Architekturzentrum Wien

Boden für Alle | Vom sorglosen zum sorgsamen Umgang mit Grund und Boden

„Die Welt mag flach und unendlich erscheinen, aber sie ist und bleibt rund – mit einer begrenzten Oberfläche. Der Boden, den wir für unser Überleben brauchen, ist eine Ressource, die sich nicht erneuert. Die Zersiedelung des Landes wird schon seit Jahrzehnten angeprangert und trotzdem wird weiter Bauland gewidmet“, so die Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter in ihrer Einleitung zum Ausstellungsbuch „Boden für Alle“ im Architekturzentrum Wien (AzW).


Gleich zu Beginn der Ausstellung setzen die Kuratorinnen das idyllische Bild, das wir uns gerne von der österreichischen Landschaft machen, mit Fotografien in Kontrast, die den Flächenverbrauch dokumentieren und leider mehr der Realität entsprechen als die unberührte Natur. „Mittlerweile könnten alle Österreicher*innen in bereits bestehenden Einfamilienhäusern untergebracht werden und trotzdem wird weiter Bauland gewidmet, werden neue Einkaufszentren auf der grünen Wiese und Chaletdörfer in den Alpen errichtet“, so Mayer und Ritter.

Der Boden als kostbarstes Gut

„Die Verbauung verschlingt fast 100 Quadratmeter Boden pro Minute – Flächenfraß, sprich Verbauung und Versiegelung, bedroht Umwelt, Gesundheit und Ernährungssicherheit“, warnt auch der Anfang Februar erschienene aktuelle Report der Umweltschutzorganisation WWF Österreich: „Mit dem aktuellen Bodenverbrauch von über 13 Hektar pro Tag wird alle zehn Jahre die Fläche Wiens neu verbaut“, so die WWF-Prognose im Bericht. Ein sorgloser oder rein kapitalgetriebener Umgang mit dieser Ressource hat in den vergangenen Jahrzehnten Gestalt und Funktion unserer Städte und Dörfer sowie die Landschaft verändert – von Brücken über Kraftwerke, Stromleitungen, Windparks, Straßennetze bis hin zur modernen Agrarwirtschaft. Vieles davon nutzen wir selbstverständlich und möchten es auch nicht mehr missen. Doch haben Versiegelung und Suburbanisierung unsere Freiräume dezimiert. Und wer kennt nicht dieses Bild: Supermärkte mitsamt riesigen Parkplätzen formen einen Speckgürtel am Ortsrand, während der Einzelhandel im Ortskern schließt und die Zentren veröden – Resultate schwacher beziehungsweise nicht angewandter Raumordnungsgesetze?

Baugrund zu verkaufen © Johann Jaritz, Wikimedia Commons, lizensiert unter CC BY-SA 4.0; Collage: Christina Kirchmair

Vielfach war von der Chance der Veränderung durch die Corona-Pandemie zu hören, doch weder die Kuratorinnen der Ausstellung im AzW noch der Bericht des WWF teilen diesen Optimismus: „Wenn die Politik nicht gegensteuert, wird der Flächenfraß nach der Pandemie erst recht explodieren“, warnt Programmleiterin Hanna Simons im WWF-Report. Und auch Mayer und Ritter meinen: „Vieles deutet in Richtung business as usual.“ Die fundiert recherchierte und aufbereitete Ausstellung zeigt unmissverständlich Fakten auf – ökonomische Hintergründe, die oft der Anlass zur Verbauung sind –, ebenso Worst-Case-Szenarien, aber auch Möglichkeiten, Wege und Best-Practice-Beispiele. Es sind vielfältige Interessenskonflikte zwischen Gemeinwohl und Spekulation, die zu Umwidmungen in Bauland führen. Die Ausstellung versucht ein Bewusstsein zu schaffen, einen Beitrag zur Diskussion zu leisten und ruft zum Umdenken auf. Ebenso wie der WWF, der im Zuge eines 15-Punkte-Plans einen Bodenschutzvertrag von Bund und Ländern einfordert, um den Flächenfraß zu reduzieren, sowie eine Ökologisierung der Raumordnung und des Steuersystems.

Stand der Zersiedelung im Rheintal, Luftbild von Dornbirn aus dem Jahr 2017. Foto: Vorarlberger Nachrichten / Philipp Steurer

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