Auf nach Berlin: Das kann die Art Week
Dreizehn ist nicht die beliebteste Zahl. Für die Berlin Art Week 2024, die in diesen Tagen zum 13. Mal stattfindet, hat Aberglaube keine Bedeutung. Denn wenn an mehr als 100 Kunstorten Ausstellungen eröffnen, Performances geplant sind, zu Gesprächen eingeladen wird, dann kann gar nichts schief gehen. Es sei denn, jemand wollte in den fünf Tagen der Art Week alles sehen, also 70 Eröffnungen in Museen und Institutionen, mehrere Live Performances und viele Künstlergespräche. Außerdem laden zum Gallery Weekend (ab 13.9.) mehr als 50 Galerien zu einer Gallery Night mit einheitlichen Öffnungszeiten bis 22 Uhr, parallel eröffnet die Kunstmesse Positions im Flughafen Tempelhof.
Berlin Art Week: Überwältigende Kunstvielfalt
Alles zu sehen wird nicht schwer sondern unmöglich. Das mag traurig sein, ist aber Programm. Die Kunst flutet die Stadt, die Eröffnungen finden zeitgleich und überall statt, so dass jede Auswahl eine Beschränkung bedeutet. In diesem Jahr setzen die Art Week-Macher außerdem stark auf Begegnungen. Privatsammler öffnen ihre Häuser und Badezimmertüren und laden ein, den Kunstgenuss, den sie normalerweise exklusiv haben, zu teilen. Das Format „Meet the Artist“ ist ebenfalls neu und bietet sehr persönliche Einblicke in die Künstlerarbeit.
Zentraler Start- und Informationspunkt des Festivals ist in diesem Jahr der Garten am Gropiusbau. Schon dort gibt es Musik, Gespräche, Performances, Filme und Informationen über geführte Touren und kuratierte Routen. Beide sind sorgfältig von den Art Week-Machern ausgewählt und sehr zu empfehlen, um nicht in der Fülle der Möglichkeiten zu ertrinken. Was sich sonst noch lohnen könnte, ist hier in einer naturgemäß unvollständigen Auswahl zusammengestallt – samt einer kleinen Beruhigung: Die meisten während der Art Week eröffnenden Ausstellungen sind anschließend mehrere Monate zu sehen.
Der Gropiusbau kocht und spielt: Rikrit Tiravanija und BauBau
Während neben dem Gropius-Bau Touren und Spaziergänge starten, eröffnen im Haus zwei neue Ausstellungen.
Wobei die Retrospektive von Rikrit Tiravanija keine klassische Ausstellung ist, obwohl (oder weil) darin täglich gekocht wird. Mit minimalistischen Installationen, Filmen, dem Büro der Direktorin und einer Bühne zum Musikmachen zeigt die neue Gropiusbau-Direktorin Jenny Schlenzka nicht nur einen Querschnitt der Arbeiten des international einflussreichen Künstler Rikrit Tiravanija. Sie sieht in seinem Werk die Grundlage ihres neuen Programms für das Haus.
Und mit Publikum meint sie nicht nur die, die schon kommen. Sie lädt auch die ein, die sonst brav und still sein müssen und deshalb lieber wegbleiben.
Speziell für Kinder hat die Künstlerin Kerstin Brätsch „BauBau“ in drei Ausstellungssälen des Gropiusbaus eingerichtet. Es ist ein Spiel-, Traum- und Kreativort, der nie wieder abgebaut wird, sondern ab jetzt Teil des Ausstellungshauses ist. Denn seine neue Direktorin will einen Raum für freies Spiel, in dem die Erwachsenen die Kinder beim Abenteuer Kunst beobachten.
Gropiusbau – bis 12.1.2025
Mariechen Danz’ Knochen und Schatten in der Berlinischen Galerie
Es ist vielleicht nicht der international bedeutendste Kunstpreis, den das Berliner Unternehmen GASAG alle zwei Jahre verleiht. Doch mit dem GASAG-Kunstpreis ist eine Ausstellung in der großen Halle der Berlinischen Galerie verbunden – einer zehn Meter hohen, 42 Meter langen aber nur acht Meter breiten Halle. Sie ist sicher einer der schwierigsten Ausstellungsräume der Stadt und damit einer der aufregendsten. Denn wer hier ausstellt, kann groß denken und darf überwältigend sein.
