Jeremy Shaw in der Secession

Zwischen Drogen und Kirche

Ort
Kunstszene
Künstler
Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Mit simplen Gesten und unmissverständlichen Vehikeln verweist der in Kanada geborene und in Berlin lebende Künstler auf Glaubenssysteme, Bewusstseinszustände und deren Grenzzonen.


 

rohe Kirchen-Ästhetik

Schon beim Betreten der Ausstellung stellt sich eine eigentümliche Spannung ein: Der erste Raum von „Logarithmic Delay“ wirkt wie eine moderne Kapelle. Der klassische White Cube ist gebrochen – verspachtelte, aber nicht gestrichene Gipskartonplatten verändern subtil die bekannte Architektur im Untergeschoss der Secession.
In der Nische links des Eingangs ist eine plüschweiche Sitzbank eingepasst, von der aus man auf Shaws Arbeit blickt. Auf der glatten Wand in Rohbauästhetik, die die üblicherweise gespiegelte Nische verdeckt, entfaltet sich gegenüber ein großes Triptychon. Drei Glasplatten nebeneinander, durchzogen von einem perspektivisch auf die Mitte zulaufenden Raster aus schwarzen Linien. Die monochromen Flächen leuchten in einem graduellen Farbverlauf, auf das Zentrum der Arbeit hin ausgerichtet, von Gelb über Orange bis hin zu tiefem Rot und einem schwarzen Spalt.

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Substanz und Spiritualität

Dieses Schema wiederholt sich in der Ausstellung im Übergang zum letzten Raum, wo ein grün leuchtender vertikaler Schlitz aus einer der temporären Wände scheint. Zuvor allerdings wandert der Blick auf einen weißen Sockel, inmitten eines Teppichbodens aus dem flauschigen Material der Bank. Darauf finden sich drei ineinander geschlungene Glasgefäße – Rundkolben-Reagenzgläser wie aus einem Labor. In ihnen schimmern die Rückstände einer Substanz, wie eine rostige Patina oder eingebrannte Essensrückstände. Es sei Dimethyltryptamin (DMT), ein Halluzinogen, das sich in Ayahuasca findet.

Beliebte Topoi aus Shaws Werk kommen zusammen – die Glasarbeit im ersten Raum verweist mit der Kombination aus sakraler Ästhetik und dem kanonisch wirkenden zusammenlaufenden Raster auf eine Transzendenzerfahrung, wie sie in der Kirchenarchitektur verkörpert werden soll. Die Laborsituation und der Hinweis auf die populäre Droge verbinden diese mit einer profanen Seite der Transzendenz.

Am Ende der Ausstellung, in einem verdunkelten Raum: ein Votivkerzenständer mit 247 LED-Lichtern in mundgeblasenen roten Glasgefäßen. Kein Finale oder Katharsis, bloß ein Soundloop – durch die gesamte Ausstellung zu hören –, der immer stärker anschwillt und lauter wird. Wo Shaws frühere Arbeiten, insbesondere Shaws zuletzt entstandenes „Phase Shifting Index“, beinah eine immersive Erfahrung schuf und die Extase von Tanz in den Ausstellungsraum übertragen konnte, verweisen die Skulpturen in der Secession auf einen Zustand, mit dem sie selbst nichts mehr zu tun haben.

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Die Fragestellung verschiebt sich auf den Zusammenhang von Glaube, Sucht und Bewusstsein sowie die Bedingungen, unter denen solche Zustände heute überhaupt noch erfahrbar sind.

Maximilian Lehner

Die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Zustand

Die Fragestellung verschiebt sich auf den Zusammenhang von Glaube, Sucht und Bewusstsein sowie die Bedingungen, unter denen solche Zustände heute überhaupt noch erfahrbar sind. Sie könnten längst selbst zu musealisierten Symbolen geworden sein. Weder Kirche noch Drogenkonsum werden selbstverständlich mit Transzendenz assoziiert und die Einzelobjekte vermögen es nicht, dieses Gefühl zu vermitteln.

Das verbindende Material Glas wiederholt sich sowohl im Triptychon, in den Reagenzgläsern als auch bei den Votivkerzen. Zynisch verhält sich seine Brüchigkeit zu den Andeutungen der Ausstellung, ebenso wie die Wände den Raum perfekt ändern, aber unfertig bleiben. Die Idee der logarithmischen Verzögerung, dass es immer länger dauert bis zum Gefühl der Erfüllung, ergänzt sich gut mit dieser Materialität. Dennoch bleibt das Gefühl, dass diese Ausstellung ein Schritt in einem größeren Projekt sei, noch mehr dazu kommen könnte – aber gerade dieses Unerfüllte betont, was die Sehnsucht nach Transzendenz – und deren ständige Verzögerung – bedeutet.

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

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Ausstellungsansicht, Jeremy Shaw, Towards Logarithmic Delay, 2025, Secession, Foto: Secession

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Jeremy Shaw. Towards Logarithmic Delay

Secession Wien

bis 31.08.2025

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