Buchrezension | Maria Lassnig. Briefe an Hans Ulrich Obrist

Maria Lassnig, Der Verstand hat Angst / Der Arzt sagt: Die Welt loslassen, ca. 2000-2005, Öl auf Leinwand, 121 cm x 101,6 cm © Maria Lassnig Stiftung / Foundation

1993 kuratierte der damals noch junge Kunsthistoriker Hans Ulrich Obrist gemeinsam mit Kasper König die Ausstellung „Der zerbrochene Spiegel“. Es war eine der legendären Wiener Festwochen-Ausstellungen, in einer Zeit als es diese noch gab.


Auch der Ausstellungsort war historisch. Sie fand in den Hallen des ehemaligen Messepalast statt, noch bevor mit dem Umbau zum heutigen MuseumsQuartier begonnen wurde. Thema der Ausstellung war die Malerei, der ewige Lazarus der Kunstgeschichte, wie Toni Stoos im Vorwort des Katalogs treffend schrieb. 43 Malerinnen und Maler wurden präsentiert – Maria Lassnig erhielt einen eigenen großen Raum und wurde damit zur zentralen Position der Ausstellung. 2008 war Hans Ulrich Obrist Direktor der Serpentine Gallery in London und zeigte die erste Soloausstellung der Künstlerin in einer öffentlichen Kunstinstitution in Großbritannien. Die erste Begegnung zwischen der Künstlerin und dem Schweizer Kurator fand allerdings bereits 1985 statt, als Obrist, damals 17 Jahre, die Künstlerin erstmals in Wien besuchte. Aus der späteren Zusammenarbeit entwickelte sich ein über 20 Jahre andauernder Briefwechsel. Lassnigs Briefe an den Kurator wurden nun von Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko und Hans Ulrich Obrist im Verlag der Buchhandlung Walther König erstmals veröffentlicht. Sie beginnen im Jahr 1993 und enden 2014 kurz vor Lassnigs Tod und ergänzen ihre Schriften und Notizen aus der Zeit von 1943 bis 1997, die unter dem Titel „Die Feder ist die Schwester des Pinsels“ im Jahr 2000 erschienen sind.

Mit der Kunst zusammen: da verkommt man nicht!

Maria Lassnig

Was das vorliegende Buch so besonders macht, sind die Abbildungen der Briefe, die Lassnigs akkurate, schöne Schrift zeigen die zum Ende hin, fahriger und krakeliger wird. Nebenstehend findet sich die deutsche und englische Transkription und ergänzende kurzen Erklärungen. In vielen Briefen schreibt Lassnig von ihrem Kärntner Landhaus und sendet Grüße vom „Mountain-Haus, wo ich die Hitze gut überstehen kann“, ebenso gibt es Briefe von ihren Kuraufenthalten im ungarischen Héviz, wo sie sich aufgrund ihrer Rückenbeschwerden einer „Rosskur“ unterzog, um im Schwefelbad „gesotten u. gebraten u. ausgeschwefelt zu werden.“ Zu lesen ist aber auch ihre stete Reflexion über ihr Werk, mit dem sie nie zufrieden war, Bemerkungen über den Stress in Bezug auf kommende Ausstellungsprojekte, aber auch zufriedene Berichte über gelungene Ausstellungen und schöne Reisen. Naturgemäß gibt die Korrespondenz auch Einblicke in gemeinsame Projekte der beiden, wie die Herausgabe der des oben genannten Schriften-Buches. Hier war Lassnig unsicher und schrieb: „Lieber Hans Ulrich, es ist wohl für mich altersmässig an der Zeit die Aufzeichnungen (falls sie interessant genug sind) herauszugeben, – aber ich nicht bekannt genug, noch nicht, – deshalb könnte es ein Schlag ins Wasser sein. Auch sind sie vielfach zu persönlich. Reflexionen über die Malerei per se sind in den Briefen ebenso enthalten.

Auch wenn die Briefe zuweilen zwei Seiten umfassen, so sind sie stets präzise, ohne lange Umschweife kommt sie zu dem was sie bewegt: „keine Erzählung und keine Geschwätzigkeit“, – so Lassnig. Sie sind bewegende, eigenständige Dokumente, die keine Dokumentation ihrer Arbeit darstellen, jedoch einen tieferen Einblick in die Persönlichkeit der Künstlerin geben sowie über ihre Gedanken und Meinungen zu verschieden Themen der Kunst. Zuweilen ist sie mit ihrem Brieffreund auch unzufrieden und fragt nach, warum er nie auf ihr Werk eingeht: „immer weit außen herum, warum?“ Ergänzt werden die Briefe durch biografische Fotos und thematisch zusammengefassten Werkabbildungen. Ein Lesegenuss und ein weiterer Schritt zum Verständnis dieser außergewöhnlichen Malerin, auch wenn es schade ist, dass kein Brief, oder keine Antwort des Gegenübers zu lesen ist. „Mit der Kunst zusammen: da verkommt man nicht!“ schrieb Lassnig in ihren letzten Brief am 11. Jänner 2014 an Obrist: „Jeder Tag ist der letzte. Jede Nacht wiegt zentner schwer rund um die Erde.“ Dieser Brief wurde nicht mehr abgeschickt.

Maria Lassnig. Briefe an Hans Ulrich Obrist

Hsg: Peter Pakesch, Werner Poschauko, Hans Ulrich Obrist für die Maria Lassnig Stiftung

Verlag Buchhandlung Walther König, Köln, 2020

ISBN 978-3-96098-817-5

© Verlag Buchhandlung Walther König, Köln, 2020

© Verlag Buchhandlung Walther König, Köln, 2020

Das könnte Sie auch interessieren