Ein aktueller Bericht lässt aufhorchen

Droht das Ende der Kunstfreiheit?

Foto: Google Gemini

Ein aktueller Bericht dokumentiert alarmierende Muster von Zensur, Verfolgung und Gewalt gegen Künstler:innen in über 30 Ländern. ͏Der neue Freemuse-Bericht „State of Artistic Freedom 2025“ zeigt schonungslos, wie sich Kunstfreiheit weltweit verschlechtert – nicht nur in autoritären Staaten, sondern auch in Demokratien. Und trotzdem: Kunst bleibt Widerstand. Ein anonymer afghanischer Musiker fasst in einem Satz zusammen, worum es im Report geht: Trotz wachsender Repression bleibt Kunst ein unverzichtbarer Stachel im Fleisch der Macht. Doch die Studie zeigt ebenso klar, wie gefährdet dieses Recht auf künstlerische Ausdrucksfreiheit 2024 war.


Kunstfreiheit ist kein Luxus, sondern ein Gradmesser demokratischer Gesundheit.

Paula Watzl


Globale Brennpunkte und harte Zahlen

Der Bericht dokumentiert Verstöße in über 90 Ländern und nennt drei Haupttreiber der Zensur: Kriege, restriktive Gesetze und soziale Feindbilder. Der Krieg in Gaza habe nicht nur „das kulturelle Leben vor Ort nahezu ausgelöscht“, sondern auch in westlichen Demokratien eine Welle von Absagen und Förderentzug ausgelöst, sobald Künstler:innen Israel kritisierten. Parallel setzt Russland seine Linie fort: Wer sich gegen den Krieg in der Ukraine stellt, riskiert Haftstrafen – der Fall des in Gefangenschaft gestorbenen Pianisten Pavel Kushner steht paradigmatisch dafür.

2024 war zudem ein „Superwahljahr“: In 77 Staaten – also für fast die Hälfte der Weltbevölkerung – fanden Abstimmungen statt. Statt demokratischer Aufbruchstimmung brachten viele Wahlen verschärfte Polizeigewalt; Künstler:innen wurden als prominente Proteststimmen verhaftet oder eingeschüchtert.

Sub-Sahara-Afrika verzeichnet eine neue Front: Social-Media-Satire. In Malawi, Tansania, Uganda und Angola wurden Musiker oder TikToker verurteilt, weil sie Präsidenten verspotteten. Allein der nigerianische Bundesstaat Kano war für 85 Prozent der landesweiten Verstöße verantwortlich – samt drohendem Todesurteil gegen den Sänger Yahaya Sharif-Aminu. Positiv hervorzuheben: Simbabwe erklärte Ende 2024 das „Beleidigungsstrafrecht“ für verfassungswidrig und folgte damit Sambia.

Im Nahen Osten bleiben Ägypten, Iran und Saudi-Arabien Hotspots. In Ägypten reichen kritische Karikaturen über Stromausfälle, um als „Terrorist“ in Untersuchungshaft zu verschwinden – wie beim Zeichner Ashraf Omar. Saudi-Arabien verurteilte den Karikaturisten Mohamed al-Hazzaa zu 23 Jahren Haft, weil seine Arbeiten in einer katarischen Zeitung erschienen waren.

Gleichzeitig öffnen sich erste Fenster: Nach dem Sturz von Bashar al-Assad wird in Syrien ein seit 1988 verbotener Satirefilm („Stars in Broad Daylight“) wieder gezeigt – ein symbolischer Moment, der zeigt, wie eng Kunst und politischer Wandel verbunden sind.

Lateinamerika kämpft zunehmend mit organisierter Kriminalität: Kolumbien meldet sechs ermordete Kunstschaffende, Mexiko und Haiti zahlreiche Erpressungen. In Kuba und Venezuela setzt man weiter auf willkürliche Festnahmen; der venezolanische Sänger Willy Álvarez kam nur unter Auflagen frei, nachdem sein Pro-Opposition-Song viral ging.

 

Gesetz als Zensur-Werkzeug

Ein roter Faden des Reports sind „Foreign-Agent“- und Anti-Propaganda-Gesetze nach russischem Vorbild. Sie stigmatisieren Kulturschaffende als „ausländische Spione“ und kappen Förderquellen – 2024 diskutierten Ungarn, Georgien und die Slowakei entsprechende Entwürfe . In Indonesien wiederum zwingt ein engmaschiges Kontrollsystem aus NGO-Regulierungen, Film- und Pornografiegesetzen selbst unabhängige Kulturinitiativen in die Selbstzensur; dort erfasste die NGO Koalisi Seni 110 Verstöße binnen zwei Jahren, zwei Drittel davon durch staatliche Stellen, am stärksten betroffen: die Musikbranche.

 

Wer besonders gefährdet ist

Der Report zeigt deutlich, wer zuerst zum Schweigen gebracht wird: Frauen, LGBTQ+-Künstler:innen und ethnische Minderheiten. Afghanische Frauen dürfen nicht mehr öffentlich singen; iranische Rapperinnen werden wegen vermeintlicher „Unsittlichkeit“ ausgepeitscht; in der Türkei wurden 2024 Kurdische Konzerte „in Serie“ abgesagt .

Neben offener Gewalt dokumentiert Freemuse die stille Kapitulation: Museen, Festivals und Galerien ziehen politisch brisante Werke zurück, um Förderkürzungen zu vermeiden. Künstler:innen verlagern Werke ins Private oder meiden Themen ganz. Der ghanaische Filmemacher Jean Pierre Bekolo bringt es auf den Punkt: „Self-censorship has taken over to the point that the system no longer has to exercise it.“

 

Doch Kunst bleibt Widerstand

Trotz alledem finden Künstler:innen Wege: geheime Lyrik-Zirkel afghanischer Frauen, iranische Underground-Filme, ein symbolisches „Begräbnis“ einer geschlossenen Galerie in der Slowakei oder über 200 europäische Theater, die in einem offenen Brief gegen Zensur Position bezogen.

Trotz wachsender Repression bleibt Kunst ein unverzichtbarer Stachel im Fleisch der Macht.

anonymer afghanischer Musiker

Was folgt daraus?

Der Freemuse-Bericht schließt mit klaren Empfehlungen:

  • Regierungen sollen Blasphemie- und Beleidigungsgesetze abschaffen.
  • Kulturinstitutionen müssen unabhängiger von politischer Einflussnahme werden.
  • Internationale Förderer sollen gezielt Künstler:innen in Hochrisikogebieten unterstützen.

Für uns als Kunstpublikum bedeutet das: Kunstfreiheit ist kein Luxus, sondern ein Gradmesser demokratischer Gesundheit. Wenn Künstler:innen verstummen, verstummt auch die gesellschaftliche Debatte. Der Bericht erinnert daran, wachsam zu bleiben – und jenen eine Bühne zu geben, die sie in ihren Heimatländern verloren haben.

 

KI-unterstützter Artikel von Paula Watzl

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