Appropriation Art

Zwischen Inspiration und Imitation agiert das schwer festzumachende Feld der Appropriation Art. Sie wirft Fragen der Authentizität und Autorenschaft auf und stellt dabei die Definition von Kunst selbst zur Diskussion.


Zitate und Paraphrasen

Als Andy Warhol in den 1960er-Jahren Campbell-Suppendosen imitierte, tat er nichts unbedingt Neues. Schon Römer und Griechen kopierten voneinander, der Klassizismus dann sogar von beiden. Später malte Vincent van Gogh Jean-François Millet ab, Marcel Duchamp rekontextualisierte ein Urinal, Pablo Picasso paraphrasierte Diego Velázquez und verwendete Ausschnitte von Zeitungen in seinen Collagen – reale Zeitungsschnipsel, die im Bild gemalte Zeitungsschnipsel repräsentieren sollten.

Eine der bekanntesten Kopistinnen und Vorzeige-Vertreterin der sogenannten „Appropriation Art“ ist Elaine Sturtevant. Täuschend echt fertigte die Konzeptkünstlerin in den frühen 1970er-Jahren Werke im Stile etwa Robert Rauschenbergs oder Jasper Johns – auch Andy Warhols Siebdrucke waren vor ihr nicht sicher, was den Künstler aber mehr zu amüsieren als zu stören schien, soll er ihr doch Originalsiebe geschenkt haben, um den Kopiervorgang zu verbessern. So entstanden auch Zitate von Zitaten, die nicht zuletzt Warhols zentrale Rolle in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts markieren.

Doch die Appropriation, die Aneignung, ist in der Kunst lange kein Phänomen, das sich nur der Pop Art zuschreiben lässt, neuartig und ungewohnt war aber Andy Warhols Themenwahl. Er zitierte Inhalte, die er nicht länger der Kunstgeschichte entlieh, sondern der Konsumkultur und den Massenmedien. Es war wohl ein wissender Blick in die Zukunft, denn spätestens durch die Digitalisierung verschwammen geistiges Eigentum Kreativschaffender und die Kommunikation im Geiste des Kapitalismus zunehmend. Aneignung geschah nicht mehr nur innerhalb der Kunst, sondern die Disziplinen vermengten sich, der Kontextbezug der Kunst über die Kunstwelt hinaus wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren gewichtiger. Über die letzten Jahrzehnte beschleunigten sich außerdem nicht nur die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung, sondern „Copy und Paste“ begann auch abseits der Künste zahlreiche Aspekte unserer (digitalen) Alltagskultur zu durchziehen. 

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Im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Kunstfreiheit

Seit jeher berufen sich Künstler auf die Leistungen und Werke von Kollegen. Ganze Kunstströmungen sind durch das gegenseitige Zitieren oder die Übernahme von Techniken und künstlerischen Strategien entstanden. Insbesondere Künstler der in den 1970er-Jahren aufgekommenen Appropriation Art, aber auch des Dadaismus, Surrealismus oder der Pop-Art, griffen auf fremde Werke zurück und erschufen auf deren Grundlage völlig neue Schöpfungen.

So anerkannt diese künstlerische Praxis in der Kunstgeschichte und auf dem Kunstmarkt auch sein mag, juristisch agieren Künstler, die sich auf Bildübernahme und -verfremdung, Zitate, Collagen sowie andere Formen der Aneignung spezialisiert haben, in einer Grauzone. Denn nicht jede Bearbeitung von Fremdmaterial ist von der Kunstfreiheit gedeckt. Frei aneignen darf man sich ein Kunstwerk zwar dann, wenn der Künstler bereits mehr als 70 Jahre lang verstorben ist. Danach erlischt das Urheberrecht an den Originalwerken nach europäischer sowie US-amerikanischer Rechtslage und auch die Erben können sich nicht mehr auf dessen Verletzung berufen. Ansonsten gilt jedoch, dass vor der Verwendung einer fremden Arbeit grundsätzlich die Zustimmung des Urhebers, seiner Erben oder der ihn gegebenenfalls vertretenden Verwertungsgesellschaft einzuholen ist, es sei denn, eine der folgenden Ausnahmen greift.

