Meisterwerke #4

Die Verzückung der heiligen Teresa

Theatralisch, opulent und ein kleiner Skandal – „die Ekstase der heiligen Teresa“ machte den Großmeister des Barock Gian Lorenzo Bernini schon zu Lebzeiten noch ein Stück berühmter.


„Als der Engel den Pfeil herauszog, dachte ich, er zöge auch mein Innerstes heraus und ließe mich ganz entflammt mit einer großen Liebe zu Gott zurück. Der Schmerz war so scharf, dass ich mehrmals ein Stöhnen ausstieß; und so überwältigend war die Süße, (...) dass man sie nie wieder verlieren möchte.“ Diese, und andere Erlebnisse, festgehalten im „Libro de la vida“ der Heiligen Teresa von Ávila (15151582) nimmt Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) als Vorlage für sein Marmor-Ensemble in der Capella Cornaro.

DIE VERZÜCKUNG DER HEILIGEN TERESA

1647 BIS 1652

Gian Lorenzo Bernini
1598 bis 1680, Neapel/Rom

Stil: Barock

Material: weißer Carrara-Marmor

Standort: Cornaro-Kapelle/Kirche Santa Maria della Vittoria/Rom

Fun Fact: Dan Brown’s „Illuminati“ spielt unter anderem auch in Santa Maria della Vittoria

 Die Verzückung der hl. Teresa von Avila in der Santa Maria della Vittoria in Rom

Alles ist Illusion, die Kapelle ein Theater

Andreas Maurer

Rund 30 Jahre nach ihrer Heiligsprechung (1622) ist die spanische Mystikerin, Kirchengelehrte und führende Figur der Gegenreformation in Rom „altarwürdig“ geworden. Das Reformklima der Zeit und Teresas Biografie finden bei Bernini in einem „ganzheitlichen“ Ensemble zusammen, in dem wir die Heilige auf dem letzten Schritt ihres Erkenntnisweges begleiten dürfen.

Der Meister eint Bildhauerei, Architektur und Malerei

Im bereits abgegrenzten Kapellenraum inszeniert der Barockbildhauer ein „Stück-im-Stück“ beziehungsweise einen „Tempel im Tempel“. Alle Gattungen – Bildhauerei, Architektur, Malerei – ordnen sich einem Konzept unter und vereinen sich zum Gesamtkunstwerk, einem „bel composto“ wie Berninis Biograph Filippo Baldinucci (16251696) festhält. Gleichzeitig verdichten sich die verschiedenen Erzähleben und Lebensstationen Teresas zur Momentaussage. Das Ergebnis: eine meisterliche Wort-Bild-Einheit.

Elemente aus der Architektur des Hauptschiffes und des Querhauses sorgen für einen fließenden Übergang zwischen Kirche und Kapelle. Schrankenlos interpretiert Bernini auch die Hingabe der Heiligen, die mit leicht geöffnetem Mund den göttlichen Atem einsaugt. Doch nicht die verbindenden Elemente „verzücken“ bis heute die Touristen, sondern die starken Kontraste: Darunter die aufsteigende Figurengruppe, die ein Gegengewicht zum herabfallenden Licht bildet, die flachen Reliefs der Cornaro-Familie, die aus ihren Logen in Dialog mit der plastischen Bühnenszene treten.

Scheinbar Aufgelöstes Gewicht

Berninis Engel (scheinbar aus Caravaggios „Armor als Sieger“ herausgetreten) lässt mit komplizenhaftem Lächeln den schmerzvollen Pfeil beinahe vergessen. Behutsam, zärtlich führt er ihn ins Herz der Mystikerin (siehe Caravaggios „Maria Magdalena in Extase“). Mit solchen Gesten erleichtert Bernini das natürliche Gewicht des Marmors während gleichzeitig Ornamente die Schwere des Tempelaufsatzes auflösen. Angedeutete Innenräume hinter Teresas Verzückung und den Reliefs erweitern den Kapellenraum um eine Hinterbühne. Alles ist Illusion, die Kapelle ein Theater.

 Die Verzückung der hl. Teresa von Avila in der Santa Maria della Vittoria in Rom, Detail

Strahlend Weißer Marmor aus Carrara

Strahlend weiß hebt sich die zentrale Figurengruppe von den farbigen Oberflächen der restlichen Materialien ab, löst die Gegenwart auf und adelt die Darstellung als allzeitgültiges Medium. Berninis Inszenierung besticht ebenso durch die Beleuchtungseffekte: echtes und künstliches Licht werden miteinander verschränkt, ein durchbrochenes Fenster (mit gelben Scheiben) übergießt das goldene Strahlenbündel mit realistischem Hauch, der orangene Giebel-Hintergrund suggeriert zusätzliche Lichtdurchlässigkeit.

Spannend: die raffinierte Lichtführung enthüllt auffällig wenig, sondern zeigt vielmehr die Grenzen des Sagbaren auf. Als Coda offenbart das Bühnenspiel dann endlich die fundamentale Wahrheit: Nur die Liebe erlaubt ein Aufgehen in etwas Größerem. Ob man dieses nun Erleuchtung, inneren Frieden oder Zen nennt sei jedem selbst überlassen.

 Die Verzückung der hl. Teresa von Avila in der Santa Maria della Vittoria in Rom, Detail

Literatur

Rudolf Preimesberger: Berninis Capella Cornaro: Eine Bild-Wort-Synthese des siebzehnten Jahrhunderts? Zeitschrift für Kunstgeschichte 49 (1986)

Felix Thürlemann: Dargestellte Architektur. In: Francesco Borromini, Opus architectonicum: erzählte und dargestellte Architektur (1999)

Claudia Lehmann: „Un teatro pien di meraviglie“ – Gian Lorenzo Bernini vor dem Hintergrund konzeptistischer Poetik. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde des

Fachbereichs Germanistik und Kunstwissenschaften der Philipps-Universität Marburg. (PDF) Speyer 2005

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