Jahresschau im Dom Museum

von Bffs, toxic friends und Freunderlwirtschaft

Kunstszene
Johann Till der Jüngere, Weg nach Emmaus, 1888, Belvedere Wien, Schenkung Sammlung Maurer, Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Großartig kuratiert zeigt das Dom Museum Wien mit einer kraftvollen Schau zum Thema Freundschaft auf. Zu sehen gibt es zeitgenössische Meisterwerke und historische Schätze.


„Wie kann überhaupt ein Leben lebenswert sein, welches nicht auf wechselseitiger Freundesliebe beruht? Was gibt es Schöneres, als einen Menschen zu haben, mit dem du dich alles so zu reden traust wie mit deinem eigenen Ich?“, schreibt Cicero 44 vor Christus über eine der fundamentalsten und komplexesten Beziehungen unseres Lebens – die Freundschaft. 

Dieser fehle es an Symbolen, beschreibt Johanna Schwanberg, Direktorin des Dom Museum Wien, beim Rundgang der neuen, Ende September eröffneten Jahresausstellung. Wo die Liebenden symbolisch gezielt zum Herz greifen, greifen Freundschaften in alle Richtungen. Gemeinsames Sein und Tun, das Wechselspiel von Nähe und Distanz, Gesten wie sich tröstende Hände, Versatzstücke wie Postkarten und Freundschaftsarmbänder – ästhetisch divers macht sich die Schau in fünf Themenkomplexen auf, den Begriff „Freundschaft“ zu beschreiben.

Ausstellungsansicht "In aller Freundschaft", 2024, Foto: L. Deinhardstein

Ausstellungsansicht "In aller Freundschaft", 2024, Foto: L. Deinhardstein

Besonders brisant ist jenes Kapitel zum Thema politsche Bünde und Männerfreundschaften, die die (politische) Welt bestimmen. „Freunderlwirtschaft“ und zu mächtige Männerbünde sind eine Kehrseite, der sich künstlerisch etwa Jean Béraud (1849–1935) oder Oleg Karpov (*1963) lohnend widmen. 

Amikale Zusammenarbeit kann aber auch positiv ausfallen, aus künstlerischer Perspektive legen in der Schau etwa „die Damen“ ein Exempel vor. Humorvoll zeigt sich die Arbeit „The Art Of Working Together“ von Claude Closky, die auflistet, welche Künstler gerne miteinander arbeiten würden und welche gar nicht miteinander können. Eine hochwertige Leihgabe kommt aus Brixen: Die gotische Figurengruppe der Heimsuchung Mariens legt die Intimität zwischen den beiden schwangeren Frauen Maria und Elisabeth auf sensible Weise offen. Zudem wurden Werke von Robert Hammerstiel, Matthias Noggler, Bettina Hutschek und Switzin Twikirize für die Sammlung erworben.

Ausstellungsansicht "In aller Freundschaft", 2024, Foto: L. Deinhardstein

Ausstellungsansicht "In aller Freundschaft", 2024, Foto: L. Deinhardstein

 

In situ als Auftrag entstanden zwei wandfüllende Arbeiten: Susanna Ingladas bunt collagierten Beziehungsgeflechte und Juliette Greens Befragung von Unterschieden, die Freunde überbrücken können, sei es ihre Herkunft, Religion oder Sprache oder überhaupt ihr Wesen – wie ist eine Freundschaft zum Haustier zu bewerten? Wie eine zu einem Chatbot, gefüttert mit künstlicher Intelligenz und Emotion? Werte sind für Freundschaften wesentlich, das macht auch Dejan Kaludjerović mit einer berührenden Soundinstallation deutlich. Seit 2013 spricht der in Wien lebende und in Belgrad geborene Künstler mit Kindern aus unterschiedlichen Kulturen über alles Mögliche und hat das Material nun frisch gefiltert zum Titelthema aufbereitet. 

