Andrea Schurian im Gespräch mit Stefan Sagmeister

"An die Idee des reinen Funktionalismus glaube ich nicht."

sagmeister © john madere

Sechsmal war er für den Grammy nominiert, zweimal hat er ihn bisher bekommen, 2013 wurde er mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 2016 als „Auslandsösterreicher des Jahres“ gewürdigt: Stefan Sagmeister ist Österreichs wohl bekanntester Grafikdesigner, außerdem ein die Schönheit suchender Weltreisender und existenzphilosophischer Glücksritter mit festem Wohnsitz in Manhattan.


PARNASS ARTLIFE Führung 19.02.2019

Der 1962 in Bregenz geborene Sohn einer Textil- und Modedynastie gründete nach Studienjahren in Wien, New York und Hongkong 1993 die Sagmeister Inc., designte im wahrsten Sinn des Wortes ausgezeichnete Albencover für die Rolling Stones, Talking Heads, Lou Reed und David Byrne,  brandete Weltmarken und entwarf Werbesujets sowie Logos für Fernsehsender, Verlage, Konzerne, Mode- und Musentempel. Außerdem gibt er Bücher heraus und gestaltet Ausstellungen.

In seinem Studio nahe dem Union Square, das Sagmeister mittlerweile gemeinsam mit Geschäftspartnerin Jessica Walsh führt, werken fünfzehn Mitarbeiter an schönem Sein und Schein. Zu den prominenten Kunden zählen unter anderen die „New York Times“, das Kunsthaus Bregenz, das MOCA in Los Angeles, das MoMA und das Guggenheim Museum in New York. 2018 bespielten Sagmeister& Walsh den Österreich-Pavillon in Venedig im Rahmen der Architekturbiennale. Und nachdem er vor drei Jahren im MAK mit „The Happy Show" Fährten ins Glück legte, hat er gemeinsam mit Jessica Walsh das Museum nun buchstäblich mit Schönheit aller Art befüllt.  

Sagmeister & Walsh, Logo SAGMEISTER & WALSH: Beauty, 2018 © Sagmeister & Walsh, New York

Sagmeister & Walsh, Logo SAGMEISTER & WALSH: Beauty, 2018 © Sagmeister & Walsh, New York


PARNASS: Sie scheinen Fachmann für flüchtige Phänomene zu sein. Das Glück ist ja bekanntlich ein Vogerl und Schönheit, zumindest nach landläufiger Auffassung, vergänglich. STEFAN SAGMEISTER: Schönheit ist, wenn wir von menschlicher oder natürlicher Schönheit sprechen, vergänglich. Das gilt aber nicht für die von Menschen gemachte Schönheit, also Design, Architektur, Stadtplanung – Dinge, die wir beeinflussen können.

P: Liegt die Schönheit also im Auge des Betrachters? SS: Wäre es so, würde es jeden Diskurs obsolet machen. Denn wenn jeder etwas anderes als schön empfindet, dann muss man sich nicht anstrengen, dann gibt es keine Kriterien für Schönheit. Aber das stimmt nicht. 

Schönheit – und ich meine von uns beeinflussbare Schönheit – ist vielmehr die Summe ästhetischer Werte wie Komposition, Farbe, Materialität, Symmetrie.

Stefan Sagmeister

P: Wie verhält es sich mit dem Design-Leitsatz, wonach Form der Funktion folgt? SS: Schon Adolf Loos und seine Zeitgenossen warnten, dass diese These missverstanden wird und aus der Ornamentlosigkeit ein Ornament gemacht wurde. „Form follows function" würde ja implizieren, dass, wenn nur die Funktion optimal gelöst ist, automatisch ein gutes Werk herauskommt. Das stimmt aber nicht. Dinge werden nicht von selber schön, es muss eine gestalterische Absicht dahinter sein.

P: Ändert sich der Schönheitsbegriff oder gibt es eine allgemein und ewig gültige Schönheitsformel? SS: Natürlich ändert sich der Schönheitsbegriff mit den Moden. Aber es gibt vieles, das sich langzeitig fortsetzt. Das, was die Italiener im 16. Jahrhundert oder die Römer im 2. Jahrhundert als schön empfanden, finden auch heute noch die meisten Menschen schön. Wenn ich Fotos vom Pantheon und dem Müllplatz von Rom zeige, werden nur Zyniker Zweiteres schön finden. Es gibt dazu Theorien, die mit Fraktalen arbeiten. Demnach gibt es eine gewisse Fraktalzahl, die wir angenehm finden. Runde Formen werden als schöner empfunden als eckige, blau wird am schönsten empfunden, braun am wenigsten schön. Das braune Viereck wird demnach als am wenigsten angenehm empfunden. Und der Kreis gewinnt immer.

