Wien kann Minimalismus

Von Gleichungen und Gleichem handelt die aktuelle Duo-Ausstellung bei Viktor Bucher in 1020 Wien. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde die Schau von Canan Dagdelen und Miriam Hamann verlängert. Höchste Zeit, sich umzusehen.
Zwei Mal Minimalismus gegenübergestellt – ineinandergreifend und doch ganz für sich. Canan Dagdelen (*1960 Istanbul) und Miriam Hamann (*1986 Wels) zelebrieren die Größe des Reduzierten in ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung. Das Ganze trägt den schönen Namen „structural echoes“. Das Echo all der mitschwingenden Ideen durchdringt den Ausstellungsraum eindrucksvoll. Ein bisschen Hinhören muss man allerdings, denn die Schau würdigt den Minimalismus auch in der kleinen Zahl an Arbeiten. Nur fünf Werke in zwei Räumen sind zu sehen. Sie sollen quasi stellvertretend für die jeweiligen größeren Themen der Künstlerinnen stehen.
Im Fall von Canan Dagdelen ist dies eine vielschichtige Auseinandersetzung mit frühislamischer Architektur und den metaphorischen Versatzstücken von Identität, Migration, Heimat – Erzählungen auch, von Dagelens türkischen Wurzeln.
Bei Hamann sind die Gedankenstränge naturwissenschaftlich motiviert und fundiert, die Gleichungen des Euklid sind hier etwa ein wesentlicher Bezugsrahmen.

Ausstellungsansicht © Miriam Hamann
[Dagdelen und Hamann sind] zwei Künstlerinnen, die sich einem ähnlichen Minimalismus verschrieben haben, sich diesem jedoch mit unterschiedlichen Inhalten und Materialien nähern
Viktor Bucher hat die beiden Künstlerinnen zusammengedacht und damit viel Gespür bewiesen. Es seien „zwei Künstlerinnen, die sich einem ähnlichen Minimalismus verschrieben haben, sich diesem jedoch mit unterschiedlichen Inhalten und Materialien nähern“, so der Begleittext der Schau.
Die Ideen werden in zwei kleinen Arbeiten im ersten Raum knapp dargestellt: Eine kleine Keramik von Canan Dagdelen stellt das architektonische Prinzip des „IWAN“ vor – ein halb-offener Raum der im 1. Jahrhundert n. Chr. als beliebter Baukörper etabliert wurde und für die Künstlerin zahlreiche Verweise enthält. Zwei lackierte Strahlwinkel setzt Hamann an den Ausstellungsanfang. Das Hirn sucht die Winkel, um Fehlendes zu ergänzen, einen Körper zu erschaffen – es sind die mathematischen Gesetze, die wir tief verinnerlicht haben. Die die zweidimensionale Andeutung doch dreidimensional wahrnehmen.

Canan Dagdelen, “out of four - iwan plan II“, 2024. White, china-like clay, 12,5 x 13,5 x 12,5 cm © Georg Molterer
In der Kunst regiert die Ambivalenz und das ist auch gut so.
Das Spiel der Linien im Raum setzt sich im Hauptausstellungssaal fort. Mit Neonröhren inszeniert Hamman eine mathematische Skizze des Euklid, gegenüber, tiefschwarz auf Aluminium irritiert „Great Circle“. „Eine Anspielung auf das mathematische Konzept des Großkreises, der als der größtmögliche Kreis auf einer Kugeloberfläche definiert ist, dessen Mittelpunkt immer mit dem Mittelpunkt seiner Kugel zusammenfällt“ – irgendwie komplex, irgendwie ganz klar.
Ähnliche Gefühle löst auch die große, luftige Installation von Canan Dagdelen im Hauptraum aus. In strengen Fäden baumeln Keramikkugeln von der Decke und ahmen einen „IWAN“ nach. Er wäre groß genug, ihn zu betreten, doch die Linien in der Luft befüllen den Raum und machen es den Betrachtenden unmöglich den Formen näher zu begegnen als mit Blicken. Kreis, Oval und Linie begründen diese sinnliche Installation – Grundformen für beide Künstlerinnen.
Sie zusammen zu zeigen war ein kluger Schachzug und gibt beiden Werken erweiterte Tiefe. „Dinge, die dem gleichen Ding gleichen, sind auch einander gleich.“, meinte Euklid und hatte damit natürlich recht. Aber irgendwie auch nicht. In der Kunst gelten eben höhere Gesetze als der Mathematik, hier regiert die Ambivalenz und das ist auch gut so.

Miriam Hamann, “Great Circle“, 2021. UV-print on aluminium, 115 x 180 cm. © Miriam Hamann
Projektraum Viktor Bucher
Praterstraße 13/1/2, 1020 Wien
Österreich
CANAN DAGDELEN und MIRIAM HAMANN.
structural echoes
bis 28.02.2025
Besuch nur nach Vereinbarung






