Aus dem Archiv: Die Kunstzeitschrift des Jugendstils als Gesamtkunstwerk

40 Jahre PARNASS

1981 erschien der erste PARNASS. 40 Jahre später blicken wir zurück auf die letzten Jahrzehnte des Kunstjournalismus. Ein Artikel in der allerersten PARNASS Ausgabe widmet sich selbstreflexiv dem Thema der Kunstzeitschrift. Anlass für einen lohnenden Blick ins Archiv. Verfasst wurde der Text von Maria Rennhofer, die auch heute noch als Autorin zahlreiche Artikel für PARNASS recherchiert und verfasst.


Kunst – Kritik – Journalismus – Literatur: Das Verhältnis zwischen diesen Begriffen war von jeher ambivalent. Kunst braucht Kritik zur Prüfung eigener Möglichkeiten und Grenzen – und fühlt sich andererseits durch sie doch immer beengt und eingeschränkt. Journalismus kritisiert, beurteilt Literatur und Kunst – und eifert beiden doch heimlich und uneingestanden nach. Anziehung und Abstoßung zugleich vielleicht einer der Gründe dafür, dass schon relativ früh in der Geschichte der Zeitschrift eigene Periodika gegründet wurden, die sich ausschließlich mit Kunst beschäftigten. Kunstinteressierte Publizisten, vielfach Historiker und Wissenschaftler, berichteten über Werke und Künstler, deren Qualität und Autorität außer Zweifel standen. Im Lauf ihrer Geschichte wuchs die Kunstzeitschrift mehr und mehr in diese Aufgabe hinein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sie einen bis dahin ersten Höhepunkt in puncto journalistischer Qualität, Sachbezogenheit, Aussagekraft und Ausstattung erreicht. Sie hatte sich darüber hinaus ein gewisses Ansehen und ein mehr oder weniger feststehendes Publikum erworben.

Die Kunstzeitschrift – und mit ihr ihre Herausgeber und Mitarbeiter – war gerade zum richtigen Zeitpunkt reif geworden. Denn wie nie zuvor in der Geschichte nahm die bildende Kunst in diesen Jahren eine Entwicklung, die die Zeitschrift als Medium zur Durchsetzung und Popularisierung ihrer Vorstellungen und Ziele bitter nötig hatte.

Die Kunstzeitschrift des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ist daher nur im Zusammenhang mit der Entwicklung der bildenden Kunst in ihrer vollen Bedeutung einzuschätzen. Und die Kunst selbst wieder ist nicht ohne den politischen und sozialen Hintergrund ihrer Zeit zu verstehen. Die Vorstellungen, die wir heute im Allgemeinen mit dieser Epoche assoziieren, müssen bei näherer Betrachtung an allen Ecken und Enden korrigiert werden. Die außen- und innenpolitischen Probleme der Donaumonarchie – Machtverlust in Europa, Parteienstreit – wurden ergänzt durch die ökonomischen Krisen.

Der Bankkrach von 1873 beendete abrupt den bis dahin praktizierten wirtschaftlichen Liberalismus. Soziale und nationale Unzufriedenheit gärten in einer Gesellschaft, die nur mehr an der Oberfläche – von den oberen Gesellschaftsschichten ängstlich geglättet – den Eindruck von Ruhe erweckte.

Auch die Kunst war unter diesen Bedingungen erstarrt, eingefroren. Während in England und Frankreich neue Strömungen die Entwicklung weitertrugen, schien die österreichische Kunst aus der Gegenwart geradezu zu flüchten und sich in die weniger brisante Vergangenheit zurückzuziehen.

Cover of Ver sacrum, issue 01, january 1898, designed by Alfred Roller.

Der Historismus prägte nicht nur die Architektur – der Ringstraßenstil ist inzwischen zum Schlagwort geworden – sondern auch die Malerei. Der Stil Makarts war so typisch, dass man eine ganze Ära nach ihm benannt hat.

Dies scheint zunächst den vielen Beispielen aus der Kunstgeschichte zu widersprechen, wo die Kunst wie ein hochempfindlicher Seismograf auf Veränderungen und Strömungen in der Gesellschaft reagiert hat. Es dauerte aber nicht allzu lange, bis auch die österreichische, im speziellen die Wiener Kunst reagierte. Die Einflüsse aus dem Ausland und die Ideen und Absichten der jungen Künstlergeneration bewirkten zunächst einen Aufbruch auf dem Gebiet der Literatur – um 1880 durch Hermann Bahr und seinen Kreis.

