Berlin Art Week

Berlin startet stark in den Herbst

POSITIONS Belin Art Fair, 2024, Foto: Dominik Friess

Die Berlin Art Week ist in vollem Gange, Kunst wird gekauft, getauscht und ausgestellt – hier entlang zu unseren Tipps.


Positions Berlin Art Fair im Flughafen Tempelhof 

Zuerst die Zahlen: 111 Galerien aus 24 Ländern zeigen 410 Künstler aus 60 Ländern. Wenn in Berlin die Positions Art Fair eröffnet, dann geht es immer um Superlative. Und um den Flughafen Tempelhof mit seinen riesigen Hangars, die die perfekte Kontrast-Kulisse zu den feinen Kojen der Galerien sind. Darüber können sich auch sechs Galerien aus Südkorea freuen, die den diesjährigen Länderschwerpunkt bilden, aber nicht weiter auffallen im großen Konzert der Kunst-Angebote. Kunst ist hier global, ihre Themen und Ausdrucksformen sind es ebenso. Das zeigt sich auch in einer kleinen Sonderausstellung, die vier koreanische, in Berlin lebende Künstlerinnen (Jaeyun Moon, Jeiyung Lee, Sol Namgung und Suah Im) vorstellt. Es gibt feine Schnitte in Farbschichten, Arbeiten mit Texten und Koch-Performances – daran ist wenig überraschend.

Überall ist es bunt, überall sind Pflanzen, Gesichter, feine Zeichnungen und Farbflächen zu sehen. Es wird wieder gemalt und gezeichnet, getöpfert und Kleinplastik hergestellt. Das Blinken und Flimmern von Videos, das schrille Experiment sind (Kunst-)Geschichte. Die Messe überrascht mit viel Porträtmalerei (Sarah Danes Jarrett bei The Artist Gallery, Cape Town) mit buntem Realismus (Typlt, DSC Gallery Prag) und feinsten Zeichnungen, die sich zu bewegten Oberflächen zusammenschließen (Ingo Fröhlich, Wehlau Galerie, Hamburg). Malte Ueckermann Kunsthandel zeigt Rupprecht Geiger (1908-2009) und damit einen Künstler, der auf die aktuell gezeigte Kunst großen Einfluss hat: das Spiel mit dem Farbfeld ist überraschend häufig zu sehen.

Wer hier nichts für die heimische Wand findet, hat nicht richtig hingesehen.

Uta Baier

Wer hier nichts für die heimische Wand, die leere Stelle in der Praxis, den überschüssigen Platz im Sammlungsdepot findet, hat nicht richtig hingesehen oder liebt das Sperrige, Schwierige, das auf dieser Messe selten angeboten wird. Eine der Ausnahmen sind Judith Miriam Escherlor und ihre Objekte mit Haaren und Kissen in verschiedenen Formen, die von der Leipziger Galerie Intershop angeboten werden.

Mehr Mut, wilde Experimente, Lust auf das ganz und gar Unnütze finden sich vor allem im hinteren Messeteil. Dort haben zwanzig Berliner Modedesigner ihren schrillen, bunten Auftritt. Besonders witzig, fast skulptural (und nachhaltig) sind die Objekte von Jana Heinemann (IMPARI). Absolut laufstegtauglich, sehr glamourös und spektakulär übertrieben zeigt sich Maximilian Gedra mit stacheligen, schwarzglänzenden Kleidern.

Positions Berlin Flughafen Tempelhof, Hangar 6+7, bis 15. September 2024

POSITIONS Berlin Art Fair, 2024, Foto: Dominik Friess

POSITIONS Berlin Art Fair, 2024, Foto: Dominik Friess

Santiago Sierra im nbk

Gleich vier Ausstellungen hat der Neue Berliner Kunstverein (nbk) zur Artweek eröffnet. Eine gediegene Retrospektive zum Werk des italienischen Filmemachers, Schriftsteller, Künstlers Pier Paolo Pasolini, eine Plakatwand von Yoko Ono mit der Aufschrift „FLY“, eine Installation der Schweizer Künstlerin Pamela Rosenkranz und eine Fassadenarbeit von Santiago Sierra. Während „Spill Retina“ von Pamela Rosenkranz eine sehr stimmungsvolle, aber eher rätselhafte Lichtinstallation in hellblau mit kleinen Papierarbeiten ist, überzeugt Santiago Sierra mit „Der Zeitgeist“ direkt. Seine Arbeit ist zwar „nur“ an der Fassade zu sehen und hängt auch noch so hoch, dass sie leicht übersehen werden kann. Aber die riesigen Fotos von sechs unterschiedlichen Gebissen eröffnen einen Blick auf die ganze Welt, die sich so einfach wie eindrucksvoll in der Qualität und Stellung von Zähnen  spiegelt. Wie immer bei Sierra ist es nicht das Perfekte, Geglättete das ihn interessiert, sondern das Beschädigte, Geschädigte, Bedrohte, das er seit 2008 in den Gebissen von Migranten auf der ganzen Welt findet.

nbk Chausseestraße 128/129, bis 10. November 2024 & 31. August 2025

Gnade für die sterbende Zimmerpflanze in der „Orangerie der Fürsorge“ in der nGbK

Die witzigste Idee für ein Ausstellungsthema hatte eindeutig das Kollektiv PARA. Die Gruppe ist nach eigenen Angaben ein Netzwerk von „Künstler:innen und Expert:innen verschiedener Disziplinen, die verschiedene Phänomene der Globalisierung und Politiken der Erinnerung interdisziplinär, recherchebasiert und mit performativen Mitteln befragt.“ Für die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK) hat sich die Gruppe der gemeinen Zimmerpflanze angenommen, die einerseits in die „Kolonialgeschichte botanischer Gärten und in die Zerstörung von Lebensräumen verstrickt“ sei und andererseits dem Menschen und seiner Fähigkeit zur Pflanzenpflege ausgeliefert ist. In der „Orangerie der Fürsorge“ werden sterbende Zimmerpflanzen gepflegt und an Interessierte abgegeben. Das ist eine schöne Geste. Leider gerät die Reflexion über koloniale Verstrickungen und das Verhältnis zu Pflanzen einigermaßen erratisch, denn die Arbeiten der etwa 20 Künstler  sind zusammenhanglos und ohne weitere Erklärungen über die Räume verteilt. Es ist eben doch eine eigene Kunst, Kunstwerke überzeugend zu präsentieren und gleichzeitig Themen zu transportieren.

nGbK Karl-Liebknecht-Straße 11/13, bis 17. November 2024

neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Orangerie der Fürsorge, Ausstellungsansicht. Foto: Jonas Fischer/nGbK

neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Orangerie der Fürsorge, Ausstellungsansicht. Foto: Jonas Fischer/nGbK

Exklusive Privatsammlung: Achim Freyer Stiftung

Schon die Künstlerliste ist beeindruckend: Zur Sammlung des Bühnen- und Kostümbildners, Regisseurs und Künstlers Achim Freyer gehört Kunst der Art Brut ebenso wie Werke von Joseph Beuys, Neo Rauch, Georg Baselitz, James Ensor, Max Beckmann, Niki de Saint Phalle – um nur einige zu nennen – und vom Sammler selbst. Sie haben zusammen mit schönen und skurrilen Objekten sein Haus erobert und wuchern über Wände und Decken, Nischen, und Möbel. Wer wissen will, was mit dem Begriff Gesamtkunstwerk gemeint ist, der muss Achim Freyers Villa besuchen. Während der Art Week ist das täglich von 12 bis 18 Uhr möglich, sonst immer sonntags um 15 Uhr. 

Achim Freyer Stiftung Kadettenweg 53 

CCA im Kranzler Eck mit Nazanin Noori

Die Zwischennutzung von leerstehenden Ladenlokalen ist eine charmante Idee in sterbenden, sich radikal verändernden Einkaufsstraßen kleinerer Städte. Dass aktuell sogar an Berlins teuerster Einkaufsstraße, dem Kurfürstendamm und dort am einst bekanntesten Café des alten Westberlin, dem Kranzler Eck, Zwischennutzungen möglich und nötig sind, kann man überraschend, bezeichnend oder verstörend finden.
Für Fabian Schöneich, dem Gründer des Kunstraums CCA und früherem Kurator am Portikus in Frankfurt /Main, ist der Leerstand eine Chance, die Künstlerin Nazanin Noori direkt im Kranzler Eck vorzustellen. Noori, 1991 in Wiesbaden geboren, hat iranische Wurzeln und arbeitet mit Klang und Text - oft für Theaterinszenierungen und Hörspiele. Für die Ausstellung „The echo of protest is distant to the protest“ hat sie sich vom Klang einer traditionellen Trauerklage im Iran inspirieren lassen. Zu den dumpfen, enervierend kompakten Klängen zeigt sie Leuchtkästen mit Botschaften, wie „Mein schweres Herz ist schwer“ oder „Schwere Füße mit Herz“. Es gehe ihr um das Echo von Widerstandsbewegungen, das zwar weit entfernte Gegenden erreichen kann, aber oft nur ein Fernsehbild bleibt. Über ihre Arbeit sagt Nazanin Noori, dass sie die Besucher damit auffordern wolle, aufmerksam zuzuhören und nach dem zu suchen, was von uns übrig ist, wenn die Empathie erschöpft ist und das Leben weitergeht.

Kranzler Eck Kurfürstendamm 20, bis 19. Oktober 2024

Nazanin Noori, THE ECHO OF THE PROTEST IS DISTANT TO THE PROTEST, 2024. Copyright: Nazanin Noori

Nazanin Noori, THE ECHO OF THE PROTEST IS DISTANT TO THE PROTEST, 2024. Copyright: Nazanin Noori

Hobbyastronomin im Palais Populaire 

Sie ist nicht unbekannt, war aber in Deutschland noch nie zu sehen: die indische Künstlerin Rohini Devasher. Die Deutsche Bank hat die 1978 in Neu Delhi geborene Künstlerin nun mit ihrem Preis „Künstler des Jahres“ ausgezeichnet und eröffnet im Palais Populaire „Borrowed Light“, eine Ausstellung über den Sternenhimmel, über Licht, die Sonne und den Menschen, der all das zu erfassen versucht. Weil das nicht so einfach ist, beobachtet die Künstlerin als Amateurastronomin das All, arbeitet mit Wissenschaftlern zusammen und verknüpft wissenschaftliche Interessen und künstlerische Strategien zu poetischen, sinnlichen vielschichtigen Bildern und Videos. In ihre Welt einzutreten, eröffnet nicht nur eine neue Welt.

Palais Populaire bis 10. März 2025

Rohini Devasher, One Hundred Thousand Suns (Video still), 2023, (c) by the artist

Rohini Devasher, One Hundred Thousand Suns (Video still), 2023, (c) by the artist

Tauschen bei Heidi

Künstler tauschen gern. Seit Jahrhunderten. Manchmal tauschen sie, um zu überleben, manchmal aus Freundschaft, gern auch aus Bewunderung für die Arbeit der Anderen. Die Heidi Galerie versammelt unter dem Titel „Symbolischer Austausch und Tod“ nach Jean Baudrillards Text von 1976 Arbeiten von Raina Hamners (tauscht Kunst gegen Therapie), Brianna Leatherbury (verwandelt Geliehenes in Kupferplatten), Sabina Maria van der Linden (bearbeitet Selbstporträts mit Stars) und Elaine Sturtevant (malt nach Originalen neue Originale). Sie alle nutzen Formen des Tausches, der Anverwandlung, der Veränderung auf unterschiedliche Weise und zeigen: Wer zum Tausch bereit ist, bekommt Unerwartetes zurück.

Heidi Galerie Kurfürstenstraße 145, bis 19. Oktober 2024

Das könnte Sie auch interessieren