Christian Bauer. Direktor der Landesgalerie Niederösterreich
Die Kunstmeile in Krems hat sich sowohl im Bereich Bildender Kunst als auch mit Musikfestivals international etabliert. Mit der Landesgalerie Niederösterreich erhält die Kunstmeile eine architektonische Landmark von großer Strahlkraft und einen neuen dynamischen Ausstellungsort für das österreichische Kunstschaffen sowie ein Besucherzentrum für die Kunstmeile Krems. Ein Gespräch mit dem künstlerischen Direktor Christian Bauer.
PARNASS: Nur wenige Bauaufgaben verbinden die Identität, Repräsentation und den Inhalt mit der architektonischen Gestaltung so sehr wie jene eines Museums. Auch die Architektur der Landesgalerie wirkt wie maßgeschneidert für den Standort und den Inhalt. Was waren die Voraussetzungen für den Bau des neuen Museums?
CHRISTIAN BAUER: Zentrale Basis der Landesgalerie bilden die Landessammlungen Niederösterreich. Sie umfassen 60.000 Objekte, darunter Meisterwerke vergangener Jahrhunderte und herausragende Beispiele der Gegenwart. Neben wichtigen Werken des Mittelalters und des Barock liegt der Sammlungsschwerpunkt in der Kunst des 19. Jahrhunderts bis zum zeitgenössischen Schaffen. Die zweite Voraussetzung ist die Geschichte der Kunstausstellungen in Krems, die in der Nachkriegszeit eine europaweite Dimension erlangt hat. Der Grundstein für die ersten großen Landesausstellungen, die 1960 mit „Jakob Prandtauer und sein Kunstkreis“ im Stift Melk offiziell begonnen haben, wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Krems gelegt – mit den Ausstellungen „Kremser Schmidt" 1951 und „Gotik in Niederösterreich“ 1959. Ebenso hat die Aufarbeitung der Landessammlungen eine lange Tradition. Hier gilt es auch die Vorarbeit meiner Kollegen Alexandra Schantl und Wolfgang Krug wertzuschätzen. Alexandra Schantl hat mit dem Format ZEIT KUNST NIEDERÖSTERREICH eine wichtige Arbeit für die Gegenwartskunst geleistet und Wolfgang Krug die österreichische Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts sowie der Moderne mit zahlreichen Buch -und Ausstellungsprojekten von Friedrich Gauermann bis Broncia Koller-Pinell aufbereitet.
P: Die Landessammlungen umfassen auch zahlreiche Schenkungen und Nachlässe, wie etwa von Leo Navratil oder Christa Hauer-Fruhmann, und auch die Landesgalerie Niederösterreich wird Arbeiten aus Privatkollektionen zeigen.
CB: Privatsammler und Privatinitiativen haben die Region zu einem Ort der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst gemacht. Das geht in die 1970er Jahre zurück. Beispiele sind Christa Hauer-Fruhmann, die Schloss Lengenfeld zu einer Plattform des künstlerischen Feminismus entwickelt hat, oder Gertrud und Dieter Bogner, die mit Kunstraum Buchberg einen Ort der internationalen Moderne entwickelt haben. Diese Geschichte des Aufbruchs in die Gegenwart werden wir natürlich thematisieren und daneben eng mit wichtigen Privatsammlern zusammenarbeiten, deren Bestände die Landessammlungen ergänzen, wie unter anderem mit Ernst Ploil und Helmut Zambo.
P: Ein Museum ist auch stets Teil einer sich wandelnden Gesellschaft und hat im 21. Jahrhundert naturgemäß eine andere Funktion als um 1900. Es muss nicht selten ein Gleichgewicht zwischen Bildungs- und Unterhaltungsfunktion suchen und auch den Besucher in den Mittelpunkt des musealen Handelns stellen.
