Blumenstillleben der Gegenwart

die Welt braucht Blumen

Luzia Simons, Stockage 213, 2024, 100 × 130 cm, Scannogramm, Fine Art Print | © by the artist, Bildrecht Wien, 2024

Positionen wie Rachel Ruysch, die im 18. Jahrhundert lebte und wirkte, beweisen, wie prachtvoll und wirkungsstark das Sujet Blumenstillleben sein kann. Aber auch die Gegenwartskunst widmet sich diesem Genre. Die Beispiele sind zahlreich und reichen von Fotografien über zerlegte, getrocknete und gedruckte Blüten bis hin zu innovativen Technologien, die uns die Blume als allegorisches Symbol näherbringen. Diese Künstler:innen holen das Blumenstillleben ins Jetzt.


MICHAELA BRUCKMÜLLER

Michaela Bruckmüller inszeniert in ihren Fotoarbeiten Pflanzen vor einem mattschwarzen Hintergrund, der ihre Bilder in die Nähe der Malerei rückt und eine beeindruckende Tiefe erzeugt. Gekonnt lotet Bruckmüller das Spannungsfeld zwischen hyperrealistischer Fotoaufnahme und den Parametern der Malerei aus und „verlässt“ sich dabei, wie sie erklärt, auf eine einzige Lichtquelle, die sie wie einen „Pinsel“, nutzt, um die Pflanzen und ihre Details plastisch und in beeindruckender Präzision und Schärfe hervorzuheben. „Schwarz offenbart und fordert Präzision“, erklärt die Künstlerin in ihrer Einzelausstellung „Was die Nacht birgt“ in der Galerie Ruzicska, Salzburg. Gezeigt werden Arbeiten aus den Zyklen „Danse Macabre“ und „Sollst sanft in meinen Armen schlafen“, die sowohl die Schönheit als auch und die Endlichkeit der Blumen darstellen. Ergänzt wird die Schau durch die neue Werkgruppe „Grain“, die tote Insektenkörper von Faltern und Libellen eingebettet in Erde zeigt – eine ästhetische Reflexion über den Kreislauf des Lebens.

Schwarz offenbart und fordert Präzision in der Ausführung.

Michaela Bruckmüller
Michaela Bruckmüller, Tulipe, 2019, aus dem Werkzyklus Danse macabre, Fine Art Print,102 x 74 cm, © Michaela Bruckmüller/Bildrecht, Wien 2024, Courtesy Galerie Nikolaus Ruzicska

Michaela Bruckmüller, Tulipe, 2019, aus dem Werkzyklus Danse macabre, Fine Art Print,102 x 74 cm, © Michaela Bruckmüller/Bildrecht, Wien 2024, Courtesy Galerie Nikolaus Ruzicska


KRIŠTOF KINTERA

Die Blume wird zur Chiffre des aktuellen Zeitgeschehens – von den aktuellen Kriegen bis hin zur Frage nach den Auswirkungen des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts auf unsere Umwelt ist das Blumenstillleben ein Sinnbild zwischen Hoffnung und Dystopie. Krištof Kintera verbindet in seiner Serie „Electric Flowers“ Natur und Technik, um diesen Motiv nachzugehen. Die pflanzenähnlichen Formen werden durch Hochspannungsstrom erzeugt und konfrontieren die Betrachter:innen mit der Frage, wie weit es der Technologie gelingt, die Natur nachzuahmen oder ihre organischen Prozesse nachzuvollziehen – mit allen Vor- und Nachteilen.

Krištof Kintera, Electric Flower N. 84, Zeichnungen mit Hochspannungsgenerator, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024

Krištof Kintera, Electric Flower N. 84, Zeichnungen mit Hochspannungsgenerator, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024


Gabriele Schöne

Frauen – obwohl nicht immer auf der Leinwand präsent – stehen im Mittelpunkt von Gabriele Schönes Bilder. Die Künstlerin findet sie wieder in jenen Früchten, deren kämpferisches Naturell sie bis heute wachsen und gedeihen lässt, wie die Khaki, die Kornelkirsche oder die Avocado. Die Erzählung changiert zwischen Mythologie und einem weiblichen Blick auf die Zukunft. Geschichten – und Geschichte – neu zu schreiben und anders zu denken: Gabriele Schöne verwendet ihre Leinwand alsdunkle Theaterbühne, auf der sie bekannte Protagonistinnen in neue, aufregende Posen wirft und dann alle Scheinwerfer auf sie richtet.

Aus den hellen Hautfalten des Granatapfels quellen reife, rote Samenkörner hervor, lasziv züngeln die neon-grünen Tribe der pinken Drachenfrucht auf der Leinwand und ganz ungeniert lässt die Mispel tief blicken. In ihrer aktuellen Bildserie legt Gabriele Schöne einen Paradiesgarten an. Die ältesten Kulturpfalnezn der Welt inszeniert sie in farbgewaltiger Dynamik.

