Was macht die Artissima anders?
Die 31. Edition der Artissima Internazionale d’Arte Contemporanea di Torino eröffnete in der Hauptstadt der Region Piemont am vergangenen Mittwoch bei strahlendem sommerlich warmen Wetter. Doch nicht nur das Wetter war erfreulich. Einmal mehr erwies sich die Messe als Besuchermagnet. Für den künstlerischen Direktor der Artissima, Luigi Fassi, ist es bereits das dritte Jahr. Es ist ihm gelungen die Messe noch weiter zu entwickeln, an der Schnittstelle zwischen Institution und Kunstmesse und damit einmal mehr die besondere Position der Artissima zu dokumentieren.
189 Galerien stellten im Oval Lingotto aus und damit um fünf Prozent mehr als im Vorjahr. „Wir sind stets auf der Suche nach neuen interessanten Galerien“, betont Luigi Fassi im Interview. Dafür wird über das Jahr intensive Recherche betrieben, wie er betont, auch hinsichtlich eines Sammlerpublikums. Offenheit und Transparenz sind hierfür eine notwendig Basis:
„Wir sind mit den teilnehmenden Galerien in einem engen Austausch“, wie er betont, „wir tauschen Namen von Sammler:innen aus, damit die Galerien auch sicher sein können, dass auch jene internationale Sammler:innen nach Turin kommen, die sie hier treffen wollen und die Möglichkeit erhalten auch neue Sammler:innen zu treffen. Gerade hier liegt auch ein Großteil unserer Bemühungen. Ebenso ist klar, dass, wenn es um die Zukunft der Messe geht, wir uns auch um eine junge Generation an Künstler:innen und Galerien bemühen müssen.“
Insgesamt verzeichnete die Messe dieses Jahr neben der Sektion „New Entries“ auch in der Main Section eine Reihe von neuen Galerien aus Ländern wie Argentinien, Brasilien, Litauen, Slowenien oder Simbabwe – insgesamt waren 37 Galerien das erste Mal in Turin. Auch wenn man den Eindruck gewann, die italienischen Galerien wären präsenter als in den letzten Jahren, war der Reigen der Galerien durchwegs international. Vertreten waren traditionellerweise auch viele Galerien aus Deutschland und Österreich. „Wir haben seit vielen Jahren eine besondere Verbindung zu Wien“, so Fassi, „so kommen auch viele Sammler:innen aus Österreich.“ Einige Galerien aber, wie Wonnerth Dejaco, Crone, Hubert Winter oder Georg Kargl fehlten dieses Jahr, doch waren mit Layr, Martin Janda, Krinzinger, Silvia Steinek, Krobath, Petra Seiser, VIN VIN, EXILE, Felix Gaudlitz und Gregor Podnar zehn Aussteller auch von Österreich nach Turin gereist.
Österreichische Präsenz in Turin
Seit vielen Jahren ist Krinzinger aus Wien mit dabei. Neben neuen Bildern von Jonathan Messe, einer großformatigen Zeichnung von Monica Bonvicini, fiel auch die, an der Außenwand des Standes platzierte Leinwand „Untitled“ von Secundino Hernández auf, von 2020, sowie neue, farbige Arbeiten von Andreas Werner, die mit ihrem Titel „Everywhere An Unending Dream… Serendipity”, gleichsam das Hauptmotto der diesjährigen Messe „The Era of Daydreaming“ aufnahmen. Entstanden oder inspiriert wurden sie durch den, von der Galerie ermöglichten Artist-in-Residence-Aufenthalt des Künstlers diesen Sommer in Sri Lanka.
Einen schönen Stand hatte auch Galerie Krobath, die mit Sophia Süßmilch, Elisa Alberti und Esther Stocker drei Künstlerinnen gekonnt nahezu als Soloausstellungen präsentierte. Von Stocker und Alberti waren zudem jeweils auch Objekte zu sehen, die zeigten, wir sehr hier der Dialog von der Malerei zu Skulptur und vice versa vorhanden ist. Bei Sophia Süßmilch setzte Krobath den Fokus auf ihre Malerei, mit der sie auch aktuell in der Münchner Ausstellung „Eccentric“ in der Pinakothek der Moderne präsent ist.
