…wo einem die Heimat im Hals stecken bleibt
Während in der Politik kaum jemand davor scheut, den Heimatbegriff zu bemühen, ist seine Verwendung in der Kunst von Bedenken begleitet. Mit „Horror Patriae“, der Angst vor dem Heimatland, greift der diesjährige steirische herbst das Thema in seiner Widersprüchlichkeit auf. Intendantin Ekaterina Degot verbindet es bei der Eröffnung mit Wurzeln die eine „unzerstörbare Verbindung zur [Heimat]“ herstellen würden, aber eben auch „rhizomatisch“ seien.
Dass Politik und 'besorgte Bürger:innen' mehr Gefühl für Zwischentöne bräuchten, machte ein Plakat im öffentlichen Raum im Vorfeld deutlich: Yoshinori Niwas „Cleaning a Poster During the Election Period Until It Is No Longer Legible“ (2024) musste kurz vor der Eröffnung noch wegen einer Anzeige wegen Verdachts auf einen Verstoß gegen das Verbotsgesetz verdeckt werden. Dass die Arbeit eigentlich das Abschleifen des Plakats bis zu seiner Unkenntlichkeit war, wurde plötzlich zur Nebensache – die aber am Eröffnungstag schon wieder passieren durfte. Das macht deutlich, dass solche simplen Gesten der Komplexität von Politik und ihrer gesellschaftlichen Verankerung nicht gerecht werden – und dem Populismus womöglich nichts entgegensetzen können.
Ebenso kommt der Liederabend „Out of Tune“, bei dem „Lieblingslieder berüchtigter Diktatoren und autoritärer Politiker“ präsentiert wurden, seinem begeisternden Anspruch nicht unbedingt nach und hinterlässt eher den Beigeschmack von Verharmlosung, wenn das Publikum über den simplen Geschmack politischer Figuren schmunzeln darf. Lediglich Trump und Netanjahu erinnern als einzige Zeitgenossen im Programm daran, dass ein solcher Abend angesichts starker Nationalismen über ein kleines Schaudern hinausgehen dürfte.
PARALLELEN FINDEN
La Fleurs Eröffnungsperformance „The Phantom of the Operetta“ (2024) auf Grundlage der Lebensgeschichte von Emmerich Kálmán bemüht sich, die Popularisierung von Volkstänzen in der Operette mit der Verbreitung afro-urbaner Tanzstile über TikTok-Trends zu verbinden.
Die Parallelen des Erfolgs der sehr unterschiedlichen Musik- und Tanzstile sind gut aufgearbeitet. Diese didaktische Note überdeckt leider einen für die heutige Debatte um Migration wichtigen Gedanken aus einem Brief Kálmáns: Dass es nicht leicht sei als Fremder ohne Sprachkenntnisse in einem neuen Land - und er es deshalb nie zum ihm in Österreich angedichteten Erfolg gebracht hätte. Wie auch in den anderen Performances versteckt sich die Anregung zum Umdenken gut.
Gleich einem Kult trug ein Chor in Chiara Iannis Prozession zu Zeilen wie „It was a world divided into pieces / Ready to circulate“ Theaterrequisiten aus dem Mausoleum Kaiser Ferdinands II. in den Stadtpark. Die fiktive Natur aus Pappmaché-Blumen und -Wolken wird wieder der realen Natur zugeführt und ein Kreislauf der Materialien propagiert. Die Arbeit der ersten Werner-Fenz-Stipendiatin für Kunst im öffentlichen Raum trägt eine klare politische Botschaft.
Bei einem Video von Ieva Epnere, eine der zahlreichen Auftragsarbeiten der zentralen Schau in der Neuen Galerie, steht wiederum ein Chor im Mittelpunkt. Vor ikonischen Grazer Hintergründen wie der Schloßbergtreppe oder im Palais Attems singt ein lettischer Chor aus Graz. Gespickt mit solchen Konstellationen, zeigen auch die Texte in der Ausstellung „Horror Patriae“, dass Heimat und Herkunft oft mit Ortswechseln oder Veränderungen der Grenzen einhergehen.
Überhaupt liegt die Stärke des kuratorischen Teams des steirischen herbst darin, wie sie die Sammlung des Joanneum und Auftragsarbeiten des steirischen herbst zu einer ‘lesbaren’ Einheit kombinieren, die zumindest zweideutige Heimatgefühle evoziert.
Dies wird im Eingangsraum deutlich: Michèle Pagels „White Trash Bags“ (2023) lassen den Betonabguss des titelgebenden Müllsacks aus einer Lederhose bzw. einem Korsett herausplatzen und stehen so als verbindendes Element zwischen Fotografien steirischer Tracht und einem Putto mit Schlange von Gustinus. Oder wenn Piotr Urbaniecs humoristisches Video über die Alpenidylle einem Gemälde von Josef Feid mit Anastasius Grün als Wanderer auf dem Loser gegenübersteht.
ENTLARVENDE KNOLLEN
Weniger idyllisch geht es bei Jakub Jansa in einer Gesellschaft voller Gemüsecharaktere zu, wenn ein Sellerie als Detektiv Fake-Traditionen nachspürt und damit auf die Erfindung von Geschichte durch aktuelle Nationalismen verweist – was ein absurdes Identifikationspotenzial mit dieser Kritik durch verbissene Anti-Vegetarier nach sich ziehen könnte.
Dieser schrägen Film-noir-Stimmung steht mit Madison Bycrofts “The Sauce of All Order (Ius Cenae)” (2024) eine großartige, campe Version antiker Auguren gegenüber. Der 33-minütigen Film ist definiert durch ausgedachte Rituale mit intensiven Farben und ständigen Referenzen auf Popsongs. Im Stil von "Everybody" der Backstreet Boys singen sie “Was it natural death? – Yeaaaaahh“. Das Unauthentische wird durch Fake-Körperteile überhöht – und wenn die "Sauce of All Order" dann endlich zur Einführung eines neuen Auguren serviert wird, kommt sie allen wieder hoch und sie sterben an der Tradition.
„Diese Ausgabe des steirischen herbst [sei] eine einzige gigantische Performance nationaler Identitäten“, denn, so in der Eröffnungsrede von Degot, „wenn man entdeckt, dass etwas künstlich ist, wird es komisch.“
Dass nicht alle präsentierten Heimatgefühle durch Künstlichkeit und Humor definiert sind und die Ausstellung damit ihrem politischen Anspruch entheben würden, beruhigt trotz der genial-absurden Videoarbeiten:
Zwischen der Ästhetik einer Informationsgrafik und einem politischen Statement entsteht in Helene Thümmels „Kritik und Kontrolle“ (2024) eine gespannte Erwartung. Die topografische Karte Österreichs ist bestückt mit Stecknadeln, die politische Schlagworte aufspießen. Die Nähe zu Schaubildern aus dem Geografieunterricht drängt auf eine eindeutige Aussage, die sich jedoch zwischen zahllosen Wahlkampf-Zeitungsschnipseln zu Europafragen, Lokalem, Absurdem, aber auch Anhäufungen zu Palästina und der Ukraine verliert.
Letztere - und dabei insbesondere das Schicksal der Stadt Charkiw, die regelmäßig bombardiert wird - steht im Mittelpunkt des parodistischen Tourismusfilms „The Place to See Before You Die“ (2024) von Alina Kleytman. Wenn uns Besucher:innen ein Luxushotelzimmer dort angeboten wird, ist es zwar eine einfache Pointe, dennoch sehnt man sich nach noch mehr solchen Momenten – wo einem die Heimat im Hals stecken bleibt.