So ungewöhnlich ist die Skulptur der Gegenwart

Wie steht es um den Skulpturenbegriff in der aktuellsten Diskussion? Wie relevant sind die Fragestellungen Medardo Rossos heute? Ausgehend von der mumok Ausstellung „Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur“ haben wir uns mit dem Œuvre des Künstlers beschäftigt (hier geht's zum Artikel). Nun stellen wir Positionen vor, die den Diskurs weiterführen.
MICHAŁ BUDNY
Michał Budny, 1976 im polnischen Leszno geboren, lebt und arbeitet aktuell in Warschau und Prag. Der Künstler interessiert sich für die Beschaffenheit von Räumen, ihr Volumen und das Aufeinandertreffen verschiedener Materialien. Seine rhythmischen Zeichnungen und fragilen Skulpturen sind oft ortsspezifisch und er versteht es, mit klarem Minimalismus beträchtliche Atmosphäre entstehen zu lassen. Interessant ist stets die Wahl des Materials, das sehr einfach und beweglich ausfallen kann, wie Gummi oder Karton, aber auch hin zum raumdefinierenden Stahl führt.
OLGA BALEMA
Eine Künstlerin, die mit ihrem Balanceart zwischen Simplizität und Komplexität nachhaltig auffällt, ist Olga Balema (*1984, Lviv, Ukraine). Aktuelle Arbeiten wurden diesen Sommer im Lismore Castle in Irland ausgestellt, außerdem ist Balema Teil von »Köln Skulptur #11«, einem biennal wechselnden Skulpturenpark mitten in Köln. Olga Balema experimentiert mit der Wahrnehmung von Formen, ihren Rändern und Begrenzungen sowie materialimmanenten Eigenschaften. Ein Spiel ist die Beschäftigung mit durchsichtigem Polycarbonat, das die Künstlerin in geometrischen Formen fasst. Sie formt Raum im Raum und bezieht natürliche Lichtquellen und Reflexionen geschickt mit ein. Croy Nielsen zeigte Werke Olga Balemas gemeinsam mit Arbeiten von Birke Gorm, Tomas Leth und Ernst Yohji Jaeger im Oktober auf der Frieze London 2024.
LIESL RAFF
1979 in Stuttgart geboren, lebt Liesl Raff seit geraumer Zeit in Wien, wo sie unter anderem 2023 im fjk3 – Raum für zeitgenössische Kunst eindrücklich ausstellte. Raff hat einen unverkennbaren Stil in der Skulptur entwickelt, der von Materialoffenheit geprägt ist. Das formveränderliche Wesen von Latex ist hier ein wesentlicher Akteur, der wiederholt in neuen Formen bearbeitet wird. Ihre handgegossenen Latexvorhänge in Violetttönen eröffnen aktuell eine neue Dimension in Süd-Korea, wo Liesl Raff Österreich auf der 15. Gwangju Biennale vertritt. Auch in Frankreich wird Liesl Raff gerade im Rahmen der Lyon Biennale prominent international gezeigt, hier ist eine monumentale, 14 Meter lange Wandinstallation aus Latex zu sehen.
CHRISTOPH WEBER
Christoph Weber befragt nicht nur die physikalischen Grenzen von Material, sondern auch seine immanenten gesellschaftlichen Herausforderungen. Gerade war Weber, der 1974 in Wien geboren wurde und ebenda lebt und arbeitet, mit dem Projekt »Reverse Imagining Vienna« auch Teil der Klima Biennale Wien. Stilistisch nutzt Weber Brüche, Konfrontationen und Widerstände und liefert auf Fragen um das globale Klima ästhetisch präzise Antworten mit inhaltlichem Unterbau. Damit hat er es bereits in namhafte Sammlungen wie jene des Centre Pompidou in Paris geschafft. Im Frühjahr 2025 sind seine Arbeiten im Österreichischen Kulturforum in New York ausgestellt, im April folgt eine Soloschau im französischen Poncé-sur-le-Loir. Auch dieses Jahr gibt es noch etwas zu sehen, ab 25. September ist Weber Teil einer Gruppenschau im Wien Museum – musa.
BIANCA PHOS
Den Spätsommer 2024 verbrachte Bianca Phos in Litauen, im Residency Programm der NIDA Art Colony. Nun im Herbst wird sie, zurück in Wien, wo sie lebt und arbeitet, im Kunstraum SUPER ausstellen (25. Oktober bis 8. November). Anfang 2025 folgt dann die erste Einzelausstellung in ihrer Wiener Galerie Zeller van Almsick. Es ist viel los, und das zu recht – Phos trifft mit ihren poetischen Objekten und mehrstufigen, medienübergreifenden Arbeiten mitten in zahlreiche aktuelle Diskurse, denn sie reflektiert Körperlichkeit in all ihren Facetten. Trauma und Verletzung sind wichtige Themen für die Künstlerin, die auch dem Medium Zeichnung wesentliche Aufmerksamkeit schenkt. Zuletzt zeigte die Absolventin der Akademie der bildenden Künste Wien (Textuelle Bildhauerei, Klasse Heimo Zobernig) ihre Fähigkeit, fragile Erfahrungen in einen ansprechenden räumlichen Rhythmus zu übersetzen, in der von Bettina Busse & Contemporary Matters kuratierten Ausstellung »out of sight, seen« im Tresor des Bank Austria Kunstforum.
LENA HENKE
Seit ihrem Studium an der Glasgow School of Art und an der Städelschule in Frankfurt am Main gelingt es Lena Henke (*1982), mit ihrem vielfältigen bildhauerischen Werk wesentliche Statements zu setzen. Henke fordert Stereotype, gängige Machtstrukturen und problematische Geschlechterverständnisse heraus und tut dies mit innovativen, die Grenzen der Medien überschreitenden Einzelobjekten ebenso wie raumgreifenden Installationen. Dabei hat sie eine sehr eigene Formensprache entwickelt, die mit Fetischen kokettiert und Ironie klug einsetzt. Aktuell sind Arbeiten unter anderem in Aspen und Stockholm zu sehen. In Österreich steht im Skulpturenpark Lichtenfels Sculpture eine ganzjährig offene Installation Henkes: »Las Pozas« von 2017. Es handelt sich um große Aluminiumskulpturen, die der Betrachtende nur mittels Spiegel ganz erfassen und entschlüsseln kann. Mit Gesten wie dieser versucht Henke, klassenbasierte und zu Unrecht genormte Wahrnehmungen aufzubrechen und umzuleiten – auch jene der Bildhauerei an sich. Ab 20. September ist eine neue Produktion Lena Henkes im Rahmen der Schau »Light Sound Senses« in der Heidi Horten Collection in Wien zu sehen.
Dieser Text wurde gekürzt. Weiter lesen Sie in der Ausgabe 03/2024 .