Nicht viel später griff die Bewegung der „Moderne“ auf die bildende Kunst über und fand im Jahr 1897 mit der Gründung der Wiener Secession einen gewissen offiziellen Rahmen.

Künstler wie Klimt, Otto Wagner, Josef Hoffmann und viele andere gingen mit hohen Idealen und glühendem Eifer daran, einer neuen kunst zu Leben und Anerkennung zu verhelfen. Gegen die kommerziellen Gebräuche, die sich im Wiener Kunstleben eingebürgert hatten, sollten sie eine neue, reine Kunst schaffen, die zum Bestandteil des täglichen Lebens und jedem einzelnen zugänglich werden sollte.

Die Kunstwerke selbst und die nach neuen Gesichtspunkten arrangierten Ausstellungen allein genügten aber nicht, den Jugendstil, diese typisch österreichische Synthese ausländischer Einflüsse und eigener Weiterentwicklungen, in weitere Kreise zu tragen. Das geeignete ergänzende Medium fanden die Künstler selbst und ihre Mistreiter in der Zeitschrift. Die Macht, die diesem Medium innewohnte, die Macht der Meinungs- und Geschmacksbildung, der Beeinflussung und Erziehung, wurde allmählich erkannt und gezielt eingesetzt.

Koloman Moser, Plakatentwurf für die „Erste grosse Kunstaustellung“ der Secession, 1897, Aquarell und Gouache, farbiger Bleistift und metallfarben auf Leinwand (Pausleinen), Leopold Museum, Wien

Das Interesse für Kunst war in der Gesellschaft relativ stark vorhanden. Gleichsam als Kompensation dafür, dass politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen von den maßgeblichen Schichten des Adels und des gehobenen Bürgertums nach Möglichkeit ignoriert wurden, erregten gerade in diesen Kreisen Fragen der Kunst breite Aufmerksamkeit. Bald entbrannte in der Tagespresse ein vehementer Kampf pro und contra die neuen Künstler.

Parallel dazu wurden von beiden lagern mehr und mehr neue Zeitschriften gegründet, m neuen Ansichten zu beleuchten, neuen Ideen Gehör zu verschaffen und möglichst vielen Aspekten gerecht zu werden.

Sieht man sich heute diese Zeitschriften an, so fällt bei den meisten von ihnen eine außergewöhnlich aufwendige, geschmackvolle Ausstattung auf. Papierqualität und Druck, Umschlaggestaltung, Typographie, Illustrationen – die ganze Zeitschrift wirkt harmonisch, einheitlich, durchkomponiert.

Natürlich gab es auch um die Jahrhundertwende andere Kunsthefte, die rein sachlich auf Informationen ausgerichtet waren – die „Blätter für Gemäldekunde“ zum Beispiel, die „Internationale Sammlerzeitung“ oder die „Allgemeine Bauzeitung“.

Die eigentlich interessanten und für ihre Zeit so symptomatischen Blätter waren jedoch jene, die von Künstlern selbst herausgegeben wurden. Und davon gab es bald immer mehr.

Die Vereinigung bildender Künstler Österreichs, die Wiener Secession, gründete 1898 „Ver Sacrum“ als Mitteilungsblatt für Mitglieder und Freunde. In Anlehnung an die ab 1895 in Deutschland publizierte Zeitschrift „Pan“ beschritt „Ver Sacrum“ in Österreich völlig neue Wege auf dem Gebiet der Kunstberichterstattung und wurde später auch von weiteren Zeitschriften zum Beispiel genommen.

 Aber „Ver Sacrum“ war nicht der einzige Vertreter dieser gesamtkünstlerischen Ambitionen. So setzte sich zum Beispiel auch die „Hohe Warte" das Ziel, direkte Bildung zu vermitteln, nicht allein durch das geschriebene Wort, sondern durch die Anschauung. Und die „Bildenden Künste“, „Kunst und Kunsföandwerk“ und die „Kunst" betonten ebenfalls in einführenden Artikeln den Einklang, das angestrebte Zusammenspiel der verschiedensten Gebiete der Kunst.