P: Berücksichtigen Sie solche Erkenntnisse in Ihrem Design? SS: Es wäre dumm und ignorant, es nicht zu tun. An die Idee des reinen Funktionalismus glaube ich nicht. Wenn man die Schönheit mitberücksichtigt, funktionieren die Dinge besser. Dass sich viele Designer auf Funktionalität versteifen, ist auch eine Art Bequemlichkeit und Faulheit. Denn Funktionalität ist wahnsinnig einfach. Ich kann mit guten Computer-Designprogrammen auf die Schnelle fünfzig Stühle entwerfen, die funktionieren. Aber einen schönen Stuhl zu machen, der formal gelungen und gleichzeitig relevant für das 21. Jahrhundert ist, fällt schwer.  

P: War Schönheit in Ihrer Arbeit immer schon ein Kriterium? SS: Nein. Früher war ich auf der ganz anderen Seite, da ging es mir nur um die Idee, die Funktion, die Form war mir relativ egal und der Idee untergeordnet. Erstmals daran gerüttelt hat ein Interview, das Robert Rauschenberg der „New York Times" gab. Er sagte, wenn er eine Idee habe, gehe er nicht ins Atelier, sondern ausgiebig spazieren, um sie wieder loszuwerden. Das Letzte, was er wolle, sei, mit einer Idee zu arbeiten anzufangen. Das brachte mich dazu, die Obsession meines Berufs, meiner Branche zu hinterfragen, wo niemand mit dem Kunden über Schönheit, sondern immer nur über Funktionalität spricht. Aber wie schon gesagt: Das ist Blödsinn, die Dinge funktionieren besser, wenn die Form stimmt.

Sagmeister & Walsh: Beauty, Ausstellungsansicht, MAK, 2018, bemalte Bälle aus Schweinsblasen, 2018 © Aslan Kudrnofsky/MAK

Sagmeister & Walsh: Beauty, Ausstellungsansicht, MAK, 2018, bemalte Bälle aus Schweinsblasen, 2018 © Aslan Kudrnofsky/MAK

Wohin das Pendel ausschlägt, hängt davon ab, wie sicher wir uns in einer Stadt fühlen. Fühlen wir uns sicher, wollen wir mehr Neues; fühlen wir uns unsicher, sehnen wir uns nach Bewährtem.

Stefan Sagmeister

P: Gerade im Kunstdiskurs ist der Begriff Schönheit spätestens seit den Nazis verpönt, lieber spricht man von „interessanter" Kunst, „interessantem" Design. SS: Stimmt. Das setzt sogar noch früher an, schon nach dem Ersten Weltkrieg war der Begriff in Misskredit geraten, vorher galt Schönheit, neben Wahrheit und Gutheit, als moralischer Wert. Doch viele der Avantgardekünstler, die aus dem Krieg zurückkehrten, waren entsetzt, dass einander angeblich zivilisierte Nationen gegenseitig brutal niedergemetzelt hatten. Das war das Ende der Schönheit, Duchamps „Fountain" war das antiästhetische Statement. Auch in der Architektur und im Design wurde Schönheit an den Rand ihrer Existenz gedrängt, als kommerziell, kitschig oder oberflächlich belächelt. Ich glaube, dass sich das gerade wieder ändert.

P: New York, genauer gesagt Manhattan, ist durch das rasterartig angelegte Straßensystem eine sehr funktionelle Stadt, aber, zumindest empfinde ich es so, in ihren Brüchen und Gegensätzen eine schöne Stadt.  SS: Der Raster in New York wäre katastrophal, wäre er von einer einzigen Architekturfirma erbaut worden. Dann wäre New York eine absolut unbewohnbare Stadt. Tausend gleichartige Gebäude: das war einer der Pläne von Le Corbusier für Paris. Er wollte den alten Stadtteil Marais abreißen und gegen seine Türme austauschen. Aber diese Gleichförmigkeit wird als unmenschlich empfunden, als nicht bewohnbar, In New York findet man eine Vielzahl an architektonischen Stilen. In der Klarheit des Rasters gibt es eine wunderbare Diversität.

P: Was braucht es, damit wir eine Stadt als schön empfinden? SS: Es gibt dazu wissenschaftliche Theorien: Die einen sagen, dass wir Dinge mögen, die wir kennen und verstehen – in dem Sinne wäre Klarheit wichtig –, die uns aber auch überraschen. Wenn alles neu ist, spüren wir Überforderung, wenn alles bekannt ist, sind wir gelangweilt. Wohin das Pendel ausschlägt, hängt davon ab, wie sicher wir uns in einer Stadt fühlen. Fühlen wir uns sicher, wollen wir mehr Neues; fühlen wir uns unsicher, sehnen wir uns nach Bewährtem. Einer der Hauptgründe, warum Wien immer einen Spitzenplatz im Ranking der schönsten Städte innehat, ist sicherlich die Gründerzeit. Sie war bei Architekten verpönt, auch Adolf Loos verachtete sie, weil nur kopiert wurde. Trotzdem würde ich sagen, dass die Ringstraße einen ganz wichtigen Anteil daran hat, warum Wien international so attraktiv ist. Und es ist auch ein Beweis dafür, dass es eine Übereinstimmung darin gibt, was als schön empfunden wird.

Color Romm © Aslan Kudrnofsky/MAK

Color Romm © Aslan Kudrnofsky/MAK

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PARNASS 04/2018

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