Rose English und die Kunst der Performance

Rose English, Quadrille (Rose and Dancers Entering), 1975/2012, chromogener Abzug auf Papier, Courtesy of Richard Saltoun Gallery, London, Rom und New York

Das Museum der Moderne Salzburg zeigt eine Werkschau der britischen Künstlerin Rose English, die in den 1970er-Jahren wegweisende Formen der Performance-Kunst entwickelte.


VORREITERIN IHRER DiSZIPLIN

Wesentliches Merkmal und stete Problematik der Performance-Kunst ist bekanntermaßen ihr Verhältnis zur eigenen Dokumentation. Als Darstellungsform, welche die Dauerhaftigkeit des Bildes verlässt, muss sie in der anschließenden Rezeption und Präsentation dennoch am Ende auf das Bildhafte zurückgreifen, um bleiben zu können. 

Die britische Künstlerin Rose English setzt sich in ihrem interdisziplinären Verständnis der Performance-Kunst bereits seit den 1970er-Jahren mit den hierfür wesentlichen Fragen von An- und Abwesenheit auseinander. Die ephemere Qualität performativer Gegenwart gilt damit häufig als Schlüsselmotiv der Aufführung, gleichzeitig aber auch als hindernisreiches Problem der späteren Aufbereitung. English hat früh Versuche unternommen, diese Hindernisse zu überwinden. 

In der ersten Werkschau dieser Größenordnung im deutschsprachigen Raum zeigt das Museum der Moderne Salzburg eine Ausstellung, die sorgsam Fragen rund um die Metaphysik der Performance thematisiert, wie auch English’ Reflexion von Narrativen der Weiblichkeit und Identität. Zu sehen sind fragmentarische Hinterlassenschaften vergangener Aufführungen wie Kostüme, Requisiten, Fotografien, Videodokumentationen und Multimedia-Installationen. Begleitet von einem Performance-Programm, wagt das Museum unter den Kuratorinnen Marijana Schneider und Lisa Moravec den Versuch, Rose English’ historische Performances zu aktualisieren und ins Jetzt zu transformieren.

Rose English und Sally Potter, Berlin – Part Four: The Arguments (at home), 1976, Silbergelatineabzug auf Papier, Foto: Paul Derrick, Courtesy of Rose English Studio Archive

Rose English und Sally Potter, Berlin – Part Four: The Arguments (at home), 1976, Silbergelatineabzug auf Papier, Foto: Paul Derrick, Courtesy of Rose English Studio Archive

DIE ZÜGEL IN DER HAND

Während für die Besucher:innen der Schau die Begegnung mit English’ Performances in erster Linie eine mit Spuren ist, wurden verschiedene Formen der Dokumentation bereits in ihrer künstlerischen Praxis thematisiert und angewandt. Gemeinsam mit der späteren Filmemacherin Sally Potter hinterfragte die Künstlerin in der Performance „ Berlin“ (1976) konsequent die Linearität erzählerischer Strukturen und zugleich die Konventionen der Performanz. In der Vergangenheitsform nahm English zu Beginn den Ablauf der Performance erzählerisch vorweg. Zudem wurden Fotos vorheriger Teile aktiv in die Gegenwart weiterer Performances eingebunden und vergangene, zentrale Objekte, Materialien und Ideen verbal resümiert. 

In ihrer an Zirkusshows angelehnten Performance „My Mathematics“ (1992) trat sie mit einem gleichnamigen Pferd auf und vereinte interaktive und improvisatorische Elemente. Durch die wechselnde Gehorsamkeit und Ungehorsamkeit des Tiers thematisierte sie die Unberechenbarkeit von Inszenierungen sowie Konzepte von Körperlichkeit und Bewegung. In kritischer Distanz zur Ballett- und Theatergeschichte dekonstruierte sie beispielsweise romantisierte und erotisierte Bilder von Weiblichkeit sowie Geschlechterzuschreibungen.

Im Rückgriff auf die höfische Balletttradition und barocke Kunst der Dressur wählte die Künstlerin dafür Mitte der 1970er-Jahre im Rahmen ihrer Performance „Quadrille“ das Motiv von Mischwesen zwischen Pferden und Frauen, um in poetisch subversiver Manier feministische Diskurse anzustoßen.

Rose English, My Mathematics – performance to camera 2, 1992, chromogener Abzug auf Paper, Foto: Gavin Evans, Courtesy of Rose English Studio Archive

Rose English, My Mathematics – performance to camera 2, 1992, chromogener Abzug auf Paper, Foto: Gavin Evans, Courtesy of Rose English Studio Archive

Publikum aufgesattelt

Wesentliches Anliegen der Künstlerin scheint es, die Grenzen von Hoch- und Popkultur sowie Bühne und Auditorium zu verschieben und spielerisch zu lösen. Ebenfalls in „My Mathematics“ wird das Publikum im Laufe der Aufführung dazu aufgefordert, der Künstlerin die überdimensionalen künstlichen Wimpern von den Augen zu schneiden. Die Vitrine in der Ausstellung, die diese Wimpern wie Relikte versammelt, war bereits Teil der ursprünglichen Performance. Damit setzt Rose English nicht einfach Hinterlassenschaften ihrer konkreten, aber applizierten, folglich inszenierten Körperlichkeit ins Zentrum, sondern auch die Folgen der Handlungen des Publikums. Das komplexe Spiel aus gegenwärtiger Aktion, Interaktion und Repräsentation macht deutlich, dass Performances auch im retrospektiven Kontext sinnvoll reaktiviert werden können.

Rose English’ experimentelle Praxis zeichnet sich gerade durch die explizite Herstellung von Dokumentation und anschließender Präsentation in der Gegenwart weiterer Performances aus. Diese symbiotische Beziehung zweier häufig zu Antipoden erklärter Bestandteile wird in der Ausstellung gelungen aufgegriffen und zugänglich gemacht.

Rose English, My Mathematics – performance to camera (giant eyelashes), 1992, Silbergelatineabzug auf Papier, Foto: Gavin Evans, Courtesy of Rose English Studio Archive

Rose English, My Mathematics – performance to camera (giant eyelashes), 1992, Silbergelatineabzug auf Papier, Foto: Gavin Evans, Courtesy of Rose English Studio Archive

Museum der Moderne Salzburg-Mönchsberg

Mönchsberg 32, 5020 Salzburg
Österreich

PLÖTZLICH IN PRACHT BEGINNEN –
ROSE ENGLISH. PERFORMANCE, PRÄSENZ, SPEKTAKEL

bis 4. Mai 2025