Viola Relle & Raphael Weilguni bei Markus Lüttgen, Düsseldorf

Viola Relle & Raphael Weilguni, Scheinarchäologie (Arm), 2018/19, Porzellan, glasiert, Dentalgips, ca. 35 x 60 x 34 cm

Markus Lüttgen

Schwanenmarkt 1, 40213 Düsseldrof
Deutschland

KünstlerInnen: Viola Relle & Raphael Weilguni

Titel: mit Menschen leben

Datum:  3. April 2019 – 25. Mai 2019

Fotografie: Courtesy Markus Lüttgen and the artists

Ausstellungstext:

Francois Huber, München 12. März 2019

Vor etwas mehr als neun Jahren betrat ein junger Mann das Atelier meiner Klasse in der Akademie der bildenden Künste in München. Raphael Weilguni erschien mir zunächst zart, fast zerbrechlich. Doch seine empfindliche Wahrnehmung und sein disziplinierter Fokus ließen keinen anderen Schluss zu, als dass man es hier mit einem furchtlosen Kopf zu tun hatte. Immer dran, seiner sensiblen Malerei den nötigen Grad an Spannung zuzuführen damit diese besteht.

Zwei Jahre später begann Viola Relle ihr Studium an der Akademie und bald kollaborierte das junge Paar künstlerisch. Ist Weilguni ein Mensch der in hohen Sphären nach Zuständen des Gleichgewichts sucht, so ist Relle ein Kind des Windes - wild, impulsiv und beharrlich.

Diese zwei, jeder auf seine Weise, luftigen Charaktere fanden sich also zusammen um trägen Schlamm zu bändigen. Man könnte meinen, eine solche Konstellation münde in Werken, in denen eine kämpferische Auseinandersetzung eben dieser vordergründig spürbar ist. Doch pflegen Relle und Weilguni in ihrer Arbeit vor allen Dingen einen geistigen Austausch, in dem Stärken und Schwächen erfolgreich eingebracht werden. Von diesem Dialog angetrieben, reizen sie gezielt die Möglichkeiten ihrer Materialien aus. Unzählige Tests und Probeläufe sind erforderlich, bevor die gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse im Einverständnis angewandt werden. Ist der Umgang mit der Materie gemeistert, kann der Geist frei gestalten. Ein Gedanke, so einfach wie effektiv. Auf diese Weise gelingt es ihnen zerbrechliche Elemente gröberen bedrohlich entgegenzusetzen und diese zu verbinden, mal raffiniert verspielt, mal brutal konsequent, immer erhöht einfühlsam. In tönernen Konstruktionen, deren Wucht um Balance ringt, nisten sich hauchdünne Porzellanfragmente ein. An komplexen Passagen quellen Gipselemente heraus, als würde hier eine seltsame Füllung austreten. Kehrt man seine Wahrnehmung um, mutmaßt man darin einen symbiotischen Pilzbefall.

Die so gemeinsam geformten und glasierten Keramiken besitzen ein eigentümliches Flirren oder Wabern - je nach der Geschwindigkeit der Wahrnehmung. Mal wirkt das selbe Stück organisch, wie aus einem urzeitlichen Ungetüm entnommen und konserviert, mal vermutet man einen mechanischen Ursprung. Als seien sie mit ihrer metallisch durchsetzten Farbpalette Fundstücke aus einer zukünftigen Vergangenheit. Die Arbeiten sind losgelöst. Ob sie auf dem Boden liegen wie Treibgut, auf Podesten wie Fundstücke oder von der Decke hängen wie Gerippe im Naturkundlichen Museum - sie muten an wie Hinweise vergessener Ereignisse, wie Zeugen unbekannter Begebnisse.

Es ist dieser losgelöste Aspekt der mich fasziniert und mir Ruhe schenkt. Denn wenn Viola Relle und Raphael Weilguni ihre Skulpturen in die Welt stellen, kann ich darin einen Kommentar zur Vergänglichkeit erkennen. Dass selbst wenn diese Zivilisation eines Tages nicht mehr sein wird und der beständige Atem der Zeit jegliche Erinnerung an unsere Gegenwart getilgt haben wird, ihre Spuren und Fragmente noch um ein Vieles weitergetragen werden. Wenn mich also mal wieder das große Nihil besucht (von Nihilismus bis Annihilation), meine Gedanken in sich auflösend, betrachte ich mir gerne Relle und Weilgunis Arbeiten. Vertiefe mich in sie wie ein Archäologe in eine antike Gürtelschnalle. Ganz wie die Gürtelschnalle für den Archäologen ein Vehikel in die Vergangenheit ist, so reißen mich die Skulpturen los und nehmen mich mit auf einen Pfad jenseits jeglichen Endes. Und aus dem Nichts, wie diese Anspielung, höre ich die sanfte Stimme Moondogs, des großen Anachronisten: „I‘m in the world ... but I‘m not of it“.