An die Grenzen gehen – ein Comeback in Neuhaus

Er hat sich einige Jahre bewusst aus dem hektischen wie oft überhitzten Kunstgeschehen zurückgezogen: Nach zahlreichen internationalen Ausstellungen, Sammlungsankäufen und manischem Produktionsdruck hat der österreichische Künstler Lorenz Estermann einen Schritt zur Seite gemacht, über seinen Status als Künstler und die Verfasstheit der heimischen wie globalen Kunstszene reflektiert: Mit einer Einzelausstellung im Museum Liaunig wagt er wieder den Schritt an eine breite Öffentlichkeit.
Früher Erfolg, wenig Anerkennung
„Das mit der Kunstkarriere ist nicht einfach in Österreich“, unterstreicht Lorenz Estermann eingangs im Gespräch mit PARNASS. „Wenn junge Künstlerinnen und Künstler Erfolg haben und nachgefragt werden, wird das hierzulande immer mit einem gewissen Misstrauen beäugt“, beschreibt er seine Erfahrungen aus seinen Anfangsjahren. Aufrichtig-aufmunternde Gratulationen seien eher selten. Sehr oft wird eher nach möglichen Kritikpunkten gesucht, zeigt sich Estermann überzeugt.
Um seine Erfahrungen zu verstehen, ist es natürlich unerlässlich, sich mit der Biografie des Künstlers auseinanderzusetzen. Der 1968 in Linz geborene Künstler hat von 1988 bis 1993 an der Universität für Angewandte Kunst in der Meisterklasse Ernst Caramelle studiert und abgeschlossen. Jedoch verorten sich seine künstlerischen Wurzeln bereits in Teenager-Zeiten. Erste Ausstellungen in Galerien hatte er schon als 17-, 18-jähriger in Linz. „Meist Arbeiten auf Papier“, erzählt er von seinen Anfängen, „denn das Material war leistbar und auch relativ leicht zu transportieren. Ich konnte es einfach zusammenrollen!“
Im Laufe der Jahre sind zu den Zeichnungen und übermalten Fotografien kleine Skulpturen hinzugekommen. Estermann bezeichnet sich selbst gerne als Bastler, der mit den unterschiedlichen Materialien wie Holzstäbchen, Metallteilen und Karton an Architekturen erinnernde Skulpturen zu schaffen versteht.

Lorenz Estermann, Black House, Holzmodell bemalt © the artist
Nach seinem Studium folgen die ersten nationalen und internationalen Galerien-Ausstellungen und damit verbunden auch Kunstpreise und Stipendien. Darunter der Bau-Holding-Preis 1997 (Vorgänger des STRABAG Art Awards), ein Auslandsstipendium im Egon-Schiele-Zentrum in Cesky Krumlov oder eine Residenz in Rom. „Für mich war und ist es enorm wichtig, über den Tellerrand, über die Grenzen hinwegzusehen – und zu gehen“, charakterisiert er seinen unbedingten Willen, sich mit anderen Kulturen und Kunstschaffenden auseinanderzusetzen. Zahlreiche Galerienausstellungen in Paris, Köln oder Hamburg zeugen von seinem ausgeprägten Reisegen.
Eine Bilderbuchkarriere? Mitnichten.

Lorenz Estermann, 2025 © Àkos Burg
Bei all seiner Kritik an den Zuständen und Verfasstheiten heimischen Kunstschaffens und mit den Hindernissen, die Künstlerinnen und Künstler in Österreich konfrontiert sind, ist Lorenz Estermann jedoch soweit aufgeschlossen und (selbst-)reflektiert, das Gesamte analysieren zu können:
Es gab viele private Situationen und einige berufliche Situationen wie die Finanzkrisen, die mich massiv zurückgeworfen haben.
Lebensstationen wie die frühe Gründung einer Familie, die letztendlich dazu führte, sich neben der Kunst auch mit Projekten im Kunsthandel und in der Produktion von Kunsteditionen zu engagieren. Ein Moment, der in Österreich immer wieder kritisiert wurde und wird. Dabei wird nicht selten übersehen, dass Künstler:innen auch erfolgreich als Galerist:innen tätig sein können. Wie zum Beispiel Mira Bernabeu, der mit 1 Mira Madrid eine der international erfolgreichsten Galerien Spaniens führt und zusätzlich als Künstler an seinem Œuvre arbeitet. „Auf jeden Fall machen mir der Handel und die Editionen einen Riesenspaß. Ich fühle mich trotzdem als Künstler, obwohl mich andere immer wieder kritisieren, dass das ja nicht vereinbar sei“, teilt er sein Feedback aus der Kunstszene.
Wobei er zugibt, dass diese Mischkulanz zwischen Kunstproduktion, Ausstellungen und Handel zu einer – wie anfangs erwähnt – Auszeit geführt hat. „Ich produziere mich zu Tode. Ich kann 16 Stunden am Tag arbeiten – ich ersticke dann selbst in den Arbeiten!“, beschreibt er seinen jahrelangen Arbeitsrhythmus. Deswegen hat er einfach Pausen eingelegt, sich zurückgezogen und aus der Distanz die künstlerische Gemengelage beobachtet. Er hat in den vergangenen Jahren weitestgehend darauf verzichtet, unbedingt bei jeder angefragten Ausstellung dabei zu sein.
Und dann kam Peter, der Sohn von Herbert Liaunig
Herbert Liaunig hat im Laufe der Jahre einige Arbeiten von Lorenz Estermann für seine Sammlung erworben. Von Liaunig Senior war bekannt, dass er ein Liebhaber von Architekturzeichnungen gewesen ist. Estermanns Zeichnungen, Übermalungen und vor allem die Skulpturen haben das Gefallen Herbert Liaunigs gefunden: „Diese Sachen haben ihn sehr früh interessiert. Er hat zu Beginn meiner internationalen Karriere gleich mal fünf, sechs Modelle und Fotoübermalungen für seine Sammlung angekauft“, erzählt Estermann von seinen ersten Begegnungen mit dem profilierten Sammler. Nach seinem Ableben hat sein Sohn Peter die Leitung des Museums und der Sammlung übernommen. Peter Liaunig, selbst Architekt, hat Estermann vor einiger Zeit in seinem Atelier besucht und aus einem Gespräch über einen möglichen Ankauf, um Estermanns Werkserie in der Sammlung zu aktualisieren, entspann sich der Plan einer Einzelausstellung – quasi eine Personale–, in dem frühe Arbeiten des Künstlers seinem aktuellen Schaffen gegenübergestellt und erweitert werden sollen.

Lorenz Estermann, Museum Liaunig, 2009 © Museum Liaunig
„Peter Liaunig ist ein absoluter Glückfall“, streut Estermann Rosen. „Er ist ebenso von zeitgenössischer Kunst begeistert wie sein Vater, ein absolut würdiger wie profunder Nachfolger. Ein Ermöglicher!“, charakterisiert er den Planungs- und Arbeitsprozess zur kommenden Ausstellung „related distance“ im Museum Liaunig.
Seit Monaten komme ich wieder nicht mehr aus meinem Atelier. Und es macht mir außerordentlich Spaß!
Freude und Energie, die in der Ausstellung sicherlich zu spüren sein werden.
