Warte mal kurz – Marius Glauer in Linz

„Wait a Minute“ – ein Schnitt ins Zeitkontinuum. Warte mal kurz, halte inne, schau dich um, fordert Marius Glauer aktuell im Francisco Carolinum Linz – und führt vor, wie ihm selbiges gelingt. Seine Kunst zwingt zur Unterbrechung.
Schnellen Schrittes sollte man besser nicht durch die große Galerie im oberen Stock laufen. Zu fragil balancieren die Fotowände auf durchsichtigen Stehlen, direkt am Boden, nur angelehnt, ein markantes Gegenüber, wie eine Armee der Bilder. Sie bündeln die Hektik im Laufschritt der Bilderflut und verführen Fotografie neu zu konsumieren.
„Konsum“, was für ein Wort, voll von haufenweise negativen Zuschreibungen. Konsum, Exzess, Party, sie alle hallen hier nach, in der Schau von Marius Glauer. Der in Oslo geborene, in Berlin lebende, Künstler nutzt seine erste Institutionelle Ausstellung in Österreich zur Befragung von Grundsätzlichem.

Marius Glauer, Wait A Minute, Francisco Carolinum, Foto: Manuel Carreon Lopez
Gerade in der Fotografie ist Zeit eingeschrieben. Und es ist eine der Hauptqualitäten der Fotografie, eine Art Unterbrechung zu erzwingen.
Zeit ist das zentrale Material seines Schaffens – nicht als Chronologie, sondern als Empfindung. Sein poetisches Bild einer Bewegung an der „Spitze der Zeit“ wird zur Schlüsselmetapher seiner Arbeit. Fotografie ist bei Glauer nie rein dokumentarisch. Entscheidend ist der Moment des Shootings – mal eruptiv, mal fließend. Glauer beschreibt ihn als Vulkanausbruch, der lange vorbereitet wird, sich anstaut und entlädt. Was dabei entsteht, sind temporäre, hochästhetische Setzungen, oft mit Materialien aus Ein-Euro-Shops: Lametta, Folien, Tinte, Plexiglas. Stellenweise vielleicht ein bisschen banal, aber egal, Glauer nimmt sich selbst nicht zu schwer.
In Linz transformiert sich sein bisherige Œuvre zum Resonanzraum. Variationen älterer Arbeiten tauchen zyklisch neu auf, wie Echos. Susanne Watzenboeck, die Glauer in der Schweiz entdeckte, kuratiert klug: Blow-ups wechseln mit Vitrinen, Stoff inszeniert bühnenhaft, die Fotografie wird als skulpturales Objekt vom Boden gelehnt, daneben schweben Fotorollen frei im Raum. „Die sind vollkommen frei im Umgang. Man darf die auch neben sich auf die Couch legen, wie ein Accessoire, wie eine Katze“, sagt Glauer über seine Fotoröhren. Nicht mehr das eigentliche Bild steht im Fokus, man sieht es kaum, sondern die Dialogische Wirkmacht der Farben, Formen, Möglichkeiten. Humor und Ernst, Glamour und Melancholie – Glauers Bildwelten sind durchlässig. Nichts ist abgeschlossen, alles bleibt in Bewegung.

Marius Glauer, Wait A Minute, Francisco Carolinum, Foto: Manuel Carreon Lopez
Exemplarisch zerfällt hier etwa ein arrangiertes Stillleben seriell – von straff gespannt bis zum Kollaps. Was zuerst wie ein Set aussieht, wird zur Chronik des Zerfalls. Die Arbeiten gleichen Chamäleons: sie ändern Stimmung, Raum, Bedeutung. Zeit wird zur Bühne. Das Blow-Up zum künstlerischen Prinzip. „Eine der wichtigsten und kleinsten Qualitäten in der Fotografie ist, dass man das Bild, die Informationen hochskalieren kann und dadurch Überraschungen entstehen – für diese Überraschungen mache ich eigentlich Kunst“, erklärt Glauer.
Humor und Ernst, Glamour und Melancholie – Glauers Bildwelten sind durchlässig.
Seine Kunst lebt von Ambivalenz. Sie ist gleichsam offen und komponiert. Jede Arbeit trägt ihre Geschichte, ist Teil eines größeren Zusammenhangs. Vorbei an Trockenblumen, in Italien gegen den Himmel fotografiert, und an scheinbaren Leuchtstreifen am Horizont, die sich als künstliche Lichtreflexionen entpuppen, sucht Glauer in Linz die Ruhe in der Unruhe und die Stille in der Bewegung. Aber eins noch: Vielleicht hätte eine simple Kleinigkeit geholfen, um die große Idee das Rauschen aufzuhalten vollends auf den Punkt und die Besucher:innen zur Ruhe zu bringen – ein paar Sitzgelegenheiten.

Marius Glauer, Flash, 2024, © Marius Glauer
Francisco Carolinum Linz
Museumstraße 14, 4010 Linz
Österreich