Koloman Moser, Postkarte an Carl Moll mit Ver Sacrum-Entwurf, 1897, Feder, farbiger Bleistift auf Papier, Privatsammlung, Wien

Das entscheidend Neue an diesen Blättern war die Tatsache, dass sie nicht von außen, sozusagen als Beobachter, über Kunst berichteten, sondern dass die mittendrin Stehenden, die Künstler selbst, das Wort ergriffen und über ihre eigenen Ideen schrieben.

Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Zeitschrift „Der Architekt“ veröffentlichte Beiträge von Josef Hoffmann und Camillo Sitte über modernen Wohnbau. Hoffmann, aber auch Kolo Moser und Otto Wagner schrieben außerdem für die „Hohe Warte". Der Literat Peter Altenberg und der Architekt Josef Loos redigierten kurzfristig eigene Zeitschriften bzw. Zeitschriftenbeilagen. An „Ver Sacrum" arbeiteten die Mitglieder der Secession mit.

Die Besonderheit gerade dieses Blattes faszinierte darüber hinaus aber auch andere Persönlichkeiten des geistigen und kulturellen Lebens dieser Jahre. Hermann Bahr wurde bald zum eifrigen Mitarbeiter und zu einem der vehementesten Befürworter des secessionistischen Aufbruchs. Aber auch Rilke, Hofmannsthal, Peter Altenberg, Arno Holz und Maurice Maeterlinck, die Kunstkritiker Ludwig Hevesi und Franz Servaes, die Publizistin Bertha Zuckerkandl und viele andere konnten zur Mitarbeit gewonnen werden.

Die Zusammenarbeit von Literaten, Malern, Architekten und Journalisten kam nicht von ungefähr: DerJugendstil propagierte den Einklang aller Kunstsparten. Wie bei der Wohnungseinrichtung Möbel, Teppiche, Vorhänge, Tapeten, Geschirr, Nippes und nach Möglichkeit die Kleidung der Bewohner miteinander harmonieren sollten, so sollten auch innerhalb der Zeitschrift Malerei, Graphik, Buchkunst, Drucktechnik, Fotografie, Literatur, Journalismus und sogar vereinzelte Musikbeispiele ZuSammenwirken zur Erreichung des einen Zieles: dem Vordringen der neuen Kunst in breiteste Bevölkerungsschichten.

Var Sacrum (1902) Heft 8, page 122a, 1902

In der graphischen Gestaltung wurde experimentiert die strengen Grenzen zwischen Text- und Bildteil versuchte man zu durchbrechen, um eine Einheit von Wort und Bild herzustellen. Das Schriftbild wurde durch Illustrationen gegliedert, mit Vignetten verziert oder von Leisten umrahmt. Text und Bild waren nicht getrennte Elemente, sondern ergänzten einander sowohl optisch als auch vom Inhalt her.

Als Illustrationen dienten zunächst Abbildungen von Kunstwerken von Gemälden, Skulpturen, von Werken der Architektur und Graphik. Dies war ja auch die vordringlichste Aufgabe der Zeitschrift: Auch Leute, die kaum Ausstellungen besuchten, sollten auf diesem Weg mit der zeitgenössischen Kunst konfrontiert und vertraut gemacht werden.

Darüber hinaus wurde aber auch eine Vielzahl von Buchschmuckzeichen, Vignetten, Zierleisten, Rahmen, verzierten Initialen und ornamentalen Schriftbildern verwendet, die der optischen Auflockerung dienten und eigens für die Zeitschriften entworfen wurden.

Eine weitere Gruppe waren Fotografien von Ausstellungen und Ausstellungsräumen, aber auch von besonders gelungenen Beispielen der Wohnraumgestaltung. Gerade die Ausstellungsfotos waren nicht nur als Werbung für die entsprechende Exposition gedacht, sondern sollten vor allem die neuen Aspekte der harmonischen Abstimmung von Raum und Exponaten demonstrieren.

Schließlich waren manchen Zeitschriften noch Originalgraphiken beigelegt, so zum Beispiel den „Graphischen Künsten“ für die Mitglieder der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst oder „Ver Sacrum" ab dem Jahr 1900, als die Publizität eingeschränkt und die Zeitschrift nur mehr für Secessionsmitglieder und einige wenige Freunde und Förderer zugänglich war.

