Die Zeit der Frauen

Jahrzehntelang wurden sie übersehen, jetzt tragen Museen, Sammler:innen und Auktionen dazu bei, dass Künstlerinnen der Moderne die längst überfällige Wertschätzung erfahren – mit spürbaren Auswirkungen auf die Preise.
Sonia Delaunay bemerkte einmal, dass ihre Kunst „40 Jahre zu früh“ erschienen sei. Auch heute noch hat die Zeit die Vision und das erstaunliche Schaffen der in der Ukraine geborenen französischen Künstlerin, das sich von der Jahrhundertwende bis in die 1970er-Jahre erstreckte, nicht eingeholt.
Sie ist nicht die Einzige. Seit Jahren wird die große Kluft zwischen dem Wert von Kunstwerken angeprangert, die von Frauen und Männern geschaffen wurden. Lange galten die Werke von Künstlerinnen als Randerscheinungen, als Beiwerk zur großen Kunstgeschichte. Inzwischen findet ein Umdenken statt und Museen und Institutionen weltweit, vom MoMA über die Tate Modern in London bis zur Nationalgalerie in Berlin, haben erkannt, wie groß die Lücken in ihren Sammlungen sind. In jüngster Zeit wurde daher viel weibliche Kunst angekauft und umfassend präsentiert, mit spürbaren Auswirkungen auf die Preise.
Ein gutes Beispiel ist die aktuelle Ausstellung „Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910– 1950“ (hier geht's zum Ausstellungsbericht) im Unteren Belvedere in Wien, die über 60 Künstlerinnen aus mehr als 20 Ländern vorstellt und deren Beitrag zur Moderne beleuchtet. Die Schau hinterfragt die bisherige, männlich dominierte Erzählung der Kunstgeschichte und rückt die Vielfalt und grenzüberschreitende Dimension der Moderne in den Fokus.
„Die Ausstellung ist ein gutes Beispiel dafür, wie spät viele Künstlerinnen überhaupt erst Aufmerksamkeit bekommen. Der Markt reagiert auf diese neue Sichtbarkeit. Viele Künstlerinnen, die jahrzehntelang übersehen wurden, erleben derzeit eine Wertsteigerung. Das liegt einerseits an der institutionellen Anerkennung, andererseits an einem Markt, der neue, bislang unterbewertete Positionen sucht“, sagt Joëlle Romba, Senior Specialist Modern and Contemporary Art, Dorotheum Berlin.

Lavinia Schulz, Walter Holdt, Maskenfigur Toboggan Frau um 1921, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Foto: Maria Thrun
Man kann generell sagen, die Frauen sind ins Zentrum des Interesses gerückt.
Gerade Künstlerinnen der Moderne profitieren von der aktuellen Entwicklung am Kunstmarkt. Während zeitgenössische Werke, insbesondere von hochpreisigen, männlichen Blue-Chip-Künstlern, unter Druck geraten, richtet sich der Blick von Sammler:innen und Institutionen vermehrt auf noch unterbewertete Künstlerinnen der Moderne. Zudem sorgen neue kuratorische Strategien für eine nachhaltige Neubewertung. Das sogenannte „Kontextualisieren“ – also die Verknüpfung bekannter künstlerischer Positionen mit bislang übersehenen – macht weibliche Perspektiven sichtbarer denn je. „Durch dieses Kontextualisieren werden wir sensibilisiert für weibliche Positionen“, so Romba.
Dieser Wandel im Umgang mit dem künstlerischen Erbe spiegelt sich unmittelbar in der Marktdynamik wider. Der Aufstieg von Künstlerinnen der Moderne zeigt sich besonders deutlich an einzelnen, inzwischen viel beachteten Positionen. Werke, die noch vor wenigen Jahren vergleichsweise günstig gehandelt wurden, haben am internationalen Auktionsmarkt stark zugelegt. Besonders die Vertreterinnen des Surrealismus erweisen sich als starke Performerinnen.
Ein Paradebeispiel: Leonor Fini. Die argentinisch-italienische Künstlerin galt lange als Randfigur der Bewegung, doch ihre eigenwilligen und sinnlichen Bildwelten finden zunehmend Anklang. Die Wende kam mit der großen Retrospektive in der Tate Modern 2019. „Leonor Fini hatte 2019 in der Tate Modern eine Ausstellung und seitdem sind die Preise enorm gestiegen“, so Romba. 2021 stieg das „Autoportrait au scorpion“ von 1938 bei Sotheby’s in New York auf 2,3 Millionen US-Dollar und damit das Dreifache des oberen Schätzwerts.

Leonor Fini, Erdgottheit, die den Schlaf eines Jünglings bewacht, 1946, Öl auf Leinwand, 27,9 x 41,3 cm, © Weinstein Gallery, San Francisco and Francis Naumann Gallery, New York / VG Bild- Kunst, Bonn 2019
Gerade im Surrealismus haben Künstlerinnen in den letzten Jahren männliche Kollegen teils überflügelt. So sind auch die Preise für Leonora Carrington oder Dorothea Tanning durch die Decke gegangen. Unterstützt hat ein genereller Aufschwung des Surrealismus, dessen 100-jähriges Jubiläum wir im Vorjahr feierten.
Eine interessante Erfolgsgeschichte erlebt auch die deutsche Grafikerin Käthe Kollwitz. Ihre sozialkritischen Werke galten lange als schwer vermittelbar, insbesondere im internationalen Markt. Doch auch hier sorgte eine institutionelle Würdigung für ein Umdenken. Nach einer umfassenden Ausstellung im MoMA im Jahr 2024 können ihre Blätter heute sechsstellige Preise erzielen. „Jetzt können ihre Arbeiten durchaus einmal 400.000 bis 500.000 Euro bringen“, so Romba.
Eine Sonderstellung nimmt laut Romba die russische Avantgarde-Künstlerin Natalja Sergejewna Gontscharowa ein. Sie sei bereits seit Jahren hochpreisig und genieße große internationale Anerkennung, jedoch erschwere ein notorisch dünnes Angebot an Werken, kombiniert mit einer Fälschungsproblematik den Markt für ihre Arbeiten. „Spannend ist außerdem die steigende Bedeutung von Textilkunst, etwa bei Klára Hosnedlová oder Felice Rix-Ueno, die bisher kaum am Markt präsent waren“, ergänzt die Expertin.

Leonora Carrington, Selbstbildnis in der Auberge du Cheval d'Aube, 1937/38, Öl auf Leinwand, The Metropolitan Museum of Art, New York © VG Bild-Kunst, Bonn 2019