Anna Boghiguian – Politik & Poesie

Die Installation bringt uns an einen Ausgangspunkt des politischen, gesellschaftlichen wie ethnischen Chaos im Nahen Osten. Die konstante Migration und Diaspora in dieser Region führt die ägyptisch-kanadische Künstlerin armenischer Herkunft Anna Boghiguian in ihrer eindringlichen In-situ-Arbeit auf die Schlacht bei Magnesia (190/189 vor Christus) zurück – den Kampf der hellenistisch-makedonischen Welt gegen das erstarkende Römische Imperium.
Die Würfel sind gefallen. Selbst wenn dieses Zitat erst eineinhalb Jahrhunderte später von Julius Caesar ausgesprochen worden sein soll, passt es zur Installation Anna Boghiguians. Denn an einem Tisch sitzt Antiochus III. verzweifelt mit einem Weinglas in der Hand, seinen Würfeln und einer umgestoßenen Flasche Rotwein mit dem deutschen Namen „Machtlust“ – ein vinophiler Marketinggag, der sich perfekt in diese Szenerie einfügt. Eine nackte, goldene Figur dreht ihm den Rücken zu und verlässt das Schlachtfeld. Es ist sein Gegner Philip V. von Makedonien, der ihn in der Schlacht von Magnesia besiegt und so ein neues Zeitalter für den Nahen Osten eingeleitet hat.
Anna Boghiguian zeichnet die Schlacht im Ausstellungsraum mit intensiven, farbigen Scherenschnitt-Figuren, Landschaften und Kampfszenen nach und wandert in der porträtierten Personage durch die Jahrhunderte. Selbst an die Hinterwand hat sie vor Ort ein vielschichtig-malerisches Panorama appliziert. Ein künstlerischer Prozess, der nicht vorgesehen war und das Museum Ludwig in einen unerwarteten Gewissenskonflikt gebracht hat: behalten oder wieder entfernen? Die raumgreifende Arbeit der Künstlerin wird durch Aquarelle, Zeichnungen, Collagen und ihre imposanten „Tagebücher“ ergänzt.

Anna Boghiguian, A Poem, 2024, Installationsansicht © Anna Boghiguian Foto Studio Fuis
Anna Boghiguian wurde mit dem 30. Wolfgang-Hahn-Preis des Museum Ludwig ausgezeichnet und reiht sich damit in eine Reihe von Preisträger:innen wie Francis Alÿs, Franz West, Isa Genzken oder Pipilotti Rist ein. Der Vorschlag, Boghiguian auszuzeichnen, kam von der Gastjurorin, der US-amerikanisch-italienischen Kuratorin und Kunsthistorikerin bulgarischer Herkunft Carolyn Christov-Bakargiev (unter anderem künstlerische Leiterin der dOCUMENTA 2012).
Das Preisgeld von 100.000 Euro wird in den Ankauf eines Werks oder einer Werkgruppe investiert. Daher hat die Künstlerin mit ihrem „Mural“ das Team des Museums etwas in die Bredouille gebracht. Gehört das nun zur Werkgruppe und sollte der Raum umgestaltet werden? Letzen Endes hat sich das Museum Ludwig dafür entschieden, Boghiguians Wandmalerei nach der Ausstellung wieder zu entfernen.

Anna Boghiguian, Die Schlacht von Magnesia nach K. Kavafis, 2024, Mischtechnik auf Vergé-Papier, 48,2 x 62,2 cm, Foto: Saša Fuis, © Anna Boghiguian
Ein wichtiger Bezugspunkt für diese Arbeit der 1946 in Alexandria geborenen Künstlerin sind die Schriften des ebenfalls in Alexandria geborenen griechischen Poeten Konstantin Kavafis (1863–1933): Seine Gedichte „Die Schlacht von Magnesia“ und „Warten auf die Barbaren“ liefern quasi das Drehbuch für und die Wegbeschreibung durch die Installation. Einzelne Verse werden an den Wänden des Ausstellungsraumes zitiert. Die Biografie des Dichters verdeutlicht sehr gut die Migration, zu der Menschen im Nahen Osten am Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund von Kriegen und politischen Entscheidungen gezwungen waren – seine Odyssee führte ihn von Alexandria über London, Liverpool und Konstantinopel zurück nach Alexandria. Er gilt als einer der bedeutendsten Dichter des modernen Griechenlands.
Die famos-ergreifende Installation von Anna Boghiguian mit den kühnen Gedichten von Konstantin Kavafis führt unweigerlich von den prägenden historischen Ereignissen ins Heute. Denn in Boghiguians künstlerischer Dramaturgie des Gedichts „Warten auf die Barbaren“ lässt sich unmittelbar eine Interpretation des Wahlergebnisses in den Vereinigten Staaten erkennen. Unbedingte Empfehlung: Ausstellung ansehen und das Gedicht nachlesen!

Anna Boghiguian, Die Schlacht bei Magnesia, 2024 Mischtechnik auf Papier © Anna Boghiguian
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln
Deutschland
ANNA BOGHIGUIAN. 30. WOLFGANG-HAHN-PREIS
bis 30.03.2025