Entdeckungen im Möbelmuseum Wien

Die Geschichte des Designs muss umgeschrieben werden

Möbelmuseum Wien, Hereweare, 2024 © SKB

Es scheint, als wäre ganz schön viel Detektivarbeit dahinter, die Frauen der Designgeschichte zu benennen. Um ein Patent anzumelden, musste man lange Zeit den Namen des Ehemannes anführen und wenn Frauen Interieurs intelligent, nachhaltig und kreativ optimierten, galt das oftmals schlichtweg nicht als Design, sondern als dekorative Hausfrauenaufgabe. Nun feiert das Wiener Möbelmuseum die Designerinnen des letzten Jahrhunderts, der Gegenwart und Zukunft. 


Frauen im Schatten der Männer

Wie so viele Sammlungen aktuell eine Neubetrachtung in Sachen Diversität erlangen, so kam auch das Designmuseum Vitra zur ernüchternden Erkenntnis, das weibliche Gestalterinnen in der eigenen Sammlung die Ausnahme bilden. So nahmen sich gleich drei Kuratorinnen der Aufgabe an diese Sammlungsperspektive zu hinterfragen und eine Neubetrachtung anzuregen –  Viviane Stappmanns, Nina Steinmüller und Susanne Graner. Rasch wurde klar: Frauen sind im Design der letzten 120 Jahre wichtige Protagonistinnen, bloß fehlte ihnen oft das Stimmrecht und sie arbeiteten in den Schatten männlichen Designer. Ausgehend von den gesellschaftlichen Umbrüchen in Europa und Nordamerika mit dem einsetzenden letzten Jahrhundert betrachtet das Möbelmuseum Wien nun in Kooperation mit dem Vitra Design Museum Werke von rund 80 Designerinnen – manche von ihnen haben inzwischen Weltruhm erreicht, andere gilt es vor den Vorhang zu holen. 

Möbelmuseum Wien, Here we are, 2024 © SKB

Möbelmuseum Wien, Here we are, 2024 © SKB

Feminismus, Aufbruch & Protest

So sind Eileen Gray, Charlotte Perriand, Lilly Reich oder Clara Porset, Unternehmerinnen wie Florence Knoll und Armi Ratia, aber auch weniger bekannte Persönlichkeiten wie die Sozialreformerin Jane Addams in Wien präsent. Die Ausstellung leistet bahnbrechende Recherchearbeiten. So wird etwa die bislang weitgehend unentdeckte Schule Loheland, die wie das Bauhaus 1919 gegründet wurde, aber im Gegensatz zum Bauhaus nur Frauen aufnahm, ins Blickfeld gerückt. Immer wieder ist der Blick zu zeitgleich arbeitenden männlichen Designern aufschlussreich, oftmals arbeiteten die ausgestellten Gestalterinnen aber auch in engem Austausch mit ihren Partnern, etwa Ray Eames mit ihrem Mann Charles oder Aino Aalto mit Alvar Aalto. Mit Jeanne Toussaint als Creative Director des Schmuckhauses Cartier wird aber auch eine frühe führende Designerin porträtiert, die sich vom männlichen Establishment nicht beirren ließ. Feminismus, Aufbruch, Protest sind Themen die wiederholt in der Schau angesprochen werden. 

Charlotte Perriand on the Chaise longue basculante, 1929, Perriand and Jeanneret © VG Bild-Kunst. Bonn 2021, Le Corbusier, F.L.C.VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Charlotte Perriand on the Chaise longue basculante, 1929, Perriand and Jeanneret © VG Bild-Kunst. Bonn 2021, Le Corbusier, F.L.C.VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Die Rollenbilder und die Möglichkeiten von Frauen im Design veränderten sich stetig weiter: Die Ambivalenz und die Umbrüche der turbulenten Ära ab den 1960er- und 1970erJahren spiegeln sich in den poppigen Marimekko-Designs oder den postmodernen, teilweise spektakulären Objekten italienischer Designerinnen wie Nanda Vigo, Gae Aulenti oder Cini Boeri.

Lohnend ist schließlich der Blick in die Gegenwart gegen Ende des Ausstellungsrundganges. Heute ist rund die Hälfte der Designstudierenden weiblich, und Frauen sind in vielen zukunftsweisenden Designbereichen federführend. So wird der Blick auf Social Design, Climate Design und neue Materialien gelegt und schnell deutlich wie relevant Zusammenarbeit der Geschlechter, Nationen und Disziplinen ist. Zeitgenössische Positionen werden in der Schau unter anderem durch Designerinnen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola, Julia Lohmann oder die Kollektive Matri-Archi(tecture) und Futuress vertreten. 

Möbelmuseum Wien, Here we are, 2024 © SKB

Möbelmuseum Wien, Here we are, 2024 © SKB

Möbelmuseum Wien

Andreasgasse 7, 1070 Wien
Österreich

HERE WE ARE! Frauen im Design 1900 – heute

bis 1. September 2024

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