Meisterwerke #1

Der Kuss des Meisters

„Kann man sich etwas Gekünstelteres denken, als seine Liebespaare?“, „Wien ist ernster, freier, stärker geworden. Und Klimt sollte es auch werden er ist eine erledigte Hoffnung.“ Die Zeitungen waren sich angesichts der Kunstschau 1908 nicht gerade einig, dass Gustav Klimts ausgestellte Werke darunter „Das Liebespaar/Der Kuss“ - Meisterwerke sind.


Nichtsdestotrotz erwarb die Moderne Galerie das Gemälde damals für sagenhafte 25.000 Kronen. Sollte der Preis das Kunstwerks als Ikone der Österreichischen Moderne festschreiben? War es Marketing für den Umbau zur Österreichischen Staatsgalerie (ab 1909) oder doch eine Wiedergutmachung für Klimts verschmähte Fakultäts-Bilder?

Fakt ist: Schnell entwickelte sich „Das Liebespaar/Der Kuss“ zum begehrten Motiv für Reproduktionen und gilt noch heute als Verkaufsschlager für Souvenirs. Der Erwerb des „Liebespaars“ war bei der Kunstschau zudem sicher die skandalfreiere Entscheidung (ebenso ausgestellt waren: Danaë, Die drei Lebensalter einer Frau, Bildnis Adele Bloch-Bauer). „Die Bilder sind der Gipfel einer völlig dekadenten Kunst“, echauffierte sich eine Zeitung. „Nicht einmal der Meister Lochner von Köln hat so viel Gold aufgebraucht, und kein Byzantiner!“ Und wirklich, die Welt von Klimts Liebespaar ist regelrecht in Gold getaucht, vorherrschende Traditionen umgekehrt - statt Gold-Betonung ist der Mensch zum Akzent geworden, das Ornament, erzählt die Geschichte, die den Körper verhüllenden Kleider enthüllen die Seelen (Emil Pirchan 1956). Doch macht dieser Kunstgriff das Werk bereits zum Meisterwerk? Bis heute rätselt die Fachwelt über die Aussage des Bildes.

Der Schlüssel zum Erfolg des Gemäldes scheint in seiner enormen Benutzeroberfläche zu liegen, in diesem Sowohl-Als-Auch von Liebe/Ablehnung, Dominanz/Emanzipation, Kunsthandwerk/Malerei, von geformtem Edelmetall/gewachsener Natur. Die Zutaten in Klimts Gesamtkunstwerk scheinen bekannt und doch überraschend neu. Aus dekorativen Ornamenten formt er symbolische Zeichen, aus Fläche entwickelt er Tiefe. „Das Liebespaar/Der Kuss“ bewegt sich zwischen Jugendstil und Moderne, schmeckt nach Byzanz und Europa und erinnert an japanische Lackmalerei ebenso wie an das traditionelle Tafelbild. Nähe und Entfremdung, Aktiv und Passiv, Dynamik und Seelenruhe  Klimt lässt alle Harmonien und Dissonanzen zugleich erklingen. Und auch wenn sein „Kuss“ eigentlich nur ein „Küsschen“ ist, so balanciert er doch meisterhaft auf dem schmalen Grat zwischen großer Kunst und dekorativem Kitsch.

Gustav Klimt Der Kuss (Liebespaar) 1908 1909,  © Belvedere, Wien

Infos zum Werk:

Titel: „Das Liebespaar“, später „Der Kuss“

Ausgestellt: Kunstschau 1908/Wien

Heute: Belvedere Museum/Wien

Größe: 180x180cm


Literatur:

Laura Arici: Schwanengesang in Gold. „Der Kuss“ - eine Deutung. in: Kat. Gustav Klimt, hrsg. v. Toni Stooss und Christoph Doswald, Kunsthaus Zürich, Stuttgart 1992, S. 43

Max Eisler: Gustav Klimt. Wien 1920

Hans Bisanz: Zur Bildidee „Der Kuss“ - Gustav Klimt und Edvard Munch. in: Kat. Klimt und die Frauen, Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2000, S. 226-234.

Annemarie Monteil: Der Duft der Zeit - in Gold gefasst : Gustav Klimt (1862-1918) im Kunsthaus Zürich. Schweizer Monatshefte : Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur. Band (Jahr): 72 (1992), Heft 11

Emil Pirchan: Gustav Klimt. Ein Künstler aus Wien. Wien-Leipzig 1942

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