Miriam Stoney | Kevin Space

Indebtedness: Die Haftung der Geschenknehmenden

Kevin Space, Volkertplatz 14, 1020 Wien

Beteiligte Künstler_innen: Miriam Stoney

Titel: Indebtedness: Die Haftung der Geschenknehmenden

Datum: 26. März — 15. Mai 2021

Ausstellungstext

Der Kunstverein Kevin Space freut sich das neue Projekt der in Wien lebenden Schriftstellerin Miriam Stoney, Indebtedness: Die Haftung der Geschenknehmenden, zu präsentieren. Meist kollaborativ und text-basiert arbeitend, umfasst Stoneys Praxis Text, Performances, Audio wie auch installative Arbeiten und entzieht sich dabei einfacher Kategorisierungen oder Zuschreibungen.

Indebtedness: Die Haftung der Geschenknehmenden ist das erste Ausstellungsprojekt von Stoney: als erweiterte Schreibpraxis und Übung in nicht-linearem Geschichtenerzählen durch mundartliche Wortspiele oder eigenwillige Redewendungen befasst sich die Ausstellung mit subjektiver, generationenübergreifender und geschlechtsspezifischer Geschichtsschreibung. Text, Fotografie, Skulptur und Sound verhandeln hier greifbar die porösen Grenzen zwischen Nostalgie, kritischer Geschichtlichkeit und dem Versuch, alternative Wahrnehmungen von Realität für die Gegenwart und Zukunft zu konstruieren.

Der Titel der Ausstellung umfasst die doppelte Bedeutung von Verschuldung als kulturell und ökonomisch verankert. Er zielt auf eine wachsende Unbeweglichkeit zwischen den Klassen, die besonders gravierend in Großbritannien verspürt wird; eine expandierende Kultur der Verschuldung kann allerdings auch auf dem gesamten europäischen Festland beobachtet werden. “Indebtedness” bzw. Verschuldung verweist auch auf eine intersektionale Selbstreflexion über die Zugehörigkeit zu einer Diaspora sowie auf das Phantomglied vererbter Familientraumata, die sowohl zutiefst persönlich als auch intergenerationell und historisch verwurzelt sind.

Ausgehend von Scunthorpe Correspondences, einer Konversation zwischen Stoney und dem in Großbritannien lebenden, befreundeten Schriftsteller Tom Glencross, die im gegebenen Rahmen konzipiert und veröffentlicht wurde, verhandelt die Ausstellung Kämpfe der Arbeiterklasse in Scunthorpe, wo beide Autor*innen aufgewachsen sind. Einst ein Symbol für Wohlstand und Reichtum, sieht sich die Stadt im Norden Englands heute aufgrund des Niedergangs der Stahlindustrie und deregulierender, globalisierender Prozesse mit weit verbreiteter Prekarität und Ernüchterung konfrontiert. Dieses Gespräch, wie auch die Ausstellung, verknüpfen den Werdegang von Stoneys Familie mit der größeren kolonialen Geschichte des Vereinigten Königreichs und der Teilung Pakistans und Indiens im Jahr 1947. 

Ausschnitte der Stadt Scunthorpe werden hier durch Schwarz-Weiß-Fotografien (Sensual objects, real qualities) von Glencross visualisiert, die an den sozialen Realismus der Neuen Sachlichkeit erinnern, wie etwa Bernd und Hilla Bechers Darstellungen stillgelegter Industriegebäude und Arbeiterwohnungen vor ihrem Verschwinden. Die Installation Real objects, sensual qualities erinnert an ein Ritual, das die Sikh-Gemeinden in ihren Tempeln durchführen: Hier wird jede Nacht das Guru Granth Sahib (Heiliges Buch) liebevoll zu Bett gebracht und morgens geweckt, um es in die Gebetshalle zu tragen. In Anspielung auf dieses Ritual besteht Stoneys Installation aus sechs individualisierten Miniaturbetten, die eine Auswahl von Büchern beherbergen, welche auf feministischen, antikapitalistischen und dekolonialen Denkschulen basieren. Verwoben mit diesem spezifischen religiösen Phänomen sind hier also bildungsspezifische, kulturelle und ökonomische Bestrebungen und Erwartungen angesprochen, die sich in anderen Aspekten der Ausstellung, der Publikation und Performances widerspiegeln: Better biographies (Kevin) ist eine performative Aktivierung von Stoneys persönlichem Archiv von Briefen der Student Loans Company, die von einem gewissen "Kevin O'Connor" unterschrieben sind. In einem Telefonat mit Kevin entlockt Stoney ihm Antworten zu Fragen zu Schulden, Verantwortung und Sozialität.

Die zeitgenössische (Selbst-)Reflexion von Diaspora-Gemeinschaften innerhalb und außerhalb des britischen Kontexts wird auch in der Audioinstallation O my mother, I am in love with a hawk (Bird) deutlich – einem neu produzierten Punjabi-Diaspora-Mix des in London lebenden Produzenten und DJs Yung Singh. Singh spürt hier musikalischen Formen wie dem Bhangra nach, der seinen Ursprung in der Punjab Region Indiens hat, um in unterschiedlichen Kontexten neuartige Genres entstehen zu lassen. Stoneys narrative Spiele setzen sich in Better biographies (Chests); Homage to Winifred Knights, The Deluge, 1920 fort, das aus einer Wäscheleine besteht, die diagonal durch den Raum gespannt ist und die Zeichen der Zugehörigkeit präsentieren, die Stoneys verschiedene Lebensabschnitte geziert haben. Die Arbeit ist Skulptur und semiotisches Wortspiel zugleich und bezieht sich auf die englische Redewendung "not airing one's dirty laundry" – ein gängiges Diktum, demzufolge private Informationen nicht öffentlich geteilt werden sollen, aus Angst, sie könnten den Ruf einer Familie schädigen. I ceased from Mental Fight (Forgive nothing, forget everything) ist ein von der Künstlerin gebackener Kuchen. Mittels Überlagerungen zeigt sein Zuckerguss eine Neuinterpretation von Symbolen, wobei das Khanda-Symbol der Sikhs, das Logo der Universität Oxford und ein Fragment des offiziellen Emblems von Scunthorpe United eingearbeitet wurden, das auf einem Eisenträger in der Faust eines Stahlarbeiters basiert – eine spielerische Interpretation einer weiteren englischen Redewendung: "You can't have your cake and eat it, too", eine Phrase, die vehement darauf besteht: "Du kannst nicht beides haben."