Reif für die Zukunft: Die Artissima demonstiert, wie Kooperationen funktionieren

Artissima 2025, © Perottino-Piva-Castellano-Peirone / Artissima

Heutzutage ist es nahezu unmöglich, eine internationale Kunstmesse zu finden, der ein derart positives Image vorauseilt. Auch die 32. Ausgabe der Artissima in Turin wurde von Sammler:innen und Kunstexpert:innen überwiegend mit Zustimmung aufgenommen. Kaum eine andere Messe verbindet konzeptuelle Vielfalt, institutionelle Kooperationen und künstlerische Experimentierfreude so selbstverständlich miteinander.


 

Bis heute hat noch keine Kuratorin, kein Kurator ein Angebot zur Zusammenarbeit mit der Artissima abgelehnt.

Das erzählt Messechef Luigi Fassi im Gespräch mit PARNASS. Unter seiner Leitung – die heurige Ausgabe war seine vierte als Direktor – hat sich die Zahl der beteiligten Kurator:innen auf eine Gesamtzahl von rund 200 erhöht – ein eindrucksvolles Zeichen für das Renommee der Messe. Diese internationale (Kurator:innen-)Gemeinschaft betreut Sektionen wie Disegni (Zeichnungen), Back to the Future, Present Future oder New Entries, entscheidet über Kunstpreise und über die Teilnahme der Galerien. Sie prägt den kuratorischen Charakter der Artissima ebenso wie das dichte Netzwerk an Kooperationen mit Turins Institutionen.

Artissima 2025, © Perottino-Piva-Castellano-Peirone / Artissima

Artissima 2025, © Perottino-Piva-Castellano-Peirone / Artissima

Doch mit der Wertschätzung durch Kurator:innen allein lassen sich keine Messestände bezahlen. Hier kommen die in Turin ansässigen Museen und Stiftungen ins Spiel. „Wir sind mit ihnen erwachsen geworden – damals war Turin im Aufbruch!“, betont Fassi und verweist auf die enge historische Verbindung zwischen Messe und Stadt. Bedeutende Institutionen wie das Castello di Rivoli, die GAM (Galleria Civica d’Arte Moderna e Contemporanea) oder die Fondazione Merz entwickelten ihre heutigen Organisationsformen und Ausstellungsflächen vor etwas mehr als drei Jahrzehnten. „Die Fondazione Sandretto Re Rebaudengo hat dieser Tage ihr 30-jähriges Jubiläum gefeiert“, erinnert Fassi. „Und Patrizia Sandretto Re Rebaudengo ist mit ihrer Energie und Entdeckerlust ein wesentlicher wie prägender Faktor – nicht nur im Kulturleben der Stadt, sondern auch für die Artissima!“

Institutionen wie die GAM oder Rivoli investierten jeweils rund 150.000 Euro, andere Institutionen noch deutlich mehr – bis zu 360.000 Euro, wie Fassi bestätigt. Beachtliche Summen, die zeigen, wie stark die Messe in der Stadt verankert ist. „Öffentliche Institutionen wie private Foundations tätigen hier nach wie vor signifikante Ankäufe für ihre Kollektionen. Wohingegen – davor dürfen wir unsere Augen selbstverständlich nicht verschließen – die Ankäufe privater, kleinerer Sammler:innen merklich zurückgegangen sind“, erklärt der Kurator und studierte Philosoph. Damit verweist er auf die spürbaren Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrisen auf das Messegeschehen.

Gerade deshalb erklärte Fassi die diesjährige Ausgabe zu einem Testfall: „Die heurige Ausgabe war auch ein Test, wie sich die Reduktion der Mehrwertsteuer auf Kunst auf das Kaufverhalten der Mittelschicht, ergo der kleineren Sammler:innen, auswirken würde.“ Als bedeutendste und größte Kunstmesse Italiens war die Artissima die erste Veranstaltung, an der sich die neue Steuerpolitik – die Senkung der Steuer erfolgte im Juli 2025 von 22 auf fünf Prozent – deutlich bemerkbar machen sollte. Der neue Steuersatz zählt nun zu den niedrigsten in Europa.

Vom Preissegment her kommt dieses Modell der Kunstmesse den Sammler:innen entgegen. Fassi betont:

Die Artissima ist eine Kunstmesse für den Mittelstand. Wir halten Galerien an, leistbare Kunst zu zeigen und junge Positionen in den Vordergrund zu stellen.

Dieser Ansatz zeigte sich auch beim Rundgang: Immer mehr Aussteller:innen setzen auf Einzelpräsentationen – heuer waren es 70 von insgesamt 162 nationalen und internationalen Galerien. Ähnlich wie beim Konzept der Wiener Spark riskieren Galerist:innen damit zwar eine Verdichtung der Verantwortung, gewinnen aber an Sichtbarkeit und konzeptioneller Klarheit. Für Künstler:innen bedeutet das die Chance, mit Solopräsentationen gezielt Aufmerksamkeit zu erlangen.

Artissima 2025, © Perottino-Piva-Castellano-Peirone / Artissima

Artissima 2025, © Perottino-Piva-Castellano-Peirone / Artissima

Ein Beispiel lieferte max goelitz mit der Präsentation der 1991 in Seoul geborenen Künstlerin Ju Young Kim (die auch in unserer Special-Ausgabe Up&Coming 2025 vertreten ist): eine kühl reduzierte, zugleich fesselnde Installation, die Migration und das Unterwegssein thematisierte – mit Fotografien auf Glas in Form von Flugzeugfenstern, einer Skulptur einer Flugzeugtür mit Jugendstilornamenten und Sitzgelegenheiten wie in einer Transitzone. Eine Lesung des Autors Guilherme Vilhena Martins, übertragen über (Bord-)Lautsprecher, verstärkte die Wirkung (Preise zwischen 3.600 und 11.000 Euro).

Auch Doris Ghetta (Ortisei/Mailand) sorgte mit der venezolanischen Künstlerin Lucia Pizzani für Aufsehen. Die 50-jährige Tochter eines Künstlerpaars, die ursprünglich Biologie und Chemie studierte, arbeitet in unterschiedlichen Medien – Skulptur, Malerei, Tapisserie – und setzt sich intensiv mit der (Kunst-)Geschichte ihres Landes auseinander. Die Preise reichten von 8.000 bis 15.000 Euro für Gemälde und von 1.000 bis 3.000 Euro für Skulpturen.

max goelitz mit Ju Young Kim auf der Artissima 2025, Foto: Sebastiano Luciano

max goelitz mit Ju Young Kim auf der Artissima 2025, Foto: Sebastiano Luciano

Emanuel Layr zeigte mit einer Solopräsentation von Stano Filko eine vorgezogene „Preview“ auf die kommende Retrospektive des 2015 verstorbenen slowakischen Künstlers. „Eine von Boris Ondreička und Jürgen Tabor kuratierte Ausstellung, die an sich für das mumok konzipiert gewesen ist“, erklärt Layr. „Aber das Museum hat aus unerfindlichen Gründen einen Rückzieher gemacht.“ Nun wird Museum-der-Moderne-Direktor Harald Krejci im März 2026 eine fertig konzipierte Ausstellung übernehmen – in Turin jedenfalls stieß Filkos Werk (Arbeiten von den 1950er Jahren bis zu seinem Tod, 4.000 bis 40.000 Euro) auf großes Interesse.

Auch der Wiener Galerist Gregor Podnar wagte mit dem Künstlerkollektiv IRWIN (Band Laibach!) in der Sektion Back to the Future eine kontroverse Solopräsentation, die für anhaltende Diskussionen sorgte. Die Preise reichten hier von 4.000 bis 80.000 Euro.

Stano Filko, AIDS Painting, ca. 1985, Acryl auf Leinwand, 91 x 91cm, Courtesy Layr, Vienna

Stano Filko, AIDS Painting, ca. 1985, Acryl auf Leinwand, 91 x 91cm, Courtesy Layr, Vienna

Ein besonderes Highlight bildete erneut die Sektion Disegni (Zeichnungen), zum zweiten Mal von Irina Zucca Alessandrelli kuratiert. Sie zeigte ausschließlich Solopräsentationen und bewies, dass Zeichnungen alles andere als ein „Einstiegsmedium“ sein sollten. „Das Papier ist die Grundlage“, sagt Zucca Alessandrelli. „Die verwendeten Papiere sind meist um so viel teurer und strukturell aufwendiger als jede Leinwand.“ Als international anerkannte Expertin – sie baute unter anderem die Collezione Ramo auf – freut sie sich, dass Messechef Fassi der Sektion heuer gleich beim Haupteingang Platz einräumte: „Die Besucher:innen sind unmittelbar hineingestolpert.“

Dort sorgten etwa Alessandro Pessoli (P420 Galerie Bologna, Arbeiten zwischen 3.500 und 6.000 Euro) und Karine Rougier (Les Filles du Calvaire, Paris, 2.500 bis 5.500 Euro) für Aufmerksamkeit. Alessandrelli fügt zum Autor aus Wien mit Bedauern hinzu: „Es ist so schade, was mit der Albertina passiert ist. Solch immense Schätze – und allesamt in den Keller verbannt!“

Die Artissima hat, wie Luigi Fassi es formuliert, „etwas in ihrer DNA“, das ihr eine besondere Stellung im internationalen Kunstmessebetrieb verleiht. Kaum eine Galerie verzichtet freiwillig auf eine Teilnahme, selbst wenn der Verkauf an private Mittelstandssammler:innen einmal – wie heuer – etwas hinter den Erwartungen bleibt. Dann springen teils Institutionen und Unternehmenssammlungen ein, und das große Kollektiv internationaler Kurator:innen eröffnet Künstler:innen motivierende Perspektiven – auf Kooperationen, Ausstellungen und zukünftige Projekte.

Artissima

31.10. – 02.11.2025 | Turin, Italien

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Artissima 2025, © Perottino-Piva-Castellano-Peirone / Artissima

Artissima 2025, © Perottino-Piva-Castellano-Peirone / Artissima

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