CB: Die Lebensrealität der Menschen ist Dreh- und Angelpunkt des Programms, das sämtliche Kunstgattungen umfasst und das Alte mit dem Neuen in Dialog setzt. Die Funktion der Landesgalerie ist eine überregionale, internationale – aber zugleich gilt es vor allem auch die Bevölkerung aus Krems und der umliegenden Region stark einzubinden. Ohne diese regionale Einbindung kann ein Museum nicht erfolgreich sein. Aus einem simplen Grund, denn die Menschen aus der umliegenden Region, die sich mit dem Museum identifizieren, es „vereinnahmen“, geben ihm auch seine Authentizität. Nicht nur durch die Kunstwerke, sondern auch durch die Besucher muss man spüren, wo das Museum sich geografisch befindet. Das spiegelt sich auch in der Architektur wider. Die Drehung des Baukörpers reagiert auf die Umgebung und verbindet die Kunstmeile Krems mit der Donau. Architektonische Details wie die Terrasse im dritten Obergeschoss, die sowohl einen Blick in die Altstadt von Stein wie auch auf das Donauknie und auf Stift Göttweig ermöglicht, die Gastronomie wie das Besucherzentrum, von dem aus sich die Kunstmeile künftig erschließt, werden zur Einbindung der Bevölkerung vor Ort beitragen. Ebenso werden wir Kunstwerke zeigen, die in der unmittelbaren Umgebung des Museums entstanden sind, wie Schieles Bilder aus Stein, die bisher noch nie in Krems zu sehen waren. Das Haus ist, so gegenwärtig es aussieht, auch verwurzelt mit dem Ort, wo es steht. Das heißt, alles das, was dort zu sehen ist, wird mit diesem Ort zu tun haben, jedoch nicht in einem banalen und kleingeistigen Sinn, sondern in einer europäischen Dimension, denn viele Künstler aus der Region sind oder waren verbunden mit Ungarn, Tschechien und anderen Nachbarländern. Dieser Dialog kann auch über Europa hinausgehen. Ein Beispiel dafür ist der US-amerikanische Künstler Dan Graham. Er hat 1996 mit dem Pavillon „Star of David“ im Garten von Schloss Buchberg in Auseinandersetzung mit der Waldheim-Affäre ein Statement für Österreich gesetzt. Wir werden ebenso einen Pavillon von Dan Graham zeigen, der einen Dialog aufnimmt mit jenem in Buchberg. Das ist ein Beispiel dafür, dass der Dialog mit dem Ort nicht unbedingt eine geografische Nähe bedeuten muss und auch im internationalen Kontext gesehen werden kann.
P: Bereits im Vorfeld spielte auch die Vermittlung eine zentrale Rolle.
CB: Die Vermittlung war ein sehr wichtiger Aspekt. Über einen Zeitraum von zwei Jahren haben wir anhand der „300 Veranstaltungen“ darzustellen versucht, wie sehr dieses neue Museum mit seiner Architektur und seinen Inhalten das Leben der Menschen bereichern wird. Jetzt sind wir in einer neuen Phase, wo aus der Raupe ein Schmetterling geworden ist und aus dem Betonblock die Tänzerin von Krems. Diese singuläre Leichtigkeit der Architektur, die Dynamik der Drehung ist jetzt erkennbar und auch die Idee, dass der Baukörper auf vier zarten „Füßen“ steht. Darüber hinaus kann man bereits über die weiten, verglasten Bögen in das Museum hineinschauen. Auch die Oberfläche mit den Schindeln ist fertig und findet sich formal in der Dachlandschaft von Stein wieder. So eine grazile Architektur, die an der Donau tanzt und die Leute durch ihre Transparenz zum Besuch einlädt, ist etwas Besonderes und wird nun auch für die Menschen greifbarer.
P: Das Museum ist als singuläre Architektur erfahrbar. Inwieweit werden die künftigen Ausstellungen mit der Architektur in einen Dialog treten?
CB: Der Bau von Bernhard und Stefan Marte ist ein Symbol der Moderne, das den Ort prägt und zugleich eine neue Form der Auseinandersetzung mit Kunst mittels zeitgemäßer Ausstellungsformate ermöglicht. Der Fokus liegt auf Themenausstellungen, die korrespondierend von monografischen Präsentationen begleitet und ergänzt werden. Die Themen kommen aus der Gegenwart und werden in den drei großen Geschossen zu sehen sein, dem Untergeschoss sowie dem ersten und zweiten Obergeschoss. Diese bieten zwischen 750 und 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche, während das Erdgeschoss und das dritte Obergeschoss mit rund 400 Quadratmeter etwas kleiner sind. Im Wesentlichen geht es um drei Themen: um das Sammeln und Sammlungen im Untergeschoss, um den Menschen im ersten Obergeschoss und um die Landschaft und die Natur im zweiten Obergeschoss. Aus diesen Themen heraus entwickeln wir eine Vielzahl von unterschiedlichen Ausstellungstätigkeiten, wo aus diesen Themenspektren einzelne Aspekte herausgegriffen werden. Die Ausstellungen werden jeweils für ein Jahr zu sehen sein und sich dann in neue Themen wandeln. Die früher üblichen Dauerausstellungen ersetzen wir durch ein dynamisches Prinzip mit langen Laufzeiten.