Unter den österreichischen Galerien ist noch hervorzuheben Silvia Steinek mit einer Dialogausstellung von Clemens Wolf und Soli Kiani, die Steinek bereits auf mehren Messen zeigte. Beide Œuvres überzeugen, als Dialog jedoch ist es nicht immer stimmig, die knalligen Farben den brisant-politischen und eher subtil leise daherkommenden Werken Kianis gegenüberzustellen. Doch überraschte Clemens Wolf mit seinen neuen Papierarbeiten, die auf alten Archivmaterialen basieren, welche er wieder neu interpretiert hat. Fein und gelungen. Zu erwähnen ist auch Michael Höpfner. Seine eindrücklichen Fotoarbeiten sind bei Michela Rizzo aus Venedig in einer Dialogausstellung mit Matthew Attard, der den diesjährigen Pavillon von Malta auf der Venedig-Biennale bespielte.
Galerie Martin Janda präsentierte auf seinem Stand ein gut zusammengestelltes Portfolio, unter anderem mit neuen Werken von Erwin Bohatsch und Svenja Deininger, die frisch aus ihrem Atelier in Mailand kamen, Arbeiten Hugo Canoilas, Malerei von Rainer Spangl, einem zweiteiligen Objekt von Werner Feiersinger, sehr schöne Papierarbeiten von Roman Ondak, eine kleine Mix-Media-Arbeit von Nilbar Güres oder eine poetische Installation von Tania Pérez Córdova.
Vincenzo Della Corte (VIN VIN Galerie) präsentierte mit Giuseppe Francalanza einen jungen, aus Sizilien stammenden und in Wien lebenden Maler (*2000) mit eindrücklichen Werken an der Schnittstelle zwischen reiner Farbmaterie, Abstraktion und naturalistischer Assoziation. „Die Leinwand ist ein Theater unendlicher Möglichkeiten“, so die Beschreibung von Giulia Zampa anlässlich seiner Ausstellung 2022 in der Wiener Galerie.
EXILE zeigt eine spannende konzeptuelle Zusammenstellung mit Werken von Brishty Alam, die er neu ins Galerieprogramm aufgenommen hat, und den in Erfurt lebenden Künstler Erik Niedling. Ein gelungener Dialog über Fragilität, Materialiät und Transformation.
New Entries
Petra Seiser aus Schörfling am Attersee ist erstmals in Turin und in der Sektion New Entries vertreten. Anstelle einer Ausstellung lädt die Galeristin mit dem konzeptuellen Projekt „We make the Rules as we go Along“ von Isabella Kohlhuber zur Interaktion ein. Ebenso in den New Entries war, neben einer Reihe von englischen Galerien, auch Anton Janizewski aus Berlin, der den jungen, soeben an der UDK fertig gewordenen Künstler Ferdinand Dölberg zeigte und Lohaus Sominsky aus München, eine Galerie, die seit ihrer Eröffnung schon über Bayern hinaus erfolgreich auf sich aufmerksam machte. Sie brachten Ilit Azoulay, Magdalena Jetelova und Jürgen Staack nach Turin. Die Sektion unterstützt die Galerien mit niedrigen Preisen und das, so erklärt Luigi Fassi, auch über diese erste Teilnahme hinaus. Sie können, so Fassi, im nächsten Jahr für die Main Section einreichen und erhalten für drei Jahre die gleichen Konditionen. „Das ist eine wichtige Strategie, um die jungen Galerien weiterhin für die Artissima zu gewinnen und eine weitere Messeteilnahme für sie finanziell überhaupt möglich zu machen.“
Artissima – eine Antwort auf den aktuellen Kunstmarkt?
Was macht die Artissima anders, wollte ich von Luigi Fassi wissen. „Wir sehen unsere Rolle darin, einerseits das Mittelsegment zu stärken, ganz konkret Sammler:innen aus der Bürgerschicht anzusprechen und einen engen Austausch mit Kurator:innen und Galerien herzustellen“, erklärt Fassi. „Viele Galerien bitten uns um den Kontakt zu Institutionen und Museen, weil sie für ihre Künstler:innen Ausstellungen und Visibilität brauchen. Wir versuchen, auf der Artissima die bestmöglichste Ausgangssituation dafür herzustellen – sowohl um Business zu machen als auch Kurator:innen, Direktor:innen aus Museen zu treffen. Am Ende des Tages wollen die Galerien natürlich verkaufen, aber auch Vernetzung ist wichtig und ich sehe die Spezialisierung der Artissima genau an dieser Schnittstelle. Die 189 Galerien aus 34 Ländern, die dieses Jahr an der Artissima teilnahmen, darunter Debütanten sowie wiederkehrende Partizipanten, zeugen von der Anziehungskraft der Messe und ihrem Status als Knotenpunkt von Beziehungen, Projekten und Investitionen, der von Turin ausstrahlt“, ist Fassi überzeugt.