Der diesjährigen Preisträgerin Mariechen Danz (1980 in Dublin geboren) gelingt das mit einer überaus poetischen Inszenierung. Die Künstlerin arbeitet seit langem mit anatomischen Sammlungen zusammen, interessiert sich für Geografie, Geologie, Biologie, Astronomie, benutzt deren Formenkanon und schafft daraus geheimnisvolle, begehbare Installationen mit realen und inszenierten Schatten.
In ihrer Ausstellung „edge out“ sind nicht nur viele menschliche Organe zu finden, sondern auch Unmengen von Knochen- und Organabdrücken, eingebrannt in Ziegelsteine, die zu Wänden aufgestapelt sind oder Fussböden bilden. Sie erinnern an flüchtige Abdrücke im Sand und sind doch genauso wenig zufällig wie die aufgemalten Schatten an den Wänden.
Berlinische Galerie – bis 31.3.2025
Das Leben nachbauen mit Tracy Snelling im Haus am Lützowplatz
Es sind nicht die ikonischen Bauten einer Stadt, die Tracy Snelling interessieren. Es sind ganz normale Gebäude, meist Wohnhäuser, die die 1970 in Oakland geborene Wahlberlinerin nachbaut und mit Leben füllt. Denn aus ihren Gebäudeskulpturen scheint Licht, dringt das Klappern von Geschirr, das Gespräch von Bewohnern, sind Musik und Fernsehfilmgeräusche zu hören. Tracy Snelling forscht in ihren Arbeiten dem Zusammenleben in Städten, den Versprechungen des sozialen Wohnungsbaus nach. In ihrer großen Einzelausstellung „How We Live“ im Haus am Lützowplatz stehen Berliner Gebäude und Geräusche neben vergleichbaren, ähnlichen, ganz und gar anderen aus New Orleans, Shanghai, Paris, Tokyo und Ann Arbor/Michigan.
Haus am Lützowplatz – bis 9.Februar 2025
Von Puppen lernen: Gisèle Vienne im Haus am Waldsee, im Georg Kolbe Museum und in den Sophiensälen
So viele Künstler, so viele Ausstellungen! Doch eine sticht heraus: Gisèle Vienne. Der französisch-österreichischen Künstlerin, Choreografin und Regisseurin widmen gleich drei Berliner Institutionen Ausstellungen und Vorführungen. Das Haus am Waldsee zeigt mit „This Causes Consciousness of fracture – A puppet play“ eine Einzelausstellung, die vom Betreten des Hauses an verstört. Einsam sitzt eine der Puppen von Gisèle Vienne im Vorraum, allein, mit dem Rücken zum Publikum. Sie ist nicht unheimlich und verkörpert doch all das Unheimliche im Werk der Künstlerin. Die Schneewittchensargreihe mit 15 lebensgroßen Puppen im Alter von Jugendlichen, deren Augen das Schrecklichste gesehen haben müssen, führt ganz tief in die Welt der Künstlerin. In den Fotos der Puppengesichter im Obergeschoss mischen sich Künstlichkeit und realistische Darstellung so sehr, dass die Unterschiede verschwimmen. „Es geht darum, unsere Repräsentationen in Besitz zu nehmen, um uns selbst anders zu definieren“, sagt die Künstlerin über ihre Arbeiten.
Die parallel gezeigte Ausstellung „Ich weiß, dass ich mich verdoppeln kann. Gisèle Vienne und die Puppen der Avantgarde“ im Georg Kolbe Museum übt sich in Einordnung und stellt den Puppen von Vienne Puppen anderer Künstlerinnen wie beispielsweise Hannah Höch, Käthe Rothacker, Sophie Taeuber-Arp oder Lotte Pritzel gegenüber.
Während es in den beiden Ausstellungen um Stille, Bewegungslosigkeit, vielleicht auch um Zwiegespräche geht, zeigen die Sophiensaele, die einst von der Choreografin Sasha Waltz als freies Theater gegründet wurden, Viennes Film „Jerk“ über einen amerikanischen Serienmörder. Anschließend wird die Künstlerin über den Film sprechen. Im November folgen die Performance „Crowd“ und ein Workshop mit der Compagnie DACM/Gisèle Vienne. Umfassender kann man das Werk der Künstlerin derzeit nirgendwo kennenlernen.
Haus am Waldsee – bis 12.1.2025.
Georg Kolbe Museum – bis 9.3.2025
Sophiensaele – „Jerk“, 15.9.2024, 14 Uhr anschließend Gespräch mit der Künstlerin