Die Schau, die Johanna Schwanberg gemeinsam mit Klaus Speidel und den beiden Assistentinnen Nina Schermann und Anke Wiedmann kuratiert hat, weiß auch mit Humor zu punkten. Dorothee Golz’ „Unteilbare Zweisamkeit“ führt das Streben nach Nähe ad absurdum, indem sie gegenüberliegendes Tischgedeck miteinander verschmelzen lässt, auch die Suppenteller werden zur Einheit, ja sogar die beiden Sessel wachsen unter der Tischplatte in ihren Sitzflächen zusammen und machen das gemeinsame Essen unmöglich – zu viel Nähe kann auch einengen und zur destruktiven Kraft werden.

Susanna Inglada, Nothing Twice II, 2024, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, Ankauf ermöglicht durch die Wiener Städtische Versicherung AG, Susanna Inglada / Galerie Maurits van de Laa, Foto: Susanna Inglada

Susanna Inglada, Nothing Twice II, 2024,  Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, Ankauf ermöglicht durch die Wiener Städtische Versicherung AG,  Susanna Inglada / Galerie Maurits van de Laa, Foto: Susanna Inglada

Das macht auch der schwedische Künstler Anders Krisár überdeutlich. Gleich zum Auftakt der Schau zeigt er zwei sich zugewandte Köpfe, die sich verboten nah kommen, denn einer ist aus Wachs und der andere ein beheiztes Bronzeobjekt. Freundschaften können eben auch – Achtung, Trendwort – „toxisch“ werden. Die Verhältnisse sind zahllos und individuell. Mit Screenshots aus Hollywoods Konversationen über Freundschaft, gedruckt auf Postkarten, amüsiert Robin Waart rund um die Frage, wie Vorstellungen von Freund:innen sich im kollektiven Gedächtnis einschreiben. 

Apropos Schreiben, auch Sprache ist eine wesentliche Beziehungsebene. Untermalt wird diese unter anderem von Muntean/Rosenblum oder Barbara Kapusta, aber auch einer berührenden Videoarbeit von Yuge Zhou (eine Entdeckung!) und 100 Gedichten von Heribert Friedl. Auch biblische Erzählungen kommen in den Sinn und werden in die Ausstellung integriert, etwa die Emmaus-Geschichte. Jesus mit seinen Jüngern ist wohl ein grundsätzliches Beispiel für das komplexe Beziehungsmodel „Kumpel“. Doch der Blick wird, Dom Museum Wien hin oder her, bewusstweit gestaltet.

Anders Krisár, Bronze/Wax #1, 2005–06, © Anders Krisár, Courtesy by the artist

Anders Krisár, Bronze/Wax #1, 2005–06, © Anders Krisár, Courtesy by the artist

 

So funktioniert Freundschaft auch über räumliche Distanzen – draußen im Zwettlerhof, zwischen Stephansdom und Wollzeile, weist eine sechs Meter lange „Freundschaftsbank“ von Maruša Sagadin den Weg ins Museum. Dort setzt Direktorin Johanna Schwanberg wiederholt auf existenzielle Themen, sie seien „jetzt gerade bitternotwendig“. 

Mit der vorangegangenen Ausstellung, die sich inhaltlich mit der Sterblichkeit auseinandersetzte, verzeichnete man einen bisherigen Besuchsrekord, die aktuelle Ausstellung hat das Zeug dazu, hier noch eins draufzulegen. 

Eine klug kuratierte Schau, die zeigt, wie man ein auf den ersten Blick zu großes und wahlloses Überthema lustvoll und präzise gestalten kann. Auch die Künstler:innenliste kann sich sehen lassen – national, international, über alle Altersklassen hinweg, ausgewogen im Verhältnis der Geschlechter, etabliert ebenso wie zum Kennenlernen, Chapeau!

Switzin Twikirize, Connected by the Roots, 2022, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, Ankauf ermöglicht durch die Wiener Städtische Versicherung AG, Copyright: Switzin Twikirize, Foto: L. Deinhardstein

Switzin Twikirize, Connected by the Roots, 2022, Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, Ankauf ermöglicht durch die Wiener Städtische Versicherung AG, Copyright: Switzin Twikirize, Foto: L. Deinhardstein

Dom Museum Wien

Stephansplatz 6, 1010 Wien
Österreich

IN ALLER FREUNDSCHAFT

bis 24.08.25

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