Meisterwerke #6

Das Schwarze Quadrat

Ist es das schwarze Viereck, welches den weißen Grund verdrängt, oder der weiße Rand, der langsam größer wird und die Dunkelheit auslöscht? Kasimir Malewitschs (1878–1935) Quadrat lässt unzählige Interpretationen zu.


Vielleicht ist das schwarze Quadrat sogar der ausgeschnittene und eingerahmte Punkt eines Ausrufezeichens. Das Ende eines Satzes, ein dringend benötigter Abschluss durch den der nächste – kunstgeschichtliche – Schritt erst in den Bereich des Möglichen gerückt wird. Alles scheint gesagt. Punkt. Alles abgeschlossen. Punkt. Die Stunde Null hat begonnen.

Als ich 1913 den verzweifelten Versuch unternahm, die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien, stellte ich ein Gemälde aus, das nicht mehr war als ein schwarzes Quadrat auf einem weißen Grundfeld ...

Kasimir Malewitsch

Schwarzes Quadrat
auf weißem Grund

1915

Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch
1879 bis 1935, Kiew/Leningrad

Stil: Suprematismus

Technik: Öl auf Leinwand

Format: 80 x 80 cm

Originaltitel: Viereck

Erstmals zu sehen: 1915

Heute: verschollen

Auch interessant: 1924 hat Malewitsch ein anderes Gemälde mit dem Motiv des Schwarzen Quadrats gemalt, es befindet sich im Russischen Museum in Sankt Petersburg

Kazimir Malewitch, 1915, Das schwarze Quadrat, Öl auf Leinwand, 79.5 x 79.5 cm, Tretyakov Gallery, Moscow

„Dieses Bild ist heilig“

1915 zeigt Malewitsch sein abstraktes suprematistisches Gemälde auf der Letzten futuristischen Ausstellung „0,10“ in Sankt Petersburg/Petrograd zum ersten Mal. Seitdem ist das „Schwarze Quadrat auf weißem Grund“ (damals noch „Viereck“) fester Bestandteil des Kunstgeschichte-Kanons und gilt als „Ikone“ der Moderne – wörtlich. Denn Malewitsch positioniert sein schwarzes Quadrat prominent im Herrgottswinkel des Ausstellungsraumes der futuristischen Schau. Dort wo auch in russischen Haushalten traditionell die Ikonen ihren Platz haben. Das Statement: Dieses Bild ist heilig.

Einfach übermalt: Das schwarze Quadrat als schwarzer Balken

Und wie in jeder guten Heilsgeschichte muss auch in der Kunstgeschichte das Alte für das Neue geopfert werden. Nicht fortführende Erweiterung, sondern konsequente Überschreibung ist der Weg in die künstlerische Zukunft. Und wirklich: der russische Avantgardist hat für sein „kleines Schwarzes“ ein bereits bestehendes Gemälde übermalt. Welches ist nicht bekannt, die durch die Farbüberlagerungen entstandenen Risse in der deckenden schwarzen Schicht waren jedoch sicher Teil seines „schwarzen“ Plans (auch wenn dieses Detail aufgrund der erhöhten Hängung des Bildes sicher nicht registriert wurde). Aus der Nähe betrachtet sieht das Quadrat heute fast so aus als würde sich die Vergangenheit zurück in den Vordergrund der Leinwand drängen wollen. Ein Versuch, der schließlich der an der radikalen Geste des Künstlers scheitert.

Kazimir Malewitch, 1915, Das schwarze Quadrat, Öl auf Leinwand, 79.5 x 79.5 cm, Tretyakov Gallery, Moscow


Exhibition: A section of Suprematist works by Kazimir Malevich exhibited for the first time


… Es war kein leeres Quadrat, das ich ausstellte, sondern vielmehr die Empfindung der Gegenstandslosigkeit.

 

Kasimir Malewitsch

Kunst statt Kirche

Schwarz/Weiß, Null/Eins – die größte Reduktion an Zutaten – komprimiert das Bild zum Formgebilde. Wie in einen schwarzen Schacht blickt man in das dunkle Viereck mit seinen nicht ganz geraden Winkeln (oder blickt es vom Herrgottswinkel auf uns herab?). Fällt hinein in eine Malerei, die nichts mehr "will", die keine ästhetische Erfahrung mehr bereithält, die einfach "ist", die statt Lösungsvorschlägen nur noch mehr Fragen aufwirft.

Tag/Nacht, Licht/Schatten, Sein/Nichtsein das monochrome Viereck kann ebenso als Summe aller universellen Weisheiten gelesen werden wie als das was es ist: schwarze und weiße Farbe auf Leinwand, ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund, oder doch: ein weißer Rahmen auf schwarzem Quadrat ... wer weiß?!

Kasimir Malewitsch, Selbstportrait, 1933, Öl auf Leinwand, 73 x 66 cm, The State Russian Museum, St. Petersburg

Kasimir Malewitsch, Selbstportrait, 1933, Öl auf Leinwand, 73 x 66 cm, The State Russian Museum, St. Petersburg (Detail)

Literatur:


Monika Holzer-Kernbichler: Kasimir Malewitsch und das Schwarze Quadrat. In: Kunsthistorisches Jahrbuch Graz. Schwarz: Sein oder Nicht-Sein?; hrsg. von Götz Pochat/Brigitte Wagner/Heinrich G. Franz. Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz 2004

Jeannot Simmen: Kasimir Malewitsch – das schwarze Quadrat. Fischer Verlag1998

Ulrike Gärtner: Das Testament des Suprematismus. Am Anfang war das Schwarze Quadrat. in: Modernisierung des Sehens ; Matthias Bruhn/Kai-Uwe Hemken (Hg.), transcript Verlag 2008

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