Zwei Gründe sind wohl ausschlaggebend für die besonders geschmackvolle, exklusive Gestaltung dieser Blätter: Zum einen der Wunsch der Secessionisten, ihre Kunst durch Erklärungen und Beispiele in Wort und Bild möglichst breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Zum andern einfach die Tatsache, dass Künstler, und nicht professionelle Zeitschriftenherausgeber, für die Ausstattung verantwortlich zeichneten.

Koloman Moser, Postkarte VER SACRUM - ERSTE GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG DER VEREINIGUNG BILDEND. KÜNSTLER ÖSTERREICHS - SECESSION. Verlag v. Gerlach & Schenk, Wien. Farblithographie, 14 x 8,9 cm, 1898

Ein weiterer Effekt wurde mehr oder weniger unbeabsichtigt auf diese Weise erzielt: Aufgrund einer ansprechenden äußeren Gestaltung wurden und werden bis heute Kunstzeitschriften als Freizeitlektüre von Leuten gekauft, deren künstlerisches Interesse zunächst nur sehr latent vorhanden ist, durch einzelne Beiträge aber durchaus aktiviert werden kann.

Trotz – oder gerade wegen des überdurchschnittlichen Niveaus dieser Zeitschriften konnten sie ihr eigentliches Ziel, die Popularisierung der neuen Kunst, jedoch nie erreichen. DerJugendstil blieb – trotz gegenteiliger Grundidee – ein elitärer Stil, der schon aufgrund seiner Neuartigkeit und Konsequenz die breite Masse niemals ansprechen konnte.

Die Zeitschriften spiegeln dies wider. Ganz bewußt wurde Vornehmheit und Exklusivität, jedoch niemals die Breitenwirkung in den Vordergrund gestellt. Dazu kommt die Intellektualität vieler Beiträge, die für de neinfachen Leser nach Einem langen Arbeitstag kaum zumutbar war.

Die vielleicht aber wichtigste Ursache für die oft extreme Kurzlebigkeit vieler Zeitschriften lag im mangelnden wirtschaftlichen Realitätssinn der Herausgeber. Weder im Inhalt noch in der optischen Gestaltung war man bereit, Kompromisse einzugehen. Kostbare Papiersorten und aufwendige Druckverfahren, die durch die Illustrationen erforderlich waren, hoben den Preis. Die Zeitschrift war daher schon von vornherein nicht für jeden erschwinglich.

Koloman Moser, Mädchenkopf - Umschlaggestaltung Ver Sacrum, 2/4, 1899, Tusche auf Karton, Wien Museum

Aber auch in den einzelnen Artikeln wurden keine Konzessionen an den Geschmack der Leser gemacht. Im Gegenteil: man wollte ja einen neuen Geschmack bilden, zur neuen Kunst hinführen, erziehen – und schrieb daher oft bewusst gegen die vorherrschenden Meinungen der Leser. Die Auflagen blieben klein, und viele Zeitschriften mussten bereits kurz nach ihrer Gründung wieder eingestellt werden. Über einen längeren Zeitraum konnten eigentlich nur jene existieren, die von öffentlichen oder privaten Mitteln subventioniert wurden. „Kunst und Kunsthandwerk“ hatte das k. k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie hinter sich und bereicherte von 1898 bis 1921 die österreichische Zeitschriftenlandschaft. Andere Blätter wurden durch Mitgliedsbeiträge von Gesellschaften und Vereinigungen finanziert.

Wenn man heute fast mit Staunen die kostbare Ausstattung der Kunstzeitschriften dieser Zeit zwischen der Gründung der Wiener Secession und dem Ende des Ersten Weltkrieges betrachtet, so muss man sich dessen bewusst werden, dass diese Publikationen Ausdrucksmittel einer künstlerischen Zeitströmung waren. Die Revolution des Jugendstils nur von wenigen als Vorzeichen politischer und gesellschaftlicher Neuordnungen erkannt – konnte zwar ihr eigentliches Ziel, die Integration der Kunst in das Leben des einzelnen, nicht ganz erreichen. Die errungenen Teilsiege wären jedoch ohne die eifrige Unterstützung der Kunstzeitschriften kaum möglich gewesen.

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