Und um die Kurator:innen und Museumdirektor:innen auch für die Messe zu begeistern werden sie als Juroren für die 11 Preise ebenso eingeladen, darunter ein neuer Preis mit der französischen Brand Orlane, sowie Auszeichnungen für die Spezial-Sektionen und für die Aquisitions. Ebenso gibt es spezielle Programme wo Sammler:innen mit Kurator:innen durch die Messe gehen und in einen Diskurs treten, zum Beispiel „Walkie Talkie“ oder „Artissima Voice Over“ – dieses ist ebenfalls eigens kuratiert und zeigt als eine Art-Archiv Texte und Videos, welche eine persönliche Auswahl an Künstler:innen über das Jahr zugänglich machen. Ein weiterer Baustein ist die enge Zusammenarbeit mit den Turiner Institutionen.
„So entwickeln wir die Messe kontinuierlich weiter, hinsichtlich Marktstärke aber auch hinsichtlich einer Verstärkung der institutionellen Identität der Messe. Wir arbeiten für spezielle Aufträge auch direkt mit Künstler:innen zusammen und eben mit den Institutionen. Viele der Direktoren der Turiner Museen und Sammlungen waren früher ebenfalls Leiter der Artissima. Wir sind fast alle dieselbe Generation und verstehen uns intuitiv. Die Institutionen brauchen die Artissima, um ein internationales Publikum zu bekommen, und ich brauche während der Messe Top-Ausstellungen in der Stadt. Wir denken gerade darüber nach, einen Verein zu gründen, um noch besser kooperieren zu können. Natürlich sind wir weder eine Kunsthalle noch eine Stiftung, noch ein Museum. Wir haben eine andere Rolle, aber unsere Rolle ist breiter gefasst und hat das Ziel, auch ein breiteres Publikum anzusprechen. Wir sehen die Artissma als eine Kulturinstitution, die eine präzise Vision verfolgt: den gesellschaftlichen Wert zeitgenössischer Kunst durch Fachwissen und Verantwortung zu verbreiten“, erklärt Fassi das Konzept der Messe.
Ankäufe der Institutionen werden über einen Ankaufs-Fond der Museen getätigt, mit der Fondazione Merz ein Artist-in-Residence-Programm entwickelt und seit 2023 ein:e Künstler:in der Messe ausgewählt wird, der oder die ein digitales Werk an der Pista 500 der Agnelli Fondation realisieren kann.
Ist das die Möglichkeit, im Kunstmarkt zu reüssieren?
Davon ist Luigi Fassi überzeugt, ebenso von der Preisrange der Werke, die Hochpreisiges wie einen Guiseppe Penone bei Tucci Russo um € 480.000,- und einen Steinkreis von Richard Long um € 200.000,- ebenso umfasst, wie Papierarbeiten um € 1.200, etwa von Alina Koptysia bei Francesco Pantaleone aus Palermo. Gerade die Arte Povera war auf der Messe gefragt und die Artissima meldete zahlreiche Verkäufe zwischen 150.000 und 50.000 Euro in diesem Bereich. Nicht zuletzt wohl auch aufgrund der aktuellen Ausstellung in der Pariser Bourse de Commerce, so Fassi. Traditionellerweise ist das High-Prize-Segment auf der Messe nicht zu finden, ebenso wenig wie die Big Players der Szene. Ebenso eine fortlaufende Diskussion ist die Reduktion der Mehrwertsteuer, angesichts der Nachbarländer Schweiz und Frankreich.
„Das wäre ein veritabler und wichtiger transformativer Effekt für die italienischen Galerien”, ist auch Fassi überzeugt. Obwohl Italien über eine beträchtliche Anzahl privater Stiftungen und anderer philanthropischer Organisationen zur Unterstützung zeitgenössischer Kunst verfügt – insbesondere im reichen, industrialisierten Norden – behindern hohe Umsatzsteuern und strenge Gesetze zur Regulierung des Handels mit Kulturgütern diesen Handel weiterhin. Laut veröffentlichten Daten ist Frankreichs Anteil am globalen Kunstmarkt etwa sechsmal größer, wie Kabir Jhala von The Art Newspaper berichtet. Die Entscheidung könnte bis Ende des Jahres fallen: „Wir warten und hoffen”, so Fassi.