P: Diese Themenausstellungen werden nicht mehr traditionellen kunsthistorischen Ausstellungen folgen und die Räume mit neuen Ausstellungsformaten bespielen.
CB: Die Raumfolge, die es so nur in der Landesgalerie Krems gibt, ist ein zentrales Element. Wir haben mit Ausnahme der Ausstellungsfläche im Untergeschoss, die auch die Landesgalerie mit der Kunsthalle verbindet, keinen White Cube. Das ist die einzige Fläche, die gewohnten Regeln folgt, alles andere wurde in eine neue Logik gebracht. Diese einzigartige Raumerfahrung soll sich auch durch die Ausstellungformate für den Besucher erschließen. Inhaltlich setzen wir auf einen konfrontativen Umgang mit Kunstwerken unterschiedlicher Epochen und verbinden diese mit Fragen, die uns in der Gegenwart bewegen. Unsere Aufgabe ist es nicht, die Kunstgeschichte der Vergangenheit zu erklären, sondern Fragen aus der Gegenwart zu stellen und anhand der Kunstwerke zu zeigen, worin die Erfahrungsdimension für die Besucher von heute liegt. Damit verbinden wir die Geschichte mit der Gegenwart. Durch die quadratischen Räume können wir den Besuchern auch die Möglichkeit geben, das Haus selbst zu erschließen, und so das durch eine klassische Raumabfolge dominierte Besucherverhalten verändern. Es wird definitiv keinen chronologischen Parcours geben, der sich, so bin ich überzeugt, auch vollkommen überlebt hat. Grundsätzlich setzen wir auf eine Betrachtungsdimension, die stark beim Menschen liegt und nicht von formalen kunstgeschichtlichen Parametern ausgeht. Wir fokussieren stark den inhaltlichen Zusammenhang von Kunst und weniger den stilistischen. Jedes neue Kunstmuseum hat die Aufgabe, ein Statement der Gegenwart zu sein. Frei nach einem Zitat von Werner Hofmann: „Man muss nicht unbedingt zeitgenössische Kunst zeigen, aber man sollte die Kunst zeitgenössisch präsentieren.“ Das ist für mich absolut zentral.
P: Wie wird sich der Standort auch infrastrukturell entwickeln, vor allem in Richtung öffentlicher Verkehr? Die Kunstmeile liegt am Beginn einer großen Fahrradroute und ist auch ein Naherholungsgebiet. Trotzdem wird – nicht ganz zeitgemäß – auf das Auto gesetzt?
CB: Der Standort wird sich entwickeln, das Konzept ist ein dynamisches. Der Standort hat den markantesten Punkt mit dem Museum bekommen, ist jedoch noch nicht fertig. Viele Dinge sind noch nicht entwickelt. Wichtig war es zunächst, die Begegnungszone auf der Kunstmeile zu etablieren, sodass hier ein neuer Raum entstehen kann. Wir wollen als Museum der kulturelle Nahversorger in der Region sein und gleichzeitig auch die internationalen Gäste, die nach Krems kommen, ansprechen. Zwischen den beiden Polen wird das größte Torteneck des Besuchs liegen, die zeitgenössische Interpretation von Sommerfrische. Diese ist in unserer Zeit oft auf einen Tag geschrumpft, in der Zielsetzung hat sich jedoch nichts verändert. Im Mittelpunkt steht der Wunsch nach Natur- und Kunsterlebnis und in adäquater Form nach Genuss und Kulinarik. Krems war schon im 19. Jahrhundert ein Sehnsuchtsort der Sommerfrische und ist es bis heute geblieben. Christian Bauer ist künstlerischer Leiter der Landesgalerie Krems. Seine Karriere begann in den 1990er-Jahren als Marketingleiter des Kunstforums der Bank Austria. In der Folge begleitete er als Geschäftsführer den Aufbau der Kunstmeile Krems und die Museumsbauten vom Karikaturmuseum Krems bis zum Landesmuseum Niederösterreich. In den letzten Jahren trat Christian Bauer vor allem mit seinen Forschungen zu Egon Schiele an die Öffentlichkeit.