Amerikanische Rechtslage

Nach US-amerikanischem Recht können sich Künstler der Appropriation Art auf das Recht des sogenannten „fair use“ berufen. Danach darf ein fremdes Werk unter bestimmten Voraussetzungen wiedergegeben werden, ohne dass dadurch eine Urheberrechtsverletzung entsteht. Die Aneignung muss unter anderem zum Zwecke der Kritik oder Kommentierung erfolgen. Zudem muss die Verwendung angemessen sein. Zur Beurteilung dieser Angemessenheit müssen im Einzelfall folgende vier Aspekte berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden:

  1. Zweck und Art der Verwendung des Originalwerkes
  2. Art des urheberrechtlich geschützten Originalwerkes
  3. Umfang und Bedeutung des verwendeten Auszugs im Verhältnis zum ganzen Originalwerk
  4. Auswirkung der Verwendung auf den Wert und die Verwertung des Originalwerkes

In der Praxis wird dabei vorrangig auf den ersten der vier Faktoren, den Zweck und die Art der Verwendung, abgestellt. Ein zum Verkauf bestimmtes Kunstwerk wird regelmäßig einem gewerbsmäßigen Zweck zugeführt. Streitentscheidend ist deshalb meist allein die Frage, ob die Art der Verwendung als „transformativ“ angesehen werden kann. Dies ist der Fall, wenn durch die Aneignung ein eigenständiges Werk mit einer neuen Bedeutung beziehungsweise künstlerischen Aussage entsteht

ANDY WARHOL | $ (4) blau und $ (4) schwarz, 1982, Siebdrucke auf Lenox
Museumskarton, je 101.6 × 81.3 cm, AP 3/10 (Ed. 35 ), signiert, nummeriert
beide | Courtesy und © Galerie Gerlad Hartinger

Lesen Sie über Fälle von Richard Prince, Andy Warhol und mehr in unserer PARNASS Ausgabe 03/2020!

Europäische Rechtslage

Das europäische Recht kennt das Prinzip des „fair use“ mit seinem viergliedrigen Kriterienkatalog bislang nicht. Seit der 2019 durchgeführten Reform des EU-Urheberrechts gilt, dass die Mitgliedstaaten die Verwendung eines fremden urheberrechtlichen Werkes unter folgenden Voraussetzungen erlauben können:

  1. Verwendung des Originalwerkes stellt ein Zitat zu Zwecken wie Kritik oder Rezension dar
  2. Originalwerk ist der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht worden
  3. Quelle des Originalwerkes, einschließlich des Namens des Urhebers, wird angegeben, außer dies erweist sich wegen der Umstände des Einzelfalls als unmöglich
  4. Nutzung des Originalwerkes entspricht den anständigen Gepflogenheiten
  5. Nutzung des Originalwerkes ist in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt

Über diese Vorgaben hinausgehende Regelungen der Mitgliedstaaten sind mit dem Unionsrecht unvereinbar. Dies dürfte aktuell vor allem die deutschen und österreichischen Vorschriften betreffen, die im Falle von Appropriation Art einschlägig sind. Ähnlich wie im Fall von Andy Warhol dürfte danach ein Künstler im Wege der sogenannten „freien Benutzung“ ein Original grundsätzlich ohne Zustimmung des Urhebers verwenden, wenn er durch die Aneignung ein selbständiges Werk erschafft, hinter dem die ursprüngliche Arbeit zurücktritt.

ANDY WARHOL | $ (4) blau und $ (4) schwarz, 1982, Siebdrucke auf Lenox
Museumskarton, je 101.6 × 81.3 cm, AP 3/10 (Ed. 35 ), signiert, nummeriert
beide | Courtesy und © Galerie Gerlad Hartinger


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