Dominique Gromes
Gabriele Schöne, Verführung, 2021, Öl auf Leinwand, 120 × 100 cm, Foto: Thomas Gorisek, Bildrecht Wien, 2024

Gabriele Schöne, Verführung, 2021, Öl auf Leinwand, 120 × 100 cm, Foto: Thomas Gorisek, Bildrecht Wien, 2024


AXEL HÜTTE

Axel Hüttes „Flower-Serie“ verdankt sich einem Zufall, der letztlich zum künstlerischen Prozess wurde. Der Künstler, der zwischen Düsseldorf und Berlin pendelt, machte es sich zur Gewohnheit, für seine Wohnung in Berlin Blumen einzukaufen – aus Dekorationsgründen. Doch verbringt er stets nur einige Tage in Berlin, die Blumen verwelken. Axel Hütte begann, die verwelkten und getrockneten Blumen zu fotografieren – und aus dem Zufall wurde ein künstlerischer Schaffensprozess, in dem er die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten auslotet. Charakteristisch für die bis heute fortlaufende Serie sind die für Hütte typische Lichtstimmung, die Strenge des Bildausschnitts und die konzeptuelle Bildkomposition. Es geht, so betont Hütte, um die Schönheit der Pflanzen per se, im frischen wie auch im getrockneten Zustand, und um die Frage der Wahrnehmung eines Gegenstandes an der Schnittstelle zwischen Realität und künstlerischem Transformationsprozess.

Aus dem Zufall wurde ein künstlerischer Schaffensprozess.

Axel Hütte
Axel Hütte, Flower, 2021, Metalldruck, 83 x 66 cm, Ed.: 4, © Axel Hütte/VG Bildkunst Bonn, 2024, Courtesy Galerie Nikolaus Ruzicska

Axel Hütte, Flower, 2021, Metalldruck, 83 x 66 cm, Ed.: 4, © Axel Hütte/VG Bildkunst Bonn, 2024, Courtesy Galerie Nikolaus Ruzicska


RAINER SPANGL

Rainer Spangls florale Bilder zeigen, ebenso wie seine Gesichtsfragmente, subjektiv gewählte Ausschnitte aus seinem privaten und öffentlichen Umfeld. Bei den Ansichten der Pflanzen handelt es sich konkret um drei Topfpflanzen, die wiederholt als Motive dienen: eine Winterrose, eine Bougainvillea und eine Pilea peperomioides mit ihren markanten runden grünen Blättern. Nicht die fotorealistische Darstellung oder Objektivierung des Bildsujets stehen dabei im Vordergrund seiner Ölmalerei, sondern eine von Intimität und Intensität geprägte Beobachtung der unmittelbaren Umgebung sowie die grundsätzliche Frage, was überhaupt ins Blickfeld des Betrachters rückt. Durch die oft bildfüllende Darstellung der Blüten und Blätter werden die Pflanzen nahezu zu einem abstrakten, sich akkumulierenden Formgefüge, das vor einem dunklen Hintergrund zu schweben scheint. Die stete Wiederholung der Motive und der Wechsel der Perspektive bieten ihm, so Spangl, die Möglichkeit, verschiedene Blickwinkel einzunehmen und darzustellen. Doch dokumentieren die Bilder vor allem auch sein großes Interesse an der Malerei per se.

Der Raum kann vieles vermitteln – Leere, ein Einblick in ein abgedunkeltes Zimmer – Nähe und Unendlichkeit.

Rainer Spangl
Rainer Spangl, Untitled, 2024, Öl auf Leinwand, 35 x 25 cm, Foto: kunst-dokumentation.com

Rainer Spangl, Untitled, 2024, Öl auf Leinwand, 35 x 25 cm, Foto: kunst-dokumentation.com


REGULA DETTWILER

Die in Wien lebende Schweizer Künstlerin Regula Dettwiler verweist in ihren Werkserien unmissverständlich darauf, dass die Natur seit Jahrhunderten der menschlichen Aneignung und Konstruktion ausgesetzt ist. Seit 1997 entsteht Dettwilers „Naturgeschichte der artifiziellen Welt“. Darin bezieht sie sich auf die Tradition naturkundlicher Pflanzendarstellungen und zeigt verschiedene Pflanzen mittels detailgenauer Aquarellmalerei. Wie in den naturwissenschaftlichen Darstellungen zeigt auch sie präzise die einzelnen Bestandteile der Pflanze und versieht sie mit Namen und Herkunftsort. Und hier wird die Täuschung offenkundig – denn Regula Dettwilers Pflanzen sind „Made in China, USA oder Taiwan“, aus Kunststoff hergestellt und „gesammelt“ in Shoppingmalls in Chicago, Paris, Montreal und Tokyo. Anstelle von exotischen Pflanzen bekommen nun die Plastikpflanzen einen „wissenschaftlichen“ Stellenwert und verweisen gleichzeitig auf den globalisierten Markt sowie auf die Möglichkeit, Natur durch eine Plastikkopie zu ersetzen, die stets frisch bleibt.

