Aufarbeitung: Die NS Kunstpolitik in Wien

Bei der MUSA Ausstellung „Auf Linie“ gehen die intensivsten Emotionen nicht von der Kunst aus, sondern von Dokumenten, Briefen, Unterstreichungen und Rotstiftkorrekturen. Die ausgestellte Kunst ist vor allem dokumentarisch bedeutsam. Wo sie aber Kunst ausstellen, finden die Kuratorinnen eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie man Kunst zeigt, die eigentlich im Depot besser aufgehoben wäre.


„Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien“ ist im Grunde keine Kunstausstellung, sondern eine Ausstellung über Kunst, deren bedeutendsten Werke nicht zu sehen sind, weil ihre Entstehung ab 1938 unterbunden wurde. Wie genau das geschah, legt die zweiteilige Ausstellung in Dokumenten dar. Briefe, Akteneinträgen und Aufnahmebögen erzählen Einzelschicksale und machen Methoden sichtbar. Die persönlichen Dokumente machen spürbar, was „Gleichschaltung“ für diejenigen heißt, die durchs Raster fallen. Im Zentrum steht die Kammer der bildenden Künste, mit der die Reichskulturkammer ab 1938 auch in Österreich die Kunst unter die Führung des Reichspropagandaministers stellt. Wie sie arbeitet, um Arbeiten zu verhindern, wird im ersten Raum gezeigt. Der zweite Raum präsentiert die bereits gleichgeschaltete Kunst in Gemälden, Skulpturen, Fotografien und Ausstellungsplakaten und -einladungen.

Beindruckend ist das NS Beamtendeutsch, das der systematischen Zerstörung persönlicher Existenzen den Anstrich der Rechtmäßigkeit und Unausweichlichkeit verleiht.

Klaus Speidel

Der Inhalt und die Ästhetik der ausgestellten Kunstwerke ist nur in Einzelfällen relevant. Dabei ist gerade das überraschend, was sich nicht zeigt. Dem Selbstbildnis von Leopold Blauensteiner von 1937, beispielsweise, sieht man die Gesinnung eines Landesleiters der Reichskammer der Bildenden Künste, der täglich Berufsverbote ausspricht und überprüft, nicht an. Anders als die Nazis in den Bildern von Georges Grosz, trägt er keine Hakenkreuzanhänger. Auch die impressionistische Gestaltung des Vorder- und Hintergrundes seines Bildes entspricht nicht dem Klischee der Nazikunst. Eingeklemmt zwischen Stühlen und Bilderrahmen erscheint er geradezu beengt und unfrei. Anders als beispielsweise Emmerich Sandig, dessen „Feldfriede“ (1938) Klischees der Arierfamilie verbreitet oder Hertha Karasek-Strzygowskis „Jungbäuerin aus Münnichweis (ca. 1940) in Tracht, produziert Blauensteiner keinen deutschtümlerischen Kitsch. Seinen Aufgaben als Parteifunktionär kam er dennoch peinlich akkurat nach: In einem Brief vom 13. Oktober 1939 an die Bildhauerin Elisabeth Turolt rät er von einer Wiederaufnahme der künstlerischen Tätigkeit nach einer Krankheit dringend ab und schließt: „Diese würde in Ihrem Fall besonders schwerwiegend sein, weil Sie jüdisch versippt sind“. Wie man ihrem Aufnahmebogen entnehmen kann, hat Turolt zwar vier dokumentarisch nachweisbar arische Großeltern, ist aber mit einem Juden verheiratet.

Kunstmachen musste erlaubt werden

„Kammerpflichtig“ war eine künstlerische Betätigung in Österreich ab 1938 und musste explizit erlaubt werden. Turolts Fragebogen zum Beitritt in die Reichskammer der bildenden Künste vom 16. Juli 1938, führt zu ihrer Ablehnung. Trotz der wenigen Informationen, die er enthält, wird er zum bewegenden Zeugnis zweier Biographien. Neben den Einträgen Turolts fallen darin zwei Markierungen mit Rotstift auf. Unter dem Feld „Religion des Ehepartners (eventuell frühere Religionszugehörigkeit)“ ist „früher israelitisch“ doppelt rot unterstrichen. „Verheiratet“ in der Zeile darüber wird zwei Jahre nach Ausfüllen des Fragebogens gestrichen, begleitet vom Vermerk „geschieden seit 23. 6. 40“. Die Grundlage für die Schau bildete ein Forschungsprojekt zur Reichskammer der bildenden Künste Wien, bei dem die Kuratorinnen rund 3.000 Personalakten wissenschaftlich aufgearbeitet haben. Davon werden in der Ausstellung neun näher beleuchtet.

LEOPOLD BLAUENSTEINER, SELF PORTRAIT, AROUND 1937, Albert Blauensteiner, Photo: Paul Bauer © Wien Museum

Mit dabei Gustav Gurschner, dessen Frau jüdischer Herkunft war. Ihm attestiert der Leiter der Kammer Blauensteiner beispielsweise „durchschnittliche künstlerische Qualität“, aber untersagt „jede selbstständige bzw. eigenschöpferische künstlerische Tätigkeit als Bildhauer“. Auf Nachfrage der GESTAPO, die die Einhaltung des Berufsverbotes überwacht, präzisiert Blauensteiner, dass Gurschner „handwerkliche oder mechanische Arbeiten nach gegeben Entwürfen“ erlaubt sind. Er darf deshalb eine Madonnenskulptur fertigstellen, die ein zur Wehrmacht eingezogenen Bildhauer entworfen und begonnen hat.

Der zweite Teil der Ausstellung zeigt die Kunst der linientreuen Künstler und Künstlerinnen und informiert über einschlägige Ausstellungen. Dabei finden die Kuratorinnen eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie man Kunst zeigt, von der man unsicher ist, ob man sie zeigen soll: Die Werke werden präsentiert als hingen und stünden sie noch im Depot oder seien noch auf dem Weg: Malereien hängen auf Gittern, Skulpturen stehen in Transportboxen, die vorne mit Scheiben ausgestattet sind. Von vielen Werken sind nur Depotfotografien zu sehen.

WIEN MUSEUM MUSA, VIENNA FALLS IN LINE. THE POLITICS OF ART UNDER NATIONAL SOCIALISM, EXHIBITION VIEW, Photo: Lisa Rastl © Wien Museum

Vorgaben des Propagandaministerium

Was das Propagandaministerium darunter versteht, dass Künstler und Künstlerinnen „die deutsche Kultur in Verantwortung für Volk und Reich fördern“ wird am Beispiel „Professor Ernst Huber – Ein Maler erlebt die Reichsautobahn“ am besten deutlich. Der Maler realisiert 162 Aquarelle, die die Reichsautobahn im Sinne des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen, Fritz Todt, verherrlichen. Die Ausstellung wird ab 1940, als der Straßenbau wegen des Krieges bereits ins Stocken kommt, in Wien und zahlreichen anderen Städten gezeigt. Ein Bericht zur Ausstellung, macht die Reichsautobahn zum Inbild des „Gesundungsprozesses“ der Technik, die mit der Machtübernahme Adolf Hitlers begonnen haben soll und deren Schönheit nun Ernst Huber in seinen Aquarellen nachbildet. Darin werden Bauten, die vor 1933 entstanden als „seelenlos“ und „entartet“ gebrandmarkt. Als „groteske Fremdkörper“ „verunzieren“ sie das Stadt- und Landschaftsbild. „Die Lehre des Nationalsozialismus“ dagegen „enthält auch die geistigen Grundlagen für die Wiedergeburt der Technik“. Wer Martin Heideggers Gedanken zur Technik kennt, mag hier denselben Geist erkennen.

WIEN MUSEUM MUSA, VIENNA FALLS IN LINE. THE POLITICS OF ART UNDER NATIONAL SOCIALISM, EXHIBITION VIEW, Photo: Lisa Rastl © Wien Museum

Beindruckender als diese metaphysischen Platituden ist eigentlich das NS Beamtendeutsch, das der systematischen Zerstörung persönlicher Existenzen den Anstrich der Rechtmäßigkeit und Unausweichlichkeit verleiht. Der zweite Raum bleibt in diesem Sinne hinter dem ersten zurück, wo es den Kuratorinnen so gut gelingt, die administrativen Dokumente und Briefe zum Sprechen zu bringen. Statt einer relativ unstrukturierten Aneinanderreihung von Artefakten, würde man sich auch hier eine ähnlich systematische Aufarbeitung der Kunstpolitik in Form von Briefen, Zeitungsartikeln und anderen Texten über die linientreue Kunst wünschen.

Musa Museum

Felderstraße 6-8, 1010 Wien
Österreich

Das könnte Sie auch interessieren