Dachatelier zu. Leichter gesagt als getan, denn dazu muss man in dem Altbau in der Leipziger Südvorstadt erst einmal vier Stockwerke erklimmen. „Das hat auch das Format meiner Arbeiten beeinflusst,“ meint die Künstlerin. „Manche passen einfach nicht durchs Stiegenhaus!“, erzählt sie schmunzelnd. Einen ähnlichen Einfluss auf ihr Werk hat auch der mit Farbspritzern bedeckte Boden des Ateliers: „Hier kann ich genau zwei großformatige Bilder nebeneinander auflegen, um an ihnen zu arbeiten. Zuvor muss ich aber alle Malutensilien auf den Gang räumen, denn die haben dann keinen Platz mehr in dem kleinen Raum. Auch die Türe lässt sich dann gerade noch öffnen!“

Foto: Franziska Reinbothe

Foto: Franziska Reinbothe

Foto: Franziska Reinbothe

Foto: Franziska Reinbothe

Franziska Reinbothe

Foto: Franziska Reinbothe

Franziska Reinbothe

Bald wird das Platzproblem aber der Vergangenheit angehören, denn in wenigen Wochen zieht Franziska Reinbothe aufs Land, privat wie künstlerisch - ihr Atelier verlegt sie in eine aufgelassene Schmiedewerkstatt. Verpackt in Holzisten wartet ein Großteil der Werke bereits auf den Transport. „Ich bin schon gespannt, welchen Einfluss diese Umgebung auf meine Bilder hat. Vor allem das viele Licht!“

Und als ich dann diese verstümmelten Bildkörper gesehen habe, wusste ich: das ist der Ausweg!

Franziska Reinbothe

Dabei geht es Franziska Reinbothe in erster Linie gar nicht um das Offensichtliche - in ihrer Kunst legt sie jene Stellen des Bildes frei, die sonst eigentlich nicht zu sehen sind. „Das gelingt mit, in dem ich teilweise die Leinwand entferne, zusammenkneife oder stauche. Manchmal verzichte ich auch auf die Leisten.“ Zur Veranschaulichung packt sie zwei Arbeiten noch einmal aus der Luftpolsterfolie aus. Und schnell wird klar: Franziska Reinbothe ist keine Malerin im klassischen Sinn. Keilrahmen werden bei ihr zerbrochen, Leinwände zerschnitten und wieder zusammengenäht. Über verletzte Körper spannt sie weichen Chiffon-Stoff, Wunden versorgt sie mit zarten Pastellbändern. Bei einem Bildobjekt hat sie etwa verschiedene Leinwände zusammengenäht, ein dunkelbrauner Karton schimmert elegant durch die Narbenfalten hindurch. Eine andere Arbeit besteht gar aus zwei Vorgängerwerken, die geöffnet und miteinander verbunden wurden. „Beide für sich allein haben mir nicht gefallen. Jetzt ist die Arbeit für mich stimmig.“ Umformungen -  so hat Franziska Reinbothe diesen künstlerischen Zugang getauft. „Darauf bin ich eigentlich aus einem Moment der Frustration heraus gestoßen,“ gesteht die Künstlerin. „Als ich noch an der Hochschule in Leipzig studiert habe, hatte ich eine sehr misslungene Besprechung mit meinem Professor. Voller Wut habe ich dann zwei Bildern zerstört. Mit einem Messer habe ich eine Leinwand regelrecht abgestochen, dem anderen habe ich das Rückgrat, also den Keilrahmen gebrochen,“ erinnert sich Franziska Reinbothe. Was sie aber nicht wusste - die kreative Sackgasse entpuppte sich als Wegweiser. „Drei Tage später bin ich dann in mein Atelier zurückgekommen und wollte aufräumen. Und als ich dann diese verstümmelten Bildkörper gesehen habe, wusste ich: das ist der Ausweg!

Franziska Reinbothe

Seitdem faltet, zerbricht, durchschneidet oder vernäht Reinbothe ihre Malwerke. Der stark physische Moment der Entstehung ist auch beim Betrachten spürbar. Dekonstruierte Leinwände zeigen sich als verletzte, zerbrechliche und starke Individuen gleichermaßen, ragen in den Raum hinein oder lösen sich vollständig von der Aufhängung. Imperfektion ist zum Prinzip geworden, zweidimensionale Bekannten verwandeln sich in dreidimensionale Spielfelder des Möglichen. „Ich frage mich oft: Was passiert, wenn...? Wie sieht das Bild aus, wenn...?“ Die nächste Frage lautet aber vielmehr: Was passiert, wenn Franziska Reinbothe ihr neues Atelier außerhalb der Großstadt bezieht...? Parnass freut sich jedenfalls schon auf die Landpartie.

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