Philipp Messner | Galerie im Prediger Schwäbisch Gmünd

eating harmony

Galerie im Prediger Schwäbisch Gmünd

Beteiligte Künstler_innen: Philipp Messner

Titeleating harmony

Datum: 20. Juni – 22. August 2021


Ausstellungstext

Die mit eating harmony überschriebene Gmünder Schau ist als gattungsübergreifender Dreiklang angelegt: Eine Bodeninstallation, Zeichnungen, die das traditionell zweidimensionale Medium ins Plastische, Dreidimensionale transformieren, und eine Großskulptur von Philipp Messner verknüpfen Facetten seines komplexen Werks. Inspiriert ist dieses aus einem Themengeflecht von Realitätspluralismus und Postfaktizität, Klima und Umwelt, Material und Konsistenzen sowie sich auflösenden Soliditäten.

I.      Ein zentrales Element der Ausstellung bildet die ortsspezifische Bodeninstallation erosions (2020), die der Künstler speziell für die Gmünder Werkschau weiterentwickelt hat. Die laborartige Bodenarbeit formiert sich aus Schläuchen, Reglern und 3-D-gedruckten, zungenartigen Objekten, die sich auf dem Boden ausbreiten und ein offenes Netzwerk ausbilden. Die Wahl des Materials ist programmatisch. Vernetzung und Verbindung, Fluss und Austausch sind das Thema, symbolisch zugespitzt durch die Zungenobjekte, die auf die Zunge als primäres Organ der menschlichen Kommunikation anspielen. Die Zungen diffundieren rätselhafte Flüssigkeiten in ihre Umgebung, die sich aus einer simulierten Landschaft aus Carrara-Marmor-Platten gruppiert. So entsteht ein hybrides, nervenbahnartiges Geflecht. Auf diese Weise sucht die Installation die Auseinandersetzung mit dem, was am Beginn des 21. Jahrhunderts noch „Natur“ heißen kann. Die Arbeit kann als Beitrag verstanden werden, dass in dieser Natur alles mit allem vernetzt und verbunden ist – und, dass sich keine Grenzen zwischen Natur und Kultur ziehen lassen: Natur definiert sich als alles, was wir geschaffen haben und wie wir zu ihr, im tiefen Wortsinn, „sprechen“.

II.     Programmatisch setzt sich die Ausstellung in einer Serie von zehn jüngst entstandenen, noch nie gezeigten Papierarbeiten fort. Dabei handelt es sich um Zeichnungen mit Aquarellfarben, -kreiden und Farbverläufen, die an das Wischen über die Oberfläche eines Smartphones denken lassen. An diese Farbverläufe sind mittels Magnete in Farbe getauchte Gipsfinger angedockt, die sich teils in den Zeichnungen tarnen, teils von diesen abheben und in den Bildraum ragen. Dabei handelt es sich um Gipsguss-Abformungen von Fingern des Künstlers. Das flache zeichnerische, zweidimensionale Bild wird durch die Plastizität der Finger ins Dreidimensionale überführt, so dass der Blick des Betrachters zwischen bildhafter Fläche und räumlicher Tiefe oszilliert. Die Facettierung der Oberfläche erzeugt eine Brechung der Wahrnehmung, erzeugt simultane Bilder. Im Fokus der Arbeiten steht zum einen die Hinterfragung menschlicher Wahrnehmung, verbunden mit Fragen nach der Definition und Konstruktion von Realität. Zum anderen spielen die Zeichnungen durch die eingeschriebenen, gipsernen Fingerabformungen des Künstlers auf das Gemachtsein der Werke durch die Künstlerhand an. Nicht zuletzt beglaubigt die physische Fingerspur des Künstlers auf den Werken subtil deren Authentizität und Autorenschaft.

III.   Im Prediger-Innenhof schließlich rundet die alle Blicke auf sich ziehende, vier Meter hoch aufragende Skulptur mit dem Titel Globo das Werk von Philipp Messner ab. Schon der Titel der Arbeit, die eigens für die Gmünder Werkschau entstand, eröffnet einen darin eingeschriebenen, denkbaren Kommentar. Die archaisch anmutende, rumpflose und flächige Aluminiumskulptur, die von Schraubzwingen gehalten wird, ist als Kopffüßler gearbeitet – die knappste, bildnerische Darstellungsform eines Menschen. Kopf, Beine und Füße gehen in der Figur undefiniert ineinander über: Ist das noch Kopf oder schon Körper? Ist das noch Bein oder schon Fuß? Letztlich: Ist das noch Skulptur oder schon Bild? Die Figur ist ein Dazwischen, verweist auf sich selbst und bildet ein autonomes System.

Zusammengenommen entsteht in eating harmony ein sich entflechtendes Narrativ aus Flüssigkeiten, Taktilität und „autonomy“. Die allen Werken Philipp Messners innewohnende Ambiguität erscheint als Metapher für eine Welt, in der das Wesen Mensch integral haust – mit all seinen Ein- und Übergriffen.