Politisch, sinnlich, hoffnungsvoll: Die 13. Berlin Biennale gibt dem künstlerischen Widerstand Raum

Aus dem Kunst-Untergrund weht der Geist des Widerstands

Jane Jin Kaisen, Wreckage, 2024, Videostill © Jane Jin Kaisen

Ein Fuchs ist das Wappen- und Leittier der 13. Berlin Biennale. Ungewöhnlich ist das für die Kuratorin der Biennale, Zasha Colah kein bisschen. Denn für sie waren die Begegnungen mit dem Berliner Stadtfüchsen der Ausgangspunkt für ihre Ausstellung und für das Nachdenken über flüchtige Existenzen. 


 

Der Fuchs als Symbol

Sie sagt: „Das Konzept der Flüchtigkeit meint die kulturelle Fähigkeit eines Kunstwerks, eigene Gesetze im Angesicht gesetzlicher Gewalt aufzustellen.“ Das Publikum hat dabei eine aktive Rolle. „Etwas von der flüchtigen, schwelenden Glut entweicht, und die Besucher*innen sind nun Empfänger*innen dieses rotglühenden kulturellen Beweises.“ Das Vertrauen der Kuratorin in die Kraft von Kunst und das Pathos, das sich in diesen kurzen Sätzen spiegelt, trägt die Besucher durch die vier Ausstellungen mit 170 Werken von 60 Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt. 
Denn Großausstellungen wie Biennalen verteilen ihre Kunstwerke gern an verschiedenen Plätzen in der Stadt. Auch in Berlin hat das Tradition. In diesem Jahr werden vier Orte bespielt: Eine Halle im Museum Hamburger Bahnhof, die Sophiensäle, ein 1904 als Handwerkervereinshaus gegründetes Gebäude, in dem heute die freie Tanzszene arbeitet. Die benachbarten Kunst-Werke sind traditionell der Hauptausstellungsort der vor 27 Jahren gegründeten BerlinBiennale. Der neue Ort ist in diesem Jahr ein ehemaliges, seit langem leerstehendes Gerichtsgebäude mit angeschlossenem Gefängnis, in dem 1916 Karl Liebknecht wegen seiner Teilnahme an den Antikriegsdemonstrationen verurteilt wurde. Zur Kunst gibt es vergitterte Fenster mit  kleinem Gruseleffekt gratis. 

Für Kuratorin Zasha Colah passt dieser Ort perfekt, denn durch ihre Ausstellung weht der Geist des Widerstands aus dem Kunst-Untergrund. Sie zeigt, dass die Welt kein friedlicher Ort ist, sondern ein Ort, in dem Künstler ins Gefängnis müssen, Gewalt als Beobachter oder Demonstranten erleben. Und sie zeigt Krisen weltweit und durch die Zeiten. Indien, Japan und Myanmar kommen ebenso vor wir historische Dada-Proteste und subversive Kunst aus der DDR.

Zasha Colah und Valentina Viviani, Foto: Raisa Galofre

Kuratorinnen Zasha Colah und Valentina Viviani, Foto: Raisa Galofre

Vier Orte, vier Welten – Kunst in der ganzen Stadt

Ehemaliges Gerichtsgebäude Lehrter Straße, 13. Berlin Biennale, 2025; Bild: Raisa Galofre

Ehemaliges Gerichtsgebäude Lehrter Straße, 13. Berlin Biennale, 2025; Bild: Raisa Galofre

Geradezu verstörend wirkt das Video „Die Fliege“ von Htein Lin und Chaw Ei Thein aus Burma, in dem die Gefangenschaft von Htein Lin zur Performance wurde. Distanzierter in den Mitteln ist Helena Uambembe, die   Warnhinweise wie „Kann Spuren von Faschismus enthalten“ auf einfache Küchenhandtücher druckt. Ihr Thema ist das Trauma vertriebener Angolaner und seine Bewältigung. Denn die Baumwolle für die Tücher wächst aus blutgetränktem Boden. Der indische Künstler Salik Ansari zeigt in seinem „Altar of absence“ Leerstellen. Von den in Indien unrechtmäßig abgerissenen Häusern bleiben beim ihm nur die Umrisse. Und die Baggerschaufeln.
Zasha Colah inszeniert die Kunst mit großer Geste, gibt den Künstlern und ihren Werken viel Raum und hat ein feines Gespür für sinnliche Inszenierungen. In den Kunst-Werken ist jede Etage eine eigene Wunderkammer. Die oberste Etage zum Beispiel wird mit dem „Porträt of the Joker“ von Sawangwongse Yawnghwe aus Burma bespielt. Es ist ein Gesamtkunstwerk in dem Rüstungsproduktion, verlorene Träume, Waffen und die Kritik an der Kunstförderung verflochten werden. 

Sawangwongse Yawnghwe, Joker’s Headquarters. Gesamtkunstwerk as a Practical Joke (C’est le Premier Vol de L’Aigle) [Das Hauptquartier des Jokers. Gesamtkunstwerk als praktischer Scherz (Das ist der erste Flug des Adlers)], 2025, Installationsansicht, 13. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 2025. Courtesy Sawangwongse Yawnghwe; Bild: Diana Pfammatter; Eike Walkenhorst

Sawangwongse Yawnghwe, Joker’s Headquarters. Gesamtkunstwerk as a Practical Joke (C’est le Premier Vol de L’Aigle) [Das Hauptquartier des Jokers. Gesamtkunstwerk als praktischer Scherz (Das ist der erste Flug des Adlers)], 2025, Installationsansicht, 13. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 2025. Courtesy Sawangwongse Yawnghwe; Bild: Diana Pfammatter; Eike Walkenhorst

Kunst für alle? Ein soziales Experiment

Doch wie schafft man Räume für jeden und alle? Die italienische Künstlerin Margherita Moscardini hat dazu ein Experiment gestartet: Sie hat Steine staatenlosen, exterritoriale Gemeinschaften und Institutionen geschenkt und sie gebeten, diese Steine zum Bau einer Treppe wieder zu spenden. Diese Treppe hat sie als begehbares Kunstwerk in der großen Halle der Kunst-Werke aufgebaut. Wer darüber geht, betritt damit für kurze Zeit eine eigentumslose Welt.
Diese Biennale ist explizit politisch, aber auf eine Weise, die nicht agitiert, sondern mit intensiven Arbeiten und einigem Humor vorführt, was Verbote, Gewalt und repressive Systeme überall auf der Welt anrichten und bewirken – im Kleinen wie im Großen. So hat der japanische Künstler Tsuyoshi Ozawa 1993 begonnen, gegen das japanische Galerienmietsystem zu protestieren, indem er kleine Kisten in Bäume hängte und sie mit Kunstwerken füllte. Eine Auswahl dieser Kunstaltäre erzählt in der Ausstellung von der Wirksamkeit einer Idee, die mobil wurde und an der sich viele andere Künstlerinnen und Künstler beteiligten. 

Ähnlich subtil geht Jane Jin Kaisen aus Südkorea in ihrer Arbeit „Halmang“ vor. Sie hat ein Kunstwerk geschaffen, dessen Zauber sich – im Gegensatz zu vielen doch stark erläuterungsbedürftigen Arbeiten – ganz direkt mitteilt. Mit ruhiger, fast meditativer  Kameraführung zeigt sie eine Gruppe älterer Frauen, die lange, weiße Baumwollbahnen über einen Felsen legen, sie wieder zusammenlegen und immer neu ordnen. Es ist eine Arbeit von großer Ernsthaftigkeit, eine rituelle Handlung für die schamanischen Göttinnen, die die Frauen bei ihrer Arbeit als Taucherinnen beschützen sollen. Das Festhalten an der eigenen Spiritualität kann durchaus als Protest und Kritik an der „Geringschätzung alternativer Spiritualitäten durch die moderne Gesellschaft“ verstanden werden, wie es im Begleittext heißt. 

Jane Jin Kaisen, Halmang, 2023, Videostill © Jane Jin Kaisen

Jane Jin Kaisen, Halmang, 2023, Videostill © Jane Jin Kaisen

Die Hoffnung, dass das Berliner Ausstellungspublikum das Gesehene mit sich nimmt und wirksam werden lässt, ist eine der optimistischen Annahmen dieser Ausstellung. Dass die Wirksamkeit von Kunst auch zur Diskussion gestellt wird, ist eine ihrer großen Stärken. Und in der Tat stellt sich die Frage: Was kann der riesengroße BH, den Kiki Roca vor 30 Jahren aus Protest gegen die Militärdiktatur in Argentinien im öffentlichen Raum in Córdoba zeigte, heute noch bewirken? Ist er mehr als ein Relikt, mehr als eine Erinnerung? Und was erzählt das Wägelchen, auf dem Han Bing im Jahr 2000 einen Kohlkopf auf dem Tianammen-Platz spazieren führte? Oder die auf Stöcke gesetzte Gruppe spitzer Hüte der ägyptischen Künstlerin Huda Lutfi? Sie bestehen aus Zeitungsausschnitten, die während des Arabischen Frühlings erschienen. 

Kuratorin Zasha Colah hat in Berlin eine beeindruckende Auswahl entdeckenswürdiger Künstlerinnen und Künstler versammelt, die „eigene Gesetze im Angesicht gesetzlicher Gewalt“ aufstellen. Das Fenster, das diese Biennale in die Welt und in den weltweiten Widerstand geöffnet hat, wird sich nie wieder schließen lassen.

Kikí Roca, Las Chicas del Chancho y el Corpiño, El Corpiño [Der BH], 1995/2025, Installationsansicht, 13. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 2025. Courtesy Kiki Roca, Las Chicas del Chancho y el Corpiño; Bild: Marvin Systermans

Kikí Roca, Las Chicas del Chancho y el Corpiño, El Corpiño [Der BH], 1995/2025, Installationsansicht, 13. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 2025. Courtesy Kiki Roca, Las Chicas del Chancho y el Corpiño; Bild: Marvin Systermans

Bis 14. September
Ausstellungsorte: KW Institut für Contemporary Art (ehemals Kunst-Werke), Hamburger Bahnhof, Sophiensaele, ehemaliges Gerichtsgebäude in der Lehrter Straße
Katalog: 12 Euro 
Informationen zum Veranstaltungsprogramm: Berlin Biennale

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