Die Kuratorin Kathleen Reinhardt holt die Künstlerinnen Henrike Naumann und Sung Tieu nach Venedig

Drei Frauen für den Deutschen Pavillon

Künstlerinnen Henrike Naumann und Sung Tieu, sowie Kuratorin Kathleen Reinhardt für den Deutschen Pavillon auf der 61. Kunstbiennale von Venedig, Foto: Victoria Tomaschko

Die Entscheidung war einstimmig, die Reaktionen durchweg positiv. Dass Kathleen Reinhardt zur Kommissarin des Deutschen Pavillons auf der Biennale von Venedig 2026 gewählt wurde, ist trotzdem überraschend. 


 

Eine ostdeutsche Stimme für Venedig

Reichardt führt mit dem Georg Kolbe Museum ein sehr kleines Museum am Rand von Berlin. Zuvor hat sie sechs Jahre als Kuratorin für Gegenwartskunst im Albertinum in Dresden gearbeitet – auch das kein Hotspot des Zeitgenössischen. Ihre Dresdener Ausstellungen „1 Million Rosen für Angela Davis“ sowie das Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Revolutionary Romances. Transkulturelle Kunstgeschichten in der DDR“, beschäftigten sich mit bis dahin nicht beachteten Aspekten der Kunstgeschichte. In ihrer aktuellen Ausstellung im Kolbe-Museum geht sie einen Schritt weiter und fragt konsequenterweise nach der „Inszenierung von Erinnerung“.

Die Berufung von Kathleen Reinhardt ist auch deshalb eine Besonderheit, weil noch nie seit 1990, dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung, eine Kunsthistorikerin oder ein Kunsthistoriker mit ostdeutscher Herkunft den deutschen Beitrag für Venedig kuratieren durfte. Kathleen Reinhardt wurde im thüringischen Sondershausen geboren, studierte in Bayreuth, Amsterdam und Los Angeles Literatur- und Kulturwissenschaften und Internationales Management. 

Als ihre Nominierung jetzt bekannt gegeben wurde, sprach Kathleen Reinhardt davon, wie sehr die Kunst in unserer „höchst herausfordernden Gegenwart Freiräume für kreative Visionen, für Begegnung, für gesellschaftliche Aushandlung und für gemeinsame kritische Reflexion“ benötige. Diesen Freiraum stellt sie in Venedig zwei Künstlerinnen mit ostdeutscher Vergangenheit zur Verfügung: Henrike Naumann wurde 1984 in Zwickau geboren, Sung Tieu 1987 in Vietnam, ihr Vater kam als Vertragsarbeiter in die DDR.

Kathleen Reinhardt ist Kuratorin des Deutschen Pavillons der Kunstbiennale in Venedig 2026, Foto: Diana Pfammatter

Kathleen Reinhardt ist Kuratorin des Deutschen Pavillons der Kunstbiennale in Venedig 2026, Foto: Diana Pfammatter

Mit ihrem konzeptuellen und bildhauerischen Werk stellen Sung Tieu und Henrike Naumann Fragen nach historischer Verantwortung und der Rolle individueller wie kollektiver Handlungsmacht aus der Perspektive einer jungen Generation, die die großen Themen des Deutschen Pavillons in einem komplett anderen Koordinatensystem verortet.

Kathleen Reinhardt

Ein „komplett anderes Koordinatensystem“ ist in der Tat zu erwarten, denn beide Künstlerinnen haben immer wieder die eigene Herkunft thematisiert. Damit öffnen sie das Themenspektrum, das bisher im Deutschen Pavillon verhandelt wurde, um eine explizit ostdeutsche Sicht und eine vietnamesisch-ostdeutsch-gesamtdeutsche. 

Beide Künstlerinnen legen viel Wert auf Recherche, ohne dokumentarisch zu sein. Henrike Naumann arbeitet mit Möbeln und Alltagsobjekten, die sie als Material für ihre Rauminstallationen nutzt. Sung Tieu verwendet Video, Klänge, Zeichnungen, die sie in ihren akribisch recherchierten Installationen mit alltäglichen Objekten verknüpft. Diese werden jedoch so weit reduziert, dass sie minimalistisch wirken. Etwa in ihrer Arbeit „Anti-Trauma Walk“ für die sich Sung Tieu mit der erzwungenen Einführung des metrischen Systems in Französisch-Indochina 1897 beschäftigte. Den Verlust von sieben Zentimetern, der die Kolonialmacht um 15 Prozent reicher machte, visualisierte Sung Tieu mit unterschiedlich langen Kanthölzern.

Henrike Naumann und Sung Tieu gestalten den Deutschen Pavillon auf der 61. Kunstbiennale von Venedig, Foto: Victoria Tomaschko

Henrike Naumann und Sung Tieu gestalten den Deutschen Pavillon auf der 61. Kunstbiennale von Venedig, Foto: Victoria Tomaschko

Die Arbeiten von Henrike Naumann sind weniger minimalistisch, aber ebenfalls explizit politisch. Ihre Themen kreisen um die deutsche Wiedervereinigung und die Zeit danach –- auf der ganzen Welt. Ihre Installationen sind soziale Plastiken aus Möbelinstallationen. Sie nutzte Schrankwände für das Thema Reichsbürger, ein leeres Ladenlokal zum Thema NSU-Morde und Schreibtischmöbel, um über den Sturm auf das Capitol nachzudenken.

La Biennale di Venezia 2026

9. Mai - 22. November 2026

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