Regula Dettwiler, Naturgeschichte der artifiziellen Welt, Enzian made in China, 2024, Aquarell, 56 x 38 cm, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024,

Regula Dettwiler, Naturgeschichte der artifiziellen Welt, Enzian made in China, 2024, Aquarell, 56 x 38 cm, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024,


NORBERT PÜMPEL

Er hat Mathematik, Physik und Philosophie studiert. Als Künstler erarbeitet er konzeptuelle Bilder und Zeichnungen im Grenzbereich zur Wissenschaft und gibt philosophischen und naturwissenschaftlichen Fragen eine visuelle Form. Mit seinen aktuellen Landschafts- und Blumenbildern tritt nun die Zeichnung als Medium wieder stärker in den Vordergrund. Reduziert, mit gekonntem Strich spielt die Form der Blumen die Hauptrolle – zuweilen vor weißem, zuweilen vor mattschwarzem Hintergrund. Der neue Werkzyklus wurde ausgelöst durch den Beginn des Ukrainekriegs. Blumen, gemalt mit Asche und Kohle, oder hängende Blütenkelche mit Titeln wie „Last Flower“ geben eindrucksvoll die gegenwärtige Stimmungslage wieder. Doch sind sie auch ein Zeichen der Hoffnung. So sind die Papierarbeiten mit den Blumensujets ein ebenso skeptisches wie pragmatisches Spiegelbild der Zeit. Die Blumen werden zur Chiffre, zum Symbol, das Pümpel sowohl mit Ästhetik als auch mit Wahrhaftigkeit auflädt.

Es gab keine rationalen Entscheidungen Blumen zu malen, eher folgte ich einer Notwendigkeit, die sich aus dem Bild heraus ergab. Das Bild war die Welt und die Welt brauchte Blumen.

Norbert Pümpel
Norbert Pümpel, Ruins and Flowers, 07.09.2024 aus der 2. Palermo Serie, Kohle, Kreiden, Farbstifte und Asche auf grundiertem Papier, 37,5 x 35,5 cm, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024

Norbert Pümpel, Ruins and Flowers, 07.09.2024 aus der 2. Palermo Serie, Kohle, Kreiden, Farbstifte und Asche auf grundiertem Papier, 37,5 x 35,5 cm, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024


CLAUDIA LARCHER

Ihre Serie „Still Life 3000“ ist eine zeitgenössische Interpretation des Blumenstilllebens. Die Basis bilden dabei Werke der niederländischen Künstlerin Rachel Ruysch und ihre prachtvollen Blumenstillleben mit exotischen Pflanzen und Früchten, Schmetterlingen und Insekten. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz entwickelt Larcher nicht nur eine Brücke zwischen der klassischen und zeitgenössischen Kunstgeschichte, sondern rückt die aktuelle brisante Beziehung von Natur und Technologie in den Fokus in einer, von Klimawandel, Konsumkultur und dem Verlust der Artenvielfalt bedrohten Welt, in der technoide Bienendrohnen zur Bestäubung von Obstbäumen zum Einsatz kommen. Die Zerbrechlichkeit des Lebens, einst durch ein Glas symbolisiert, wird metaphorisch durch ein zerbrochenes Smartphone neu inszeniert. Um die Künstlichkeit unserer Natur noch stärker zu betonen, verwendet Larcher Kunstblumen aus Plastik, die in ihrer unvergänglichen Perfektion den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts widerspiegeln und einmal mehr auf ökologische Herausforderungen unserer Zeit hinweisen.

Claudia Larcher, Still Life No 10, 2024, Giclée Print, 2024, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024

Claudia Larcher, Still Life No 10, 2024, Giclée Print, 2024, © by the artist, Bildrecht Wien, 2024


LIZA LIBENKO

Die an der Akademie der bildenden Künste in Prag ausgebildete Liza Libenko formuliert in ihren Bildern eine düstere Atmosphäre, geprägt von der Gothic- und Dark-Subkultur. Mit Ausbruch des Ukrainekrieges wurde ihre Fantasie von der Realität eingeholt und prägt seitdem auch ihr künstlerisches Werk. Die Schrecken des Krieges, die damit verbundene Zerstörung und Verwüstung bringt sie in abstrakter und symbolischer Form zum Ausdruck. Für ihre aussagekräftigen, dystopischen Gemälde verwendet sie neben Ölfarben auch Erde sowie industrielle Materialien wie Asphalt und Lack. Ihre verwelkten, farblosen Sonnenblumen nehmen „den Sonnenaufgang in einer lichtlosen, gefährlichen neuen Epoche vorweg“, so der Kunsthistoriker Barnabás Bencsik im Katalogtext zur Künstlerin aus Anlass des STRABAG Artaward 2023.

Libenko ist es gelungen, mit ihren Werken die Brutalität des Krieges in besonderer Weise einzufangen, aber auch die Kraft der Kreativität und die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes zu dokumentieren.

Barnabás Bencsik
Liza Libenko, Terra Oblivionis II, 2022, Asphalt, Erde, Acryl, Öl auf Leinwand, 170 × 160 cm, Foto: Liza Libenko

Liza Libenko, Terra Oblivionis II, 2022, Asphalt, Erde, Acryl, Öl auf Leinwand, 170 × 160 cm, Foto